"Alles weitermachen wie immer, das ist nicht mein Stil"
Danyal Bayaz will als Finanzminister auch ein paar Dinge auf den Prüfstand stellen. An der Schuldenbremse werde aber "nicht gerüttelt" verspricht er.

Von Sören S. Sgries
Stuttgart. Er halte Danyal Bayaz für ein "großes Talent" sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann im RNZ-Interview über den 37-jährigen Grünen-Politiker. "Die Führungspersönlichkeit springt ihm aus jedem Knopfloch." Seit gut einer Woche ist der gebürtige Heidelberger jetzt Finanzminister. Der RNZ gab er, via Videokonferenz, sein erstes ausführliches Interview zu seinen Ambitionen im neuen Amt – und wie er das bald mit seiner neuen Rolle als Vater vereinbaren will.
Herr Bayaz, dass Sie jetzt baden-württembergischer Finanzminister sind: Hat Sie das genauso überrascht wie alle anderen?
Natürlich hat mich das überrascht – ich hatte ja eigentlich andere Pläne. Gedanklich hatte ich mich auf den Bundestagswahlkampf eingestellt. Als Winfried Kretschmann mir gegenüber das erste Mal die Option in den Raum gestellt hat: Das kam für mich überraschend. Aber es ist eine tolle, vermutlich eine einmalige Chance, Politik in meinem Heimatland konkret zu gestalten.
Angesichts knapper Kassen sind es ja eher unattraktive Zeiten, um für den Landeshaushalt verantwortlich zu sein...
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Wir sind ein Export- und Industrieland, deswegen hat uns die Pandemie im Kern getroffen – auch, was die Finanzlage im Land angeht. Jetzt stabilisiert sich die Konjunktur. Die Steuereinnahmen ziehen langsam nach. Wir machen Fortschritte beim Impfen. Deswegen schaue ich vorsichtig optimistisch nach vorne. Aber die Situation ist tatsächlich nicht einfach. Ich stelle mich gerne dieser Verantwortung. Die Zukunftsaufgaben sind ja nicht weg, sondern durch Corona eher größer denn je. Gegen die Klimakrise gibt es keinen Impfstoff. Die Digitalisierung muss man auch gestalten. Da möchte ich gerne meinen Beitrag leisten, damit Baden-Württemberg auch in Zukunft ganz vorne mitspielt.
Im Koalitionsvertrag steht alles unter Haushaltsvorbehalt. Ist Ihre Rolle als Finanzminister damit klar definiert als "Sparkommissar", der vor allem das Geld zusammenhalten und Haushaltslöcher stopfen muss?
Das ist Teil der Jobbeschreibung. Ich kenne im Übrigen keinen Koalitionsvertrag, der nicht unter Haushaltsvorbehalt steht. Das ist nichts Neues, sondern der Normalfall. Wenn mehr Geld da ist, lässt sich vieles umsetzen und der ein oder andere Konflikt zukleistern. Aber auch dann wird um Geld gerungen. Deshalb gilt es immer, Prioritäten zu setzen. Ich denke dabei vor allem an die Zukunftsaufgaben: Klimaschutz, Digitalisierung, unsere Bildungslandschaft. Kurzfristig müssen wir uns darauf konzentrieren, das wirklich Notwendige zu priorisieren. Aber alle Indikatoren deuten auf bessere Zeiten hin.

Die Mai-Steuerschätzung fiel ja schon deutlich besser aus als befürchtet. Haben Sie schon weitere Reserven entdecken können?
Ich habe eine Führung durchs Ministerium gemacht – Schatztruhen hab ich keine gesehen. Aber Spaß beiseite: Die Steuerschätzung ist besser als die im November, aber immer noch schlechter als die in der Vor-Corona-Zeit. Wir alle sind pandemiemüde. Trotzdem sollten wir jetzt nicht nachlässig werden. Die Pandemiebekämpfung ist jetzt die beste Wirtschaftspolitik, die wir machen können. Wenn sich das Wirtschaftsleben wieder stabilisiert, werden auch die Steuereinnahmen nachziehen.
Sehen Sie denn Bedarf, dass zur Pandemiebekämpfung noch einmal Schulden aufgenommen werden müssen?
Das werden wir uns ganz genau anschauen. Wir arbeiten gerade an einem Nachtragshaushalt. Dazu werde ich dem Ministerpräsidenten zeitnah einen Vorschlag unterbreiten.
Die Schuldenbremse steht aber?
Sie spielen auf die spannende Debatte auf Bundesebene an, an der ich mich immer wieder beteiligt habe. Auf der Landesebene stellt sich die Situation anders dar. Ziemlich genau vor einem Jahr hat der Landtag von Baden-Württemberg die Schuldenbremse in der Verfassung verankert. Sie steht auch im Koalitionsvertrag. Diese Spielregeln gelten. Sie gelten natürlich auch für den Finanzminister, und ich werde sie aktiv einfordern.

Ihre vorherigen Reformüberlegungen schieben Sie einfach beiseite?
Die Schuldenbremse ist eine Errungenschaft, um künftige Generationen vor zu großen Schulden zu schützen. Wie wir das mit Investitionen unter einen Hut bekommen, darüber machen wir uns Gedanken. Warum sollten wir nicht schauen, wo wir dieses Instrument innerhalb des geltenden Rahmens intelligent weiterentwickeln? Aber der Rahmen gilt, daran wird nicht gerüttelt.
Gerade bei den Grünen dominiert aber die Überzeugung: Für kommende Generationen ist der Erhalt des Planeten mindestens so wichtig wie schuldenfreie Haushalte. Wie gehen Sie mit den damit einhergehenden Erwartungen um?
Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ja ein wegweisendes Urteil gefällt. Knapp zusammengefasst: Klimaschutz ist auch Freiheitsschutz. Dem gerecht zu werden, auch mit Investitionen, das ist die große Aufgabe, die wir haben. Gerade ein Industrieland wie Baden-Württemberg ist da besonders gefragt. Wir haben viele Unternehmen, die beim Thema Klimaschutz sehr weit sind. Wir als Regierung müssen jetzt die richtigen Weichen stellen.
Aber ohne selbst Geld in die Hand zu nehmen?
Natürlich braucht es staatliches Engagement, gerade dort, wo der Staat Eigentümer ist wie bei landeseigenen Gebäuden. Ich warne aber davor, alles nur mit staatlichen Investitionen lösen zu wollen. Das ist zu kurz gedacht. Wir haben unheimlich viel privates Kapital. Das werden wir brauchen – und es kommt auf unsere Regeln an, mit denen wir diesem Kapital eine intelligente Richtung geben können. Es macht einen Unterschied, ob man am Finanzmarkt Geld für ein Gas- oder Kohlekraftwerk oder für einen neuen Windpark einsammelt. Dabei dürfen wir natürlich nicht allzu viel Zeit verlieren, aber eine Legislatur dauert fünf Jahre. Seien Sie versichert: Klimaschutz steht ganz hoch im Kurs. Da spricht der Koalitionsvertrag eine sehr klare Sprache.
Lassen Sie uns noch ein bisschen auf Ihre persönlichen Voraussetzungen schauen: Sie sind mit 37 Jahren mit Abstand der jüngste Minister am Kabinettstisch, saßen nicht einmal eine ganze Legislatur im Bundestag. Haben Sie keine Bedenken, dass Ihnen die Erfahrung fehlt?
Ich bringe finanzpolitisches Rüstzeug mit. Ich war in der Wirtschaft tätig, habe viele Unternehmen aus dem Finanzsektor, aber auch öffentliche Behörden beraten. Im Bundestag war ich Mitglied im Finanzausschuss und stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss, was mir jetzt zugute kommt. Erfahrung ist das eine. Das andere sind Charaktereigenschaften, Führungsqualitäten und politische Überzeugungen. Wir brauchen keine Leute in politischen Verantwortungspositionen, die alles besser wissen. Wir brauchen die Bereitschaft, jeden Tag ein wenig dazuzulernen, um es besser zu machen. Den Willen dazu bringe ich mit. Und im Finanzministerium habe ich ein hochengagiertes, topmotiviertes, hochkompetentes Team um mich.
Wenn man Unternehmensberater hört, denkt man schnell an diejenigen, die Abteilungen schließen und Personal abbauen. Sind Sie auch so einer, der ohne zu zögern den Rotstift ansetzt?
Das ist ein bisschen ein Vorurteil gegenüber Unternehmensberatern. In der Landespolitik gab es in den letzten Tagen allerdings – ganz im Gegenteil - die Kritik daran, dass ein neues Ministerium geschaffen wird. Ich halte es für eine gute Entscheidung, das Thema Wohnen so aufzuwerten. Wir brauchen in dieser Zeit einen starken Staat, der durch die Krise führt. Wir brauchen kompetente Menschen in der öffentlichen Verwaltung. Wir werden aber auch Dinge auf den Prüfstand stellen. Alles weitermachen wie immer, das ist nicht mein Stil. Der Modernisierungsbedarf in der öffentlichen Verwaltung, auch in den Ministerien, ist enorm. Das haben wir gerade in der Corona-Pandemie gesehen. Wir brauchen einen starken, aber eben auch modernen, bürgernahen und agilen Staat.
Wenn man bei Ihnen nach Vorbildern sucht, stößt man auf Barack Obama: Seine Autobiografie haben Sie im Winter gelesen und sich sehr angetan gezeigt von seinen Erinnerungen an die Bewältigung der Finanzkrise.
Obama-Vergleiche verbieten sich natürlich. Für mich ist Barack Obama eine extrem inspirierende Persönlichkeit: Jemand, dem es nicht in die Wiege gelegt war, amerikanischer Präsident zu werden. Er hat unheimlich viel angeschoben. Was mich an ihm besonders fasziniert hat: Wo immer es möglich war, parteiübergreifend Brücken zu schlagen und gesamtgesellschaftliche Projekte anzustoßen. Diese fraktionsübergreifende Arbeit für die Sache habe ich auch im Wirecard-Untersuchungsausschuss sehr zu schätzen gelernt. Inspiriert hat mich übrigens auch der erste amerikanische Finanzminister Alexander Hamilton. Und natürlich habe ich mit meiner Vorgängerin, Edith Sitzmann, in den vergangenen Tagen viel Zeit verbracht. Sie hat unheimlich viel Erfahrung, von der ich profitieren darf.
Im Wirecard-Ausschuss haben Sie ja auch Olaf Scholz befragt. Haben Sie da was mitnehmen können – außer dem Wunsch, niemals in so eine Lage zu kommen?
Olaf Scholz war als wichtiger Zeuge im Untersuchungsausschuss geladen. Ich war Oppositionspolitiker. Jetzt bin ich sein Amtskollege. Wir haben uns bisher geschätzt. Wir schätzen uns jetzt. Olaf Scholz darf damit rechnen, dass sich Baden-Württemberg auch künftig bei wichtigen Finanzdebatten einbringen wird. Da freue ich mich auf die Achse Stuttgart-Berlin – und bin gespannt, was sich nach der Bundestagswahl verändert.
Kommen wir zum Abschluss zum ganz Privaten: Sie werden voraussichtlich im Juni das erste Mal Vater. Werden Sie als Finanzminister Vorreiter sein und in Elternzeit gehen?
Ich werde mein Privatleben aus der Öffentlichkeit ausklammern. Aber Sie haben Recht: Ich bekomme Nachwuchs, das hat Einfluss auf meine berufliche Tätigkeit. Als ich mit Winfried Kretschmann darüber gesprochen habe, nach Stuttgart zu kommen, habe ich auch diesen Aspekt betont. Ich erinnere mich gut: Als Kai Schmidt-Eisenlohr als grüner Landtagsabgeordneter erstmalig Elternzeit genommen hat, hat das Wellen geschlagen. Warum sollte das nicht auch ein Minister können? Ich möchte meinen Beitrag leisten und zeigen, dass auch politische Verantwortungsträger Familie und Beruf unter einen Hut bekommen können und müssen.
Ist das also ein Ja zur Elternzeit?
Ich glaube nicht, dass ich wirklich formal einen Antrag stellen müsste. Aber mich eine Zeit rauszuziehen aus den Geschäften, das ist mir ein wichtiges Anliegen. Gerade nach der Geburt will ich schauen, dass ich möglichst viel Zeit zuhause verbringe. Da werden sich Lösungen finden – ich habe ja auch eine erfahrene Staatssekretärin im Haus.
Als Finanzminister müssen Sie unser Steuergeld beisammen halten. Wo wird der Privatmann Danyal Bayaz künftig sein Geld ausgeben? In seiner Heimatstadt Heidelberg? In Stuttgart? In München?
Ich bin Finanzminister in Baden-Württemberg – da werde ich im ganzen Land viel unterwegs sein, von Weinheim bis zum Bodensee. Noch wohne ich in Heidelberg. Perspektivisch werde ich eine Wohnung in Stuttgart anmieten. Meine Lebensgefährtin lebt in München – das war auch so, als ich in Berlin war. Das kriegt man alles gut unter einen Hut. Ich bin aber immer froh, meine Zeit in meiner Geburts- und Heimatstadt verbringen zu können – sei es auf der Neckarwiese, am Philosophenweg oder an der Tiefburg in Handschuhsheim. Das sind die Orte, die ich vor Augen habe, wenn ich an Heimat denke. Und am liebsten gebe ich mein Geld in lokalen Eisdielen meines Vertrauens aus. Das werde ich auch in Zukunft so handhaben.