Wissenschaftsministerin setzt auf ein Wintersemester in Präsenz
Die Studenten bräuchten rasch ein Impfangebot. Skeptisch ist sie bei Großvorlesungen.

Von Sören S. Sgries
Heidelberg/Stuttgart. Seit 2011 verantwortet Theresia Bauer in den Kabinetten von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (beide Grüne) die Wissenschaftspolitik. Ob sie nicht noch andere Karrierepläne habe? Mit ganzer Kraft konzentriere sie sich auf ihr Ministeramt, weicht die 56-jährige Heidelbergerin im Video-Interview mit der RNZ aus. "Alle anderen Dinge ergeben sich."
Frau Bauer, die dritte Legislatur in Folge sind Sie jetzt Wissenschaftsministerin. Arbeiten Sie jetzt also nahtlos weiter an den Stapeln, die eh noch auf dem Schreibtisch lagen?
Nein. Wir wollen nicht einfach weitermachen im Haus, sondern auch wir nutzen die neue Legislaturperiode zum Aufbruch.
Das große Mammutprojekt im Koalitionsvertrag ist aber wieder einmal die Neuverhandlung des Hochschulfinanzierungsvertrags für die Zeit nach 2025?
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Das gehört sicher dazu. Ohne Grundfinanzierung geht in der Hochschullandschaft nichts. Übrigens geht es auch in der Kultur darum, Grundfinanzierung, Freiheiten und Freiräume zu sichern für die Einrichtungen. Darüber hinaus haben wir aber weitere klare Akzente gesetzt – auch im Wissenschafts- und Kulturbereich ist ambitionierter Klimaschutz ein Schwerpunkt. Gleichzeitig wollen wir mit mehr Innovationen den Strukturwandel ermöglichen, dazu gehören insbesondere die Themen Mobilität, Gesundheit und Künstliche Intelligenz. Und es geht um das Wiederankommen an den Hochschulen in einer "neuen Normalität" nach der Pandemie. Nicht zurück zum Alten, aber zurück an die Hochschulen. Es wird das erste Projekt sein, alles dafür zu tun, dass das Wintersemester ein "neues Normal" sein kann, in dem man sich wieder begegnen und in Austausch treten kann. Und wir werden über Hochschulen in der digitalen Welt reden.
Vor einer Woche hatten Sie zu "StudiGipfel" mit Winfried Kretschmann eingeladen. Da wurde noch einmal deutlich, dass die Studenten sich über lange Zeit vergessen fühlten. Wie können Sie das erklären?
Wir im Wissenschaftsministerium waren die ganze Zeit nah an den Studenten dran. Dennoch, insgesamt stimmt es schon: Zunächst standen die besonders vulnerablen Gruppen im Fokus, also die Älteren, deren Leben in besonderer Weise gefährdet war. Und dann kamen die Kinder dran, die in ihren Bildungsbiografien und den Möglichkeiten, sich zu entwickeln, besonders beeinträchtigt waren.
Sind die Studenten auch Opfer des Wahlkampfs geworden? Die Kultusministerin hat schließlich auch als CDU-Spitzenkandidatin für die Schüler und Schulen gekämpft.
Wenn’s denn so gewesen wäre. Ich finde, dass die vorige Kultusministerin sehr wenig wirkliche Schulpolitik gemacht hat und viel mit ihren anderen Aufgaben als Spitzenkandidatin beschäftigt war. Ich kämpfe im Übrigen nicht für Studenten gegen Schüler. Wir müssen im Gegenteil alles dafür tun, die Defizite, die entstanden sind, kraftvoll und gemeinsam zu bearbeiten.
Wie soll das gelingen?
Wir setzen beispielsweise gerade mit dem Kultusministerium ein Projekt auf mit Studenten, die mithelfen sollen, die Lernrückstände von Kindern und Jugendlichen an den Schulen zu bewältigen. Das soll noch in diesem Schuljahr starten.
Können Sie eigentlich erklären, warum für das Studium so andere Regeln galten als beispielsweise für Arbeitsplätze? Im Büro blieben ja Kontakte erlaubt.
Wir haben das eine oder andere ja ermöglicht – etwa Laborpraktika oder die Behandlung am Patienten für die Medizinstudierenden. Wir hatten fast immer die Bibliotheken offengehalten als Lernräume. Auch jetzt gibt es Spielräume im kleinen Format für die Erst-, Zweit- und Drittsemester. Aber für eine Übergangszeit ist auch das Online-Studium durchaus vertretbar. Wir mussten ja kontaktarm werden als Gesellschaft. Die Studenten haben bewiesen, dass sie Solidarität können. Jetzt aber ist die Zeit gekommen, die wachsenden Spielräume zu nutzen. Die jungen Leute müssen Perspektiven haben.
Haben Sie schon Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Leistungen der Studenten?
Wir haben noch keine Zahlen, ob es vermehrt Studienabbrüche gibt. Wir haben auch keine Zahlen, dass die Noten schlechter geworden seien – eher sieht es so aus, dass sie stabil oder leicht besser sind. Es scheint auch eine ähnliche Entwicklung erkennbar zu sein wie an Schulen: Die Starken werden eher besser, die Schwächeren schwächer. Die Schere darf aber nicht weiter auseinandergehen.
Das Sommersemester läuft mit Abstand - aber die Hoffnungen ruhen auf dem Wintersemester. Schaffen wir es, bis dahin auch Studierende ausreichend zu impfen?
Das muss unser Ziel sein, damit wir zu einem neuen Präsenzbetrieb an den Hochschulen zurückkehren können. Der begrenzende Faktor ist die Frage: Ist genügend Impfstoff vorhanden? Da muss der Bund genügend organisieren. Dann muss es möglich sein, dass bis Mitte August, Anfang September alle, die möchten, ein Impfangebot erhalten.
Für einen vollen Impfstatus sind zwei Impfungen in größerem Abstand notwendig. Das ist doch unrealistisch bis zum Semesterbeginn im September oder Oktober.
Die erste Impfung müsste im Laufe des Julis stattfinden. Die zweite im August oder September. Ich kann nicht in die Kristallkugel schauen. Wenn aber Lieferungen wie zugesagt kommen und auch die neuen Anbieter wie Curevac an den Start gehen, bin ich zuversichtlich. Wir können das schaffen. Ich kämpfe dafür. Beim Impfgipfel heute mit Kanzlerin Merkel muss nicht nur über die Schüler, sondern auch über die Studenten geredet werden.
Wie sehen die Notfallpläne aus, wenn das nicht reicht?
Das Backup wäre eine engmaschige Testung. Wir können aus den Komponenten Impfen, Testen, Abstandsregeln mehr machen. Wir müssen nicht 500 Leute in die großen Hörsäle setzen zu einem Zeitpunkt, an dem die Pandemie noch nicht überwunden ist. Das Seminar aber, in dem man miteinander in Austausch tritt, das muss möglich sein.
Also kehrt wieder Leben an den Unistädten ein?
Unbedingt! Der Grundsatz muss sein, dass die Studenten wieder an den Ort des Studiums kommen und studieren – und nicht mehr im Kinderzimmer zuhause bei Mama und Papa.
Wenn Sie auch grundsätzlich über die Hochschulen in der digitalen Welt reden wollen: Was wollen Sie fortführen?
Wir haben auch sehr gute Erfahrungen gemacht: Das asynchrone Lernen, unabhängig von Zeit und Ort, ist ein Fortschritt. Viele Studenten wünschen sich auch in Zukunft, die Vorlesung noch einmal nacharbeiten zu können. Auch interaktive Elemente wurden schon etabliert, eine bessere Feedback-Kultur kann online ermöglicht werden.
Wie sieht es mit der Forschung aus?
In allen Disziplinen muss viel mehr mit digitalen Tools und Daten gearbeitet werden, um bessere Ergebnisse zu erreichen. Deswegen müssen wir die Infrastrukturen unserer Hochschulen weiter ertüchtigen, auch Kooperationen über Standorte hinweg ermöglichen – das gilt auch im globalen Maßstab.
Sind da nicht eher der einzelne Professor, die einzelne Hochschule gefragt und weniger das Land?
Bei der Lehre könnten wir über gemeinsame Plattformen Lehrtools, Erklärvideos oder Ähnliches zugänglich machen – über Standorte hinweg. Bei der Forschung geht es darum, Daten zu teilen, gemeinsam zu nutzen. Dafür muss man aber Standardisierungen für die Verwendung von Daten vereinbaren – das kann eine Hochschule nicht allein. Wir werden auch darüber reden müssen, wie man einen forschungsfreundlichen Datenschutz entwickelt. Der Datenschutz ist bislang eine der größten Bremsen im Gesundheitsbereich, weil er sehr wenig flexibel und nicht forschungsfreundlich gestaltet ist.
Sie wollen auch einige "Forschungs-Leuchttürme" ausbauen, etwa den Innovationscampus Rhein-Neckar. Was ist da in den kommenden Jahren zu erwarten?
Wir wollen die Regionen, die etwas besonders gut können, auch besonders stark wachsen lassen. Die ganze Region Heidelberg-Mannheim hat in Lebenswissenschaften und Medizin herausragendes Potenzial. Wir haben hier eine Dichte an Forschungseinrichtungen und Unternehmen wie an kaum einem anderen Ort in Deutschland. Ich bin fest davon überzeugt, solche Kooperationen entstehen nicht allein durch den politischen Willen – sondern es braucht vor allem Akteure vor Ort. In Mannheim und Heidelberg erleben wir derzeit, dass die Akteure wirklich an einem Strang ziehen. Hiervon wird eine ungeheure Kraft ausgehen und eine Dynamik entstehen, die die attraktivsten Talente aus aller Welt anziehen wird. Wir werden viele Mittelgeber finden, die hier investieren.
Die Uniklinik Mannheim können Ihnen zunächst aber vor allem auf der Tasche liegen: Die Stadt Mannheim will ja nicht mehr Träger sein, das Land könnte übernehmen.
Hier geht es um eine Verpflichtung mit dauerhaften Konsequenzen finanzieller Art, wenn wir dieses kommunale Universitätsklinikum in Landesträgerschaft übernehmen. Wir werden gründlich prüfen, wie hoch die finanzielle Belastung ist, damit der Landtag weiß, worüber er entscheidet. Wir wollen niemandem vormachen, dass das ein Schnäppchen ist. Das wird es nicht sein. Ich glaube aber, dass die Investition gut und richtig ist. Für die Region und für das Land. Die Potenziale, die in Mannheim gewachsen sind – die Qualität der Ausbildung an der medizinischen Fakultät, aber auch das Forschungsumfeld – sollten wir erhalten und weiterentwickeln und sie nicht verkümmern lassen, weil die Stadt Mannheim alleine die Kraft nicht aufbringt. Das Modell "kommunal getragenes Uniklinikum" ist ans Ende seiner Kräfte gekommen.
Vor den Koalitionsverhandlungen hieß es, für jede Investition solle auch eine Einsparoption benannt werden. Ist das aktuell auch im Kabinett die Ansage?
Es wird immer nach Gegenfinanzierungen gesucht. Ich halte das für eine richtige Herangehensweise. Deswegen will ich mich grundsätzlich dieser Aufgabe auch stellen. Ich sage aber auch: Wissenschaft ist ein wachsendes System. Wir haben mehr junge Menschen an den Hochschulen, wir haben mehr Ideen, die wir zur Reife bringen müssen. Wissenschaft und Forschung sind eine Kraftquelle für die ganze Gesellschaft. Daraus werden wir nur wenige Einsparprojekte beisteuern können. Wir haben für diese Legislaturperiode das Thema Innovation und Transformation großgeschrieben. Das geht nicht ohne Wissenschaft, das geht nicht ohne Forschung.
Vor fünf Jahren haben Sie Studiengebühren für internationale Studierende eingeführt. Wollen Sie hier nachsteuern? Sie erhöhen oder abschaffen?
Wir haben die Schwierigkeit, dass wir, nachdem die Gebühren eingeführt wurden, nur zweieinhalb Jahrgänge hatten bevor Corona kam. Die ersten Jahre haben gezeigt, dass sich nach einem ersten Rückgang – übrigens schneller als gedacht – die Zahlen wieder normalisiert haben. Wir werden das weiter beobachten – nicht nur, woher die Studenten kommen, sondern auch, wie es mit dem Studienerfolg aussieht. Unser Ziel war und ist, dass sich die Betreuung der Studenten, die zu uns kommen, verbessert und dass diese ihr Studienziel auch erfolgreich abschließen.
Schauen wir noch auf den Kulturbereich: Haben Sie schon ein Gespür dafür, wie massiv die Einbrüche sein werden?
Belastbare harte Zahlen haben wir nicht, aber natürlich ist der Kulturbereich besonders betroffen, die Umsatzeinbrüche sind enorm. Die institutionell öffentlich geförderten Kultureinrichtungen sind weiterhin da, aber stark gelitten haben diejenigen, die sich als Soloselbstständige durch die Krise bringen mussten, und die gesamte Kreativwirtschaft. Für sie gab und gibt es Hilfsangebote, aber wir werden sehr genau beobachten müssen, wie sich die Situation entwickelt. Wir tun jedenfalls alles dafür, die Kultur über Corona-Hilfsprogramme am Leben zu halten.
Die Gelder stehen bereit?
Ja, sicher. Es laufen aktuell passgenaue Programme – und es wird weitere geben.
Zum Abschluss noch der Blick auf Ihre Karriere: Mit Danyal Bayaz als Finanzminister und Ihnen ist das "Team Heidelberg", wie Sie es selbst nennen, stark im Kabinett. In anderen Parteien hätte das mit Blick auf den Regionalproporz große Probleme gegeben. Ein Zeichen, dass Sie in nächster Zeit mit anderen Möglichkeiten liebäugeln?
Das Regionalproporz-Thema steht bei uns nicht im Vordergrund. Es geht um Qualität. Ich freue mich außerordentlich auf die Zusammenarbeit mit Danyal Bayaz – er ist ja ein langjähriger Bekannter. Zwei Heidelberger passen ganz hervorragend ins Kabinett, auch dauerhaft.
Ihr Name kursierte auch immer wieder, wenn es um die Nachfolge von Winfried Kretschmann ging. Jetzt sind Sie die Last des Untersuchungsausschusses los. Laufen Sie sich als mögliche Spitzenkandidatin 2026 warm?
Es ist schön, dass die Jahre des Untersuchungsausschusses am Ende gezeigt haben: Nichts ist an den Vorwürfen dran gewesen. Das haben sowohl der Untersuchungsausschuss als auch der Verwaltungsgerichtshof am Ende bestätigt. In der Tat kann ich meine Energie wieder anderen Themen widmen. Ich habe schon früher keine entsprechenden Karrierepläne verfolgt – auch wenn viele darüber spekuliert haben. So wird es bleiben. Ich leite das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst mit großer Freude und konzentriere meine ganze Kraft auf Wissenschaft und Kultur. Alle anderen Dinge ergeben sich.