Ein "Freispruch" auf 120 Seiten
In der Affäre liegt nun die Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichtshofs vor. Wissenschaftsministerin Bauer darf sich freuen.

Von Sören S. Sgries
Heidelberg/Stuttgart. Als "Befreiungsschlag" für Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) wurde es Anfang Oktober 2020 gewertet, dass der Verwaltungsgerichtshof (VGH) ihrem Ministerium Recht gab: Die vorzeitige Entlassung der früheren Rektorin der Ludwigsburger Verwaltungshochschule im Jahr 2015 war laut VGH-Urteil rechtmäßig. Die Gerichte hatten damit durch (fast) alle Instanzen hindurch sämtliche Vorwürfe, die der grünen Ministerin in der "Zulagenaffäre" gemacht wurden, geprüft und letztlich entkräftet. Vier Monate später wurde am Mittwoch die 120-seitige schriftliche Urteilsbegründung den Mitgliedern des Wissenschaftsausschusses zugesandt. Auch der RNZ liegt das noch unveröffentlichte Dokument vor.
Warum geht es in dem Fall? An der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen waren mehreren Professoren rechtswidrig Zulagen zu ihrem Grundgehalt gewährt worden. Aufgefallen war das 2011 unter einer neuen Rektorin, die bei der Aufarbeitung intern auf erheblichen Widerstand stieß. Die Gremien der Hochschule – sowohl Hochschulrat als auch Senat – stellten sich gegen die Rektorin. Wissenschaftsministerin Bauer wird vorgeworfen, nicht frühzeitig eingegriffen zu haben. Sie verwies lange auf die Hochschulautonomie, setzte aber 2014 eine Kommission zur Aufarbeitung ein, die einen personellen Neuanfang empfahl. Die Rektorin wurde 2015 abgewählt und klagte dagegen – das Ministeriums wehrte sich. Von 2017 bis Oktober 2019 gab es zur "Zulagenaffäre" auch einen Untersuchungsausschuss des Landtags.
War die Entlassung der Rektorin rechtens? Ja. Im Urteilstext heißt es jetzt, die vorzeitige Entlassung der Rektorin aus dem Amt sei "nicht zu beanstanden", weil "ein wichtiger, die Beendigung rechtfertigender Grund in ihrer Person vorliegt und von einem rechtsmissbräuchlichen Einsatz des Instruments der vorzeitigen Beendigung des Amts nicht ausgegangen werden kann". Auch seien "die Grenzen des Entscheidungsspielraums" von keinem Beteiligten überschritten worden.
Hätte es andere Möglichkeiten gegeben, die Konflikte zu lösen? Laut Gericht belegten die Akten "eindeutig, dass die zwischen der Klägerin und der Kanzlerin sowie einer Vielzahl weiterer an der Hochschule tätigen Personen entstandenen Spannungen und Konflikte seit dem Jahre 2014 immer weiter eskalierten und eine gedeihliche Zusammenarbeit weitgehend unmöglich machten". Das Gericht sah keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Normalisierung des Verhältnisses möglich gewesen wäre. Die Schlussfolgerung der Richter: "Es bestehen keine Zweifel daran, dass eine Hochschule Schaden zu nehmen droht, wenn das Verhältnis der Inhaber dieser beiden Ämter so gestört ist, dass sie sich im Schwerpunkt mit der gegenseitigen Bekämpfung und nicht mit der Wahrnehmung der ihnen jeweils und gemeinsam obliegenden Aufgaben befassen."
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Wie wird die Rolle der Rektorin beurteilt? Hier finden sich durchaus brisante Aussagen. Laut Gericht gründeten die eskalierenden Spannungen "nicht unerheblich (zumindest auch) auf dem Führungsstil und dem persönlichen Verhalten der Klägerin", also der Rektorin. Diese galt als "taffe, Leistung verlangende Führungspersönlichkeit", was im Umgang mit selbstbewussten Hochschulprofessoren offenbar für Unmut sorgte.
Aber die Rektorin war ebenso "Opfer"? Ja. Das Gericht stellt fest, dass die Rektorin "in erheblichem Maße intrigantem Verhalten von einzelnen Gegenspielern und Gegenspielerinnen (...) ausgesetzt war." Das gehe bin hin zu disziplinar- und strafrechtlich relevantem Verhalten.
Hätte das Ministerium die Rektorin besser schützen müssen? Das Gericht nennt den Wunsch der Rektorin "nachvollziehbar", wonach das Ministerium sie hätte "wirksamer schützen müssen, insbesondere im Hinblick auf die unbegründeten und rufschädigenden Korruptionsvorwürfe". Allerdings wird auch festgestellt, es habe "nicht im Ansatz" eine Verletzung der Fürsorgepflicht gegeben. Auch hat es offenbar frühzeitig alternative Beschäftigungsangebote für die Rektorin im Falle eines freiwilligen Rückzugs gegeben.
Wie wird die "Krisen-Kommission" bewertet? Deren Unabhängigkeit war in Zweifel gezogen worden. Das Gericht bescheinigt der Kommission unter Leitung des früheren Finanzministers Gerhard Stratthaus (CDU) jedoch, es sei nicht ersichtlich, dass diese "in rechtlich bedenklicher Weise unsachlich oder rechtsmissbräuchlich beeinflusst worden sein könnte oder dass es gar zu Manipulationen am Inhalt des Kommissionsberichts gekommen wäre".
Wie reagiert das Wissenschaftsministerium auf das Urteil? Auf Anfrage erklärt eine Sprecherin dazu: "Wir sehen uns durch das Urteil des VGH in unserem Umgang mit der Vertrauenskrise an der Hochschule bestätigt." Und: "Wir freuen uns, dass wir dieses Kapitel nun endgültig schließen können und die Hochschule sich in Ruhe erfolgreich weiterentwickeln kann." Der Ministerin selbst kommt die Urteilsbegründung kurz vor der Landtagswahl politisch gelegen: Die 55-Jährige bewirbt sich erneut im Wahlkreis Heidelberg um ein Landtagsmandat. Seit 2001 sitzt die Grüne im Parlament, seit 2011 ist sie Wissenschaftsministerin.
Gibt es weitere politische Reaktionen? Sabine Kurtz, CDU-Abgeordnete und damalige Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, betonte auf RNZ-Anfrage die Bedeutung der Ausschussarbeit, auf die sich auch das Gericht beziehe. Zudem "hat unsere Aufklärungsarbeit das Wissenschaftsministerium sensibilisiert, die Hochschulen enger zu begleiten". Sie hoffe, dass es dabei bleibe. "Bemerkenswert" nannte es Kurtz, dass der VGH durchaus sehe, "dass das Wissenschaftsministerium die Rektorin im Laufe der Auseinandersetzungen an der Hochschule wirksamer hätte schützen müssen".