"Adelante"-Festival in Heidelberg.

Poetisch, politisch, provokant

Tag der indigenen Kultur: "Soliloquium" aus Argentinien und "Der Mond im Amazonas".

10.02.2024 UPDATE: 10.02.2024 06:00 Uhr 1 Minute, 44 Sekunden
Auf den Straßenumzug (links) folgen beim argentinischen Festival-Beitrag „Soliloquium“ teils poetische, teils knallhart politische Statements. In die Tiefen des Dschungels (rechts) versetzt fühlt man sich während des kolumbianischen Gastspiels „Der Mond im Amazonas“ beim ¡Adelante!-Festival. Fotos: Diego Astarita/R. Abderhalden

Von Volker Oesterreich

Heidelberg. Die kulturelle Vielfalt ist groß, die Säle sind voll und das Publikum des iberoamerikanischen Festivals ¡Adelante! zeigt sich äußerst diskussionsfreudig. Auch jetzt wieder bei den beiden Produktionen "Soloquium" aus Argentinien und "Der Mond im Amazonas" aus Kolumbien, die sich in höchst unterschiedlicher Weise der indigenen Kultur und dem Selbstbehauptungswillen unterdrückter Menschen widmen.

In beiden Fällen handelt es sich um sowohl politische als auch poetische Statements. Das ist symptomatisch für das gesamte Festivalgeschehen in Heidelberg, das an diesem Samstag mit weiteren Produktionen aus Chile und Mexiko auf die Zielgerade zusteuert.

Alle positionieren sich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung und treten für das gesellschaftliche Miteinander und die Rechte von Individuen aus Randgruppen ein.

Insofern entspricht die ¡Adelante!-Auswahl jenem Geist, der sich aktuell in vielen deutschen Städten bei den Massendemonstrationen gegen rechtsradikale Demokratiefeinde zeigt. So viel Zeitgeist ist selten bei einem Festival. Und das auch noch im Spagat über Kontinente hinweg.

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¡Adelante! unterscheidet dabei nicht zwischen großer Kunst und Laienspektakel, sondern sucht nach Theaterformen zwischen literarisch-darstellerischem Anspruch, provokanten Posen und folkloristischer Power.

Letzteres vermittelt nur auf den ersten Blick das Straßentheater-Präludium von "Soliloquium", das draußen auf der Zwingerstraße in knalliger Buntheit beginnt und drinnen auf der Bühne in einem intensiven Solo des argentinischen Performers Tiziano Cruz endet.

Er huldigt seiner Mutter und der Kultur der über Jahrhunderte unterdrückten Indigenen, thematisiert aber auch seine Ausgrenzung als Homosexueller. Damit hinterfragt Cruz repressive Machtstrukturen. Der tänzerische Straßenumzug zu Beginn sollte auf keinen Fall als karnevalistischer Mummenschanz missverstanden werden.

Ganz im Gegenteil: Das Bekenntnis des Künstlers zu seinen Traditionen ist Kraftquell und politische Aktion zugleich. Der am Ende der Vorstellung projizierte Slogan "From the river to the sea" irritiert allerdings.

Doch damit tappt man in eine Falle. Denn der Künstler schlägt sich mit diesen Worten nicht auf die Seite des palästinensischen Terrors, sondern er plädiert für die Humanität. Jedwede Anspielungen auf den Krieg im Nahen Osten, auf propalästinensische oder antiisraelische Positionen bleiben ausgeblendet. So scheint es zumindest.

Kurz darauf wird man beim "Mond im Amazonas" im Großen Haus an der Theaterstraße erst in die Tiefen des Dschungels zu einem isoliert lebenden indigenen Stamm gebeamt, um kurz darauf mit den 1969 auf dem Mond gelandeten Astronauten in noch viel weiter entfernte Gefilde zu gelangen.

Was Heidi und Rolf Abdenhalden mit dieser Produktion ihres kolumbianischen Mapo Teatro im Schilde führen, ist halb Traum, halb Schamanen-Befragung, aber auch eine Expedition, die vom Innersten der Seele bis zum Funkloch hinter dem Erdtrabanten führt.

Manches mutet dabei esoterisch überkandidelt an, auf der anderen Seite wird gezeigt, dass das Ich und das All auch nichts anderes sind als die beiden Seiten einer Medaille. Und wie stets bei diesem Festival zeigt sich das Publikum auch nach dieser Vorstellung wieder ausgesprochen applausfreudig.

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