Charlotte Schneidewind-Hartnagel im Interview

"Der Klimaschutz beginnt im Kommunalen"

Im Interview äußert sich MdB Charlotte Schneidewind-Hartnagel zu Themen wie Corona-Maßnahmen, Kliniken und Klimawandel

08.12.2020 UPDATE: 09.12.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 59 Sekunden
„Es geht um unsere Zukunft und unsere Welt“, betont die grüne Bundestagsabgeordnete Charlotte Schneidewind-Hartnagel im RNZ-Interview. Deshalb spricht sie sich für ein großes Engagement des Landkreises aus, um bis 2030 klimaneutral zu werden. Foto: Alexander Rechner

Von Alexander Rechner

Neckar-Odenwald-Kreis. In der Coronakrise appelliert die grüne Bundestagsabgeordnete Charlotte Schneidewind-Hartnagel an alle Kreisbewohner, nicht den Einzelhandel und die Gastronomie um die Ecke zu vergessen. Außerdem spricht sie sich im RNZ-Interview für mehr Frauen in der Kommunalpolitik aus und äußert sich zur Schließung der Gynäkologie in Mosbach. Darüber hinaus fordert sie den Kreis auf, mehr zu unternehmen, um bis 2030 klimaneutral zu werden.

Frau Schneidewind-Hartnagel, kommen Sie trotz Corona-Einschränkungen in Weihnachtsstimmung?

Wir durchleben alle eine schwere Zeit, die viel Kraft kostet. Doch wir müssen die Pandemie beherrschen – und wir müssen der Wirtschaft helfen, die Folgen zu bewältigen. Meine persönliche Weihnachtsstimmung ist zweitrangig. Handel, Gastgewerbe, Kulturbereich und viele andere Branchen stehen stark unter Druck. Ich beschäftige mich viel damit, wie diese Corona überstehen können. Weihnachten wird dieses Jahr leider anders sein als sonst, aber wir werden Weihnachten feiern. Und es wird eine Zeit nach Corona geben.

Die Coronakrise hat für das Gastgewerbe, die Veranstaltungsbranche und den Einzelhandel gravierende Auswirkungen. Was müssen Bund und Land noch machen?

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Es gibt viele Hilfsprogramme. So werden die November-Hilfen verlängert. Aber wir alle haben es auch selbst in der Hand, dass unser Gasthaus oder das Geschäft um die Ecke durch die Krise kommt, dass wir unsere Innenstädte und Ortskerne erhalten. Sie sind das Herzstück jeder Kommune. Auch die Kultur- und Veranstaltungsbranche braucht unsere Solidarität. Es geht um wirtschaftliche Existenzen, kulturelle Vielfalt und auch darum, ein Stück Heimat zu retten. Wir müssen unbedingt verhindern, dass durch Corona bleibende Schäden entstehen. Alle Bürgerinnen und Bürger können unsere Innenstädte und Ortskerne unterstützen. Ich appelliere an uns alle: Kaufen wir lieber beim Einzelhandel vor Ort ein, statt im Internet zu bestellen. Nutzen wir die leckeren Angebote vieler Gastronominnen und Gastronomen und holen uns etwas für daheim.

Der Bund hat große Rettungsschirme aufgespannt. Wie viele Finanzhilfen kann er noch geben?

Ich möchte klarstellen, dass es nicht ausschließlich um Geld geht. Es geht darum, zu verhindern, dass ganze Branchen aussterben. Die Schließungen sind gewissermaßen ein teurer Akt der Solidarität. Erst dann stelle ich mir die Frage, woher das Geld am Ende kommen soll.

Und zu welchem Ergebnis kommen Sie?

Ich habe schon lange vor Corona befürwortet, hohe Einkommen und Vermögen stärker bzw. überhaupt zu besteuern. Gerade in der Pandemie geht es auch darum, mit öffentlichen Geldern Arbeitsplätze und Unternehmen zu schützen. Da darf es doch nicht sein, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Ende wieder die gesamte Last tragen.

Anderes Thema: Sie waren gegen die Schließung der Gynäkologie in Mosbach. Warum?

Diese Verschlechterung der Versorgung in der Frauengesundheit im Landkreis ist eine große Ungerechtigkeit. Jahrelang schrieben die Neckar-Odenwald-Kliniken rote Zahlen, das Landratsamt und die Mehrheit im Kreistag schaute zu. Erst als das Defizit zweistellige Millionenzahlen erreichte, wurden harte Maßnahmen ergriffen – zu Lasten der Frauen. Obwohl kaum jemand damit einverstanden war, und viele Frauen und Männer mit ihren Unterschriften dagegen protestiert haben, wurden die Geburtshilfe und Gynäkologie geschlossen. Das ist für mich eine Missachtung des Bevölkerungswillens und eine Bankrotterklärung für gleichwertige Lebensverhältnisse im sogenannten ländlichen Raum, zumindest für Frauen – und es war eine mehrheitlich männliche Entscheidung.

Die grüne Partei wirkt aber im Kreistag und im Aufsichtsrat mit. Machen Sie hier ihrer Partei also auch einen Vorwurf?

Im Gegenteil, das Abstimmungsverhalten und die Änderungsanträge, die die grüne Kreistagsfraktion jahrelang eingebracht hat, sprechen eine klare Sprache und haben schon früh Maßnahmen gegen das stetig steigende Defizit eingefordert. Doch davon wurde nie etwas berücksichtigt.

Sie sagten eben, es sei eine männliche Entscheidung gewesen ...

Die kommunalen Gremien sind leider überwiegend mit Männern besetzt. Ich glaube, dass ein größerer Frauenanteil im Kreistag, im Aufsichtsrat und in der Geschäftsleitung zu einer anderen Entscheidung geführt hätte. Wir brauchen mehr Frauen in der Kommunalpolitik. Wir Grüne haben einen ausgeglichenen Anteil von Frauen und Männern bei allen Wahlen und in allen Parlamenten. Wie schwer sich andere Parteien mit Frauen tun, demonstriert die CDU gerade wieder bei ihrer Bundestagsnominierung im Wahlkreis Odenwald/Tauber.

Dürfte ich Sie bitten, folgende Sätze zu vervollständigen:

Die Rückkehr der Bundeswehr in die ursprünglich stillgelegte Carl-Schurz-Kaserne in Hardheim ist ...

… für die Region positiv zu bewerten.

Die Neckar-Odenwald-Kliniken müssen in kommunaler Trägerschaft bleiben, weil ...

… nur so die wohnortnahe Sicherung der Gesundheitsversorgung erhalten bleiben kann.

Die Duale Hochschule Mosbach will ihr Baukompetenzzentrum im Obertorzentrum errichten. Diese Pläne sind ...

… sehr gut und ich unterstütze die Pläne für ein innovatives und nachhaltiges Kompetenzzentrum am Standort Mosbach ausdrücklich.

Charlotte Schneidewind-Hartnagel . Foto: Archiv

Wie kann der öffentliche Personennahverkehr im Neckar-Odenwald-Kreis gestärkt werden?

Wir müssen endlich Bus und Bahn miteinander vertakten. Und wir brauchen kreative Mobilitätskonzepte, denn bei den Passagierzahlen für Bus und Bahn in unserer Region können wir nicht nur auf den ÖPNV setzen. Im ländlich geprägten Neckar-Odenwald-Kreis werden wir nicht ganz auf Individualverkehr verzichten können. Deshalb müssen andere Antriebsarten wie Elektromobilität für Busse und Pkw eingesetzt werden. Dazu muss auch der Ausbau von Ladestationen vorankommen.

Fahren Sie ein Elektroauto?

Noch nicht, aber ich habe mir eines bestellt. Allerdings ist die Warteliste lang. Nach Berlin und auf anderen Strecken fahre ich ausschließlich mit der Bahn.

Haben wir denn noch genügend Zeit, das Klima zu retten?

Wir hätten längst anfangen müssen. Was mich beunruhigt ist, dass der Klimawandel in der letzten Haushaltsrede von Landrat Dr. Brötel nicht einmal erwähnt wurde. Das scheint für ihn kein Thema zu sein. Es geht um unsere Zukunft und unsere Welt. Ich habe das Gefühl, dass es außer meiner grünen Partei und der Bewegung "Fridays for Future" niemand so recht auf dem Schirm hat. Aber: Der Klimaschutz beginnt im Kommunalen.

Was soll denn bei diesem Thema im Neckar-Odenwald-Kreis verändert werden?

Der Kreis muss deutlich mehr tun, um bis 2030 klimaneutral zu werden. Ich höre immer wieder, das koste Geld. Doch das blendet vollkommen aus, dass der Verbrauch von Ressourcen, die Verschmutzung der Umwelt und die Emission von CO2 ebenfalls kosten. Investitionen in Klimaschutz bringen auch Mehrwert. Der ökologische, soziale und wirtschaftliche Nutzen sollte allen Investitionen zugrunde liegen. Ich bin deshalb der jungen Bewegung "Fridays for Future" im Landkreis dankbar, weil sie das Thema auf die Tagesordnung holt und sagt: Es ist unsere Welt und unsere Zukunft.

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