Danyal Bayaz

Steile Lernkurve, steile Karriere

Vor vier Jahren wurde Danyal Bayaz in den Bundestag gewählt. Jetzt wird er Finanzminister. Wer ist dieser 37-Jährige, der Heidelberg seine "Homebase" nennt?

10.05.2021 UPDATE: 11.05.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 6 Sekunden
Auf einer Wellenlänge: Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir (l.) vor zwei Jahren mit Danyal Bayaz beim Redaktionsbesuch in der RNZ. Foto: Philipp Rothe

Von Sören S. Sgries

Heidelberg. Was einen guten Bundestagsabgeordneten ausmache? Glaubwürdig müsse er sein, kompetent, "vielleicht nicht gerade auf den Mund gefallen", sagt Danyal Bayaz. So stehe das bestimmt in irgendeinem Handbuch. Etwas Entscheidendes fehle aber noch: "Ich finde, man kann diesen Job nicht gut machen, wenn man nicht bereit ist, jeden Tag dazuzulernen."

Ziemlich genau einen Monat ist es her, dass der 37-Jährige sich mit diesen Worten erneut um den Einzug in den Bundestag bewarb. Listenplatz 6. Man kann die Parteitagsrede noch heute auf Youtube abrufen. Wichtig ist sie nicht mehr. Denn Bayaz und der Bundestag: Das ist vorerst Geschichte. Arbeitsplatz wird künftig Stuttgart sein, das opulente Neue Schloss mitten in der Innenstadt, in dem der Finanzminister residiert.

Als aus dem Grünen-Parteimitglied im September 2017 offiziell auch ein Grünen-Politiker wird, ist das zunächst eine zittrige Sache: Der Kandidat aus dem "rabenschwarzen" Spargelwahlkreis Bruchsal-Schwetzingen zieht über die Landesliste, damals Platz 12, gerade so ins Parlament ein. Die Jamaika-Verhandlungen lehren ihn zunächst einmal Demut. Eine 8,9-Prozent-Partei müsse "gönnen können", bereitet er die Parteibasis auf schmerzhafte Kompromisse in einem inhaltlich schwierigen Bündnis mit CDU und FDP vor. Der Neuling hofft auf eine Regierungsbeteiligung – zum 34. Geburtstag gibt es Socken in Schwarz, Grün, Gelb. Und als die Jamaika-Verhandlungen platzen? Ist Bayaz zwar enttäuscht – stürzt sich danach aber mit umso größerem Ehrgeiz in die Oppositionsarbeit.

"Wenn man in mein Zimmer im Bundestag kommt, hängt da Muhammad Ali an der Wand", sagt Bayaz später einmal. "Das ist meine Kategorie von Vorbildern."

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Noch einer, an dem er sich orientiert: Cem Özdemir, der 18 Jahre ältere frühere Chef der Bundes-Grünen und Fraktionskollege. In einem großen Doppelinterview loten die beiden Anfang 2019 in der Rhein-Neckar-Zeitung Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus.

Der Migrationshintergrund verbindet beispielsweise – auch wenn Bayaz, geboren und aufgewachsen in Heidelberg, wegen des türkischen Vaters in Besitz der doppelten Staatsbürgerschaft, selbst sagt, er sei in Sachen Rassismus lange Zeit recht unbehelligt durchs Leben gegangen. "Zu meiner persönlichen Lebenserfahrung gehörte das nicht." Und er sinniert: "Vielleicht ist Heidelberg ein super Ort. Vielleicht habe ich auch nicht genau hingesehen." Als großer Hiphop-Fan habe er beispielsweise "eine sehr persönliche Lernkurve" hingelegt, was fragwürdige Texte angehe.

Anders als Özdemir sieht sich Bayaz im Parlament aber nicht automatisch wegen seines Namens in die Rolle des "Integrationsbeauftragten" gedrängt. Sein Steckenpferd stattdessen: die Wirtschafts- und Finanzpolitik – auch wenn es zunächst in der Fraktion nur für die Sprecherfunktion für Start-ups reicht.

Aber mit Politik- und Wirtschaftsstudium, Promotion (über "Heuschrecken" und die Fehlentwicklungen in der Finanzwirtschaft) und vor allem fünf Jahren Erfahrung als Unternehmensberater bei der renommierten "Boston Consulting Group" hat Bayaz sowohl das fachliche Fundament als auch den Ehrgeiz, sich breiter einzubringen.

Die Grünen-Fraktion setzt ihn an die Spitze des "Wirtschaftsbeirats", der den offenen Austausch mit Unternehmensführern pflegt. SPD-Finanzminister Olaf Scholz macht er durch seine Anfragen das Leben schwer – vor allem, als er im Oktober 2020 Grünen-Obmann im Wirecard-Untersuchungsausschuss wird. Eine große Bühne, auf der man aber auch in Fachkreisen genauestens wahrgenommen wird – und offenbar auch in der Villa Reitzenstein.

Winfried Kretschmann ist von der Kurpfälzer Nachwuchshoffnung offenbar so angetan, dass er ihm – trotz guter personeller Alternativen im Landtag – den prestigeträchtigen Posten anbietet. Obwohl mit Wissenschaftsministerin Theresia Bauer ja schon eine Heidelbergerin im Kabinett sitzt. Im Hinterkopf behalten sollte man außerdem: Die letzten fünf Jahre leitete die vorherige Fraktionsvorsitzende Edith Sitzmann, Kretschmanns Vertraute und heiße Nachfolgekandidatin, das Ministerium. Den Posten angeboten zu bekommen: eine riesige Chance.

Läuft sich Bayaz also als Kretschmann-Nachfolger warm? Er selbst würde vermutlich entsprechende Fragen entrüstet zurückweisen. Über Karrierepläne spricht er nicht – er macht einfach. Auch öffentlich dazu äußern, wie er die Herausforderung angehen wird, mit seinen 37 Jahren den über 50-Milliarden-Euro schweren Landeshaushalt zu managen, will er sich vorerst noch nicht. Vereidigt werden die Minister am Mittwoch, Amtsübergabe mit Vorgängerin Sitzmann soll am Freitag sein. Bis dahin herrscht disziplinierte Ruhe.

Einen Einblick in seine Vorstellungen von Finanzpolitik erlaubt aber ein Interview, das vor einer Woche in der Zeitschrift "Capital" erschien. "Wir müssen die Stärke von privatem Kapital erkennen, nutzen und ihm eine Richtung geben", sagte Bayaz. "Es macht einen Unterschied, ob der Kapitalmarkt ein Kohlekraftwerk oder einen großen Windpark finanziert." Ein interessanter Ansatz, wenn Corona-bedingt wenig Landesbudget für ambitionierte Klimaschutzprojekte bereitsteht. "Sparkommissar Bayaz"? Darauf wird er sich wohl nicht reduzieren.

Doch wird man den "Sohn der Stadt" auch künftig in Heidelberg sehen? "Man muss sich eisenhart disziplinieren, um noch ein paar Freiräume zu haben", hatte Bayaz nach einigen Wochen im Bundestag festgestellt. Aber versprochen: "Ich komme von hier, ich habe hier meine Homebase. Ich werde nicht in der Berliner Blase aufgehen."

Tatsächlich tauchen auf seinem sorgfältig gepflegten Instagram-Profil immer wieder Schnappschüsse vom Neckar auf. Auch mit der 93-jährigen Babaane (türkisch für Oma) vor der Handschuhsheimer Tiefburg. Ein paar Bilder gibt es allerdings auch von bayerischen Seen – Lebensgefährtin ist Katharina Schulze (35), die Grünen-Fraktionsvorsitzende im bayerischen Landtag. Noch so eine Nachwuchshoffnung.

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