Bürgervereine aus Mannheimer Norden hoffen auf finanzielle Unterstützung
"Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält" - Existenz durch Corona-Pandemie bedroht

Von Olivia Kaiser
Mannheim. "Wer weiß, ob es uns in ein oder zwei Jahren noch gibt?" fragt Martina Irmscher. Mit "uns" meint sie die Siedler- und Eigenheimergemeinschaft Mannheim-Blumenau, deren stellvertretende Vorsitzende sie ist. Und mit dieser Befürchtung steht Irmscher nicht allein da. Auch Gudrun Müller, Vorsitzende des Bürgervereins Mannheim-Gartenstadt, teilt die Bedenken. Beide Frauen sehen Bürgerschaftsvereine durch Corona in ihrer Existenz bedroht. Aufgrund der Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg können viele Vereinsaktivitäten einfach nicht stattfinden. Die Feste, für die Vereine eine wichtige Gelegenheit, ihre Kasse aufzustocken, fallen dieses Jahr aus – ein herber finanzieller Verlust. 30 Prozent weniger Einnahmen als bisher hätten die Vereine, schätzt Harald Klatschinsky, Vorsitzender des Vereins Mannheim Neueichwald II. Als Landesverbandsvorsitzender des Verbands Wohneigentum Baden-Württemberg weiß er um die prekäre Situation.
Auch die Tatsache, dass das Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg in der vergangenen Woche ein Hilfspaket in Höhe von 15 Millionen Euro für Vereine der Zivilgesellschaft auf den Weg gebracht hat, löst bei den Vereinsvertretern aus dem Mannheimer Norden nicht unbedingt Erleichterung aus. "Bürger- und Siedlervereine erfüllen eigentlich die geforderten Kriterien nicht", erklärt Roland Weiß, stellvertretender Vorsitzender des Bürgervereins Mannheim-Gartenstadt, Stadtrat und Kandidat der Freien Wähler für die Landtagswahl 2021.
"Bürger- oder Siedlervereine werden nicht erwähnt, weil sie eigentlich nicht zum Sozialministerium gehören", erklärt ein Sprecher des Regierungspräsidiums (RP) Tübingen, das die Anträge entgegennimmt. So sollen mit dem Programm beispielsweise Mehrgenerationenhäuser, Familienzentren, freie Träger und Vereine für Jugendarbeit oder Vereine im Bereich der Demokratieförderung unterstützt werden. "In all diesen Bereichen sind wir auch tätig, aber nicht so spezialisiert. Wir leisten aber natürlich soziale Arbeit", betont Weiß.

Vereine wie der Bürgerverein Gartenstadt engagieren sich in sehr vielen Bereichen. Sie sind in der Senioren- und der Jugendarbeit aktiv, in der Gesundheitsförderung, sie verantworten Verschönerungsaktionen im Stadtteil, organisieren Nachbarschaftshilfe, Straßenfeste, Kinderfasching, Seniorennachmittage und vieles mehr. "Wir sind der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält", erklärt Martina Irmscher. Deshalb sei man sehr enttäuscht, dass bis jetzt noch keine geeignete Unterstützung für solche Vereine geschaffen worden sei. "Ich will jetzt nicht als die jammernde Vereinsvorsitzende dastehen", betont sie. Aber es mache schon betroffen, wenn so viele Ehrenamtliche scheinbar von der Landesregierung im Stich gelassen würden.
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"Wir können unsere laufenden Kosten nicht aus den Vereinsbeiträgen decken", sagt Gudrun Müller. "Schon gar nicht, wenn unsere Feste nicht stattfinden können." Dabei handelt es sich bei den Summen, welche man bräuchte, um über die Runden zu kommen, nicht um Milliardenbeträge. "5000 Euro wären es bei uns", erklärt Harald Klatschinsky. Beim Bürgerverein Gartenstadt, der eigene Räumlichkeiten hat, sind es 17.000 Euro. Derzeit entsteht ein Erweiterungsbau. "Wir haben es mit der Kulanz unserer Bank gerade so geschafft, dass das Projekt weiter laufen kann", berichtet Roland Weiß. "Man kann ja die beauftragten Baufirmen schlecht wieder nach Hause schicken." Auch die Siedler- und Eigenheimergemeinschaft Blumenau steckt mitten in einem Bauvorhaben.
Gemeinsam mit Christiane Fuchs, der Vorsitzenden der Freien Wähler/Mannheimer Liste und Kandidatin für die Landtagswahl 2021, hat Roland Weiß einen offenen Brief an die Landesregierung verfasst, in dem die beiden auf die schwierige Lage für Vereine der Zivilgesellschaft hinweisen und schnelle Abhilfe fordern. "Die Vereine haben sehr lange still gehalten", sagt Fuchs. "Während andere schon nach Unterstützung riefen, haben sie versucht, ob es nicht auch so geht – und zum Teil Nachbarschaftshilfe für Personen, die einer Risikogruppe angehören, organisiert." Deshalb könne es nicht sein, dass Ehrenamtliche, die während des Lockdowns Hilfsaktionen auf die Beine gestellt hätten, jetzt durchs Raster der Unterstützung fallen.

"In vielen Stadtteilen geht ohne die Bürgervereine gar nichts", betont Weiß. Man könne nicht riskieren, dass sie auf der Strecke bleiben. "Wir haben schon jetzt Probleme, die Motivation hochzuhalten – vor allem bei den Jüngeren", sagt Martina Irmscher. Wenn den Vereinen jetzt nicht geholfen werde, dann könne es gut sein, dass nach Corona – wenn Seniorennachmittage und Straßenfeste wieder möglich sind, kein Verein mehr da ist, der das organisiert.
Beim RP Tübingen hat man das Problem mittlerweile erkannt. "Auch Bürger- und Siedlervereine können einen Antrag ausfüllen, wenn sie gemeinnützig sind", so der RP-Sprecher. Man werde sich jeden Antrag anschauen. Wichtige Kriterien sind zudem auch, dass die Vereine ihren Sitz in Baden-Württemberg haben, aufgrund der Corona-Pandemie unverschuldet in Existenznot geraten sind und bislang keine im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehende, finanzielle staatliche Unterstützung erhalten haben. Für die Vereine aus dem Mannheimer Norden gibt es also Grund zu hoffen.