Darsteller mit Down-Syndrom aus Peru spielen "Hamlet"
Stolz, selbstbewusst und voller Lebensfreude zeigten sich die acht Schauspieler auf der Theaterbühne.

Von Volker Oesterreich
Heidelberg. "Wir sind wir! Wir lassen uns in keine Ecke drängen! Wir haben Spaß am Leben und am Theater!" Diese Botschaften bilden, wenn auch unausgesprochen, den Kern des peruanischen "Hamlet"-Gastspiels sehr frei nach William Shakespeare. Acht Darstellerinnen und Darsteller mit Downsyndrom mischen das Publikum des iberoamerikanischen Festivals ¡Adelante! in positiver Weise auf, und zwar so sehr, dass es am Ende nicht nur Standing Ovations im Heidelberger Theater gibt, sondern ein Teil des Publikums mit der Truppe zu tanzen beginnt. Party statt Tragödie auf offener Bühne. Das muss den Peruanern erst einmal einer nachmachen.
Überschreibungen bedeutender Bühnenliteratur sind hierzulande schon seit längerer Zeit en vogue. Doch nun surft auch das Ensemble des Teatro La Plaza aus der peruanischen Hauptstadt Lima mit seiner Shakespeare-Adaption gekonnt auf dieser Welle. Chela de Ferrari, die für die Textfassung und die Regie verantwortlich ist, nutzt zum Zweck der Wiedererkennbarkeit einige, wenige Hauptmotive aus "Hamlet", um die Lust an der Verwandlung und am Spiel mit unterschiedlichen Identitäten zum Dreh- und Angelpunkt des Abends zu machen.
Wie bei Shakespeare selbst folgt auf die berühmte Frage "Wer da?" zu Beginn des Stücks der Auftrag des Geists von Hamlets Vater, der Sohn solle Rache an den Mördern, sprich an Hamlets Onkel und Thronräuber Claudius sowie an seiner Mutter Gertrud üben. Auch die im Selbstmord Ophelias endende unglückliche Liebe Hamlets zu der jungen Frau oder die Machtübernahme durch Fortinbras ganz am Ende des Dramas werden thematisiert. Sogar das Theater auf dem Theater findet statt, um die Mörder zu entlarven. Dafür muss man auf die schwarzhumorige Totengräberszene an Ophelias Grab oder den effektvollen Schwertkampf zwischen Hamlet und Ophelias Bruder Laertes verzichten. Macht nichts, denn Theater darf ja bekanntlich alles, um Neues zu schaffen.
Filmszenen einer Geburt stimmen die Besucher darauf ein, dass die als Downsyndrom bekannte Ursache des Gendefekts Trisomie 21 ein Zufall der Natur ist. Nacheinander betonen die Akteure, dass sie wegen dieses Defekts im Verlauf der Vorstellung vielleicht einmal Texthänger haben könnten, eventuell auch zu stottern oder zu grimassieren beginnen. Davon, so sagen sie, solle man sich nicht irritieren lassen. Was folgt, sind nachgespielte Probensituationen, während der sich das Ensemble seinen ganz speziellen "Hamlet" voller Selbstbewusstsein erarbeitet. Keine Angst vor großen Vorbildern, scheint dabei die Devise zu lauten. Das wird vor allem in jener Szene deutlich, in der ein Hamlet-Darsteller aus Peru vor den projizierten Bildern der Hamlet-Legende Laurence Olivier agiert. Erst ahmt er jede Geste des Großschauspielers nach, um sich dann in einem emanzipatorischen Akt von diesen Fesseln zu lösen. Die eigene Identität und die eigene Hamlet-Interpretationen zählen, nicht die Nachäfferei einer Denkmalsfigur der Schauspielkunst aus dem vergangenen Jahrhundert.
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Manches mag an die verdienstvolle Arbeit des inklusiven Theaters Rambazamba aus Berlin erinnern. Zu den dortigen Stars zählt Nele Winkler, die am Downsyndrom leidende Tochter der kürzlich 80 Jahre alt gewordenen Schauspielerin Angela Winkler. Beiden hätte dieser "Hamlet" aus Peru ausgezeichnet gefallen, bestimmt auch Angela, die selbst schon einmal in Shakespeares Paraderolle brilliert hat.