Mehr Gottesdienst als Konzert
Der Heidelberger Frühling in der Heiliggeistkirche - Unsensibles Gedenken an das Juden-Pogrom von 1390

Farbig ausgeleuchtet war die Heiliggeistkirche während der Veranstaltung des Heidelberger Frühlings in Erinnerung an das Pogrom von 1390. Foto: Studio visuell
Von Christoph Wagner
Heidelberg. Wie kann so etwas eigentlich passieren? Im Gesamtprogramm des Heidelberger Frühling war ein Konzert des Vokalensembles "Profeti della Quinta" angekündigt, in dem, ausgehend von der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Heidelberg 1390, "Christliche und jüdische Psalmvertonungen eine elementare Geschichte von Vertreibung und Heimat, Trennung und Gemeinschaft, schließlich Versöhnung" erzählen. Ein Rezitator war nicht erwähnt.
Der Vorblick am Konzerttag hier in der RNZ kam der Sache schon näher. "Der … Rezitator Guckelsberger und der Stuttgarter Domorganist Johannes Mayr … verbinden die Vertonungen Rossis mit Psalmen und Improvisationen zu einer… musikalisch-literarischen Erzählung in der wechselnd illuminierten Kirche." Aber auch jetzt durfte man noch im Schwerpunkt die Darbietungen des Vokalensembles erwarten.
Tatsächlich erlebten wir dann in der Kombination der jüdischen Freitagsliturgie mit der christlichen Vesper eher eine Art Gottesdienst als ein Konzert. Dabei agierten alle Interpreten auf hohem künstlerischen Niveau und schufen viele Momente großer emotionaler Dichte.
Doch das Vokalensemble "Profeti della Quinta" repräsentierte ausschließlich die jüdische Seite und durfte in dem knapp eineinhalbstündigen Programm gerade einmal fünf von Salomone Rossi auf Hebräisch vertonte relativ kurze Psalmvertonungen und das Kaddish singen. Der Programmschwerpunkt lag eindeutig auf der christlichen Seite, vertreten durch die Psalmrezitationen von Rudolf Guckelsberger, umrahmt und untermalt durch Orgelimprovisationen von Johannes Mayr. Zudem war für Guckelsberger mit der Kanzel der zentrale Ort christlicher Verkündigung reserviert, während das Vokalensemble von verschiedenen Orten am Rande des Kirchenraums sang.
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Dadurch wurde die jüdische Seite buchstäblich an den Rand gedrängt und verkam zur musikalischen Garnierung eines Rezitationsabends. Hatten die Macher vergessen, dass es in dem Geschehen von 1390, als Kurfürst Ruprecht II. die Juden aus der Stadt trieb, um Synagoge und Wohnstätten zur Erweiterung der neu gegründeten Universität zu nutzen, eindeutig Täter und Opfer gab und dass Tätern doch eher die Haltung "Herr, sei mir Sünder gnädig" zukommt? Und bedachten sie nicht, dass es einfach unerträglich ist (oder sein sollte), ein solches Programm zu realisieren, ohne in irgendeiner Weise darauf Bezug zu nehmen, dass 1940 Heidelberg als erste deutsche Stadt "judenfrei" gemeldet wurde?
Das Publikum reagierte geteilt. Während immer wieder jemand vorzeitig die Kirche verließ, gab es am Schluss auch begeisterten Beifall.