Wenn sich Bürger ängstlicher als die Statistik fühlen
Bewohner fühlen sich unsicher, obwohl es kaum Kriminalität gibt

Obwohl der Emmertsgrund einer der Stadtteile mit der niedrigsten Kriminalität ist, fühlen sich viele Bewohner nicht sicher. Foto: Rothe
Von Philipp Neumayr
Heidelberg. Ist der Emmertsgrund ein Angstraum? Geht es nach der aktuellen Heidelberger Sicherheitsbefragung, dann ja. Doch woher kommt diese Furcht? Und spiegelt sie sich in der Realität überhaupt wider? Oder trügen die Zahlen nicht vielleicht sogar?
Um diese Fragen zu klären, luden das Stadtteilmanagement Emmertsgrund und das Seniorenzentrum Boxberg-Emmertsgrund am Mittwochabend in die Emmertsgrundpassage ein. Mit dabei waren Prof. Dieter Hermann vom Kriminologischen Institut der Universität Heidelberg, Torben Wille vom Polizeirevier Heidelberg-Süd und Reiner Greulich vom Verein Sicheres Heidelberg. Micha Hörnle, Leiter der RNZ-Stadtredaktion, moderierte.
Hintergrund
Der Emmertsgrund war bis zum Entstehen der Bahnstadt Heidelbergs jüngster Stadtteil, in dem knapp 7000 Menschen wohnen. In den dreißiger Jahren befand sich hier ein Schießstand der Wehrmacht. Angesichts der Wohnungsnot der Nachkriegszeit wurde erst der direkt
Der Emmertsgrund war bis zum Entstehen der Bahnstadt Heidelbergs jüngster Stadtteil, in dem knapp 7000 Menschen wohnen. In den dreißiger Jahren befand sich hier ein Schießstand der Wehrmacht. Angesichts der Wohnungsnot der Nachkriegszeit wurde erst der direkt angrenzende Boxberg als Waldparksiedlung konzipiert, während auf dem Emmertsgrund kurz darauf vor allem Hochhäuser geplant waren. Zu den Beratern gehörte damals auch der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich, der sich allerdings bald mit den Bauherren, dem Gewerkschaftskonzern "Neue Heimat", entzweien sollte.
Der Stadtteil ist mitnichten so homogen, wie es von außen den Anschein hat: Im Norden dominieren zwar die Hochhäuser der Emmertsgrundpassage, im Süden idyllisch am Hang gelegene Ein- und Mehrfamilienhäuser. Vor zehn Jahren sollten die 610 städtischen Wohnungen in der Emmertsgrundpassage verkauft werden, was aber ein Bürgerentscheid verhinderte. Seither gibt es ein Stadtteilmanagement; zudem wurde 2012 das Bürgerhaus zum zweitgrößten Veranstaltungsraum der Stadt umgebaut. hö
Dieter Hermann hat die Sicherheitsstudie gemeinsam mit seinen Forscher-Kollegen im vergangenen Jahr durchgeführt. Er weiß: "In keinem anderen Stadtteil fühlen sich die Einwohner so unsicher wie auf dem Emmertsgrund." Im Vergleich zu vor vier Jahren sei dieses Unsicherheitsgefühl sogar noch einmal gestiegen.
Dies liege - anders als man vermuten könnte - nicht an dem Zuzug von Migranten. Im Gegenteil: Die Furcht vor dieser Gruppe sei unter den Bewohnern des Bergstadtteils seit 2012 deutlich zurückgegangen.
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Worin aber gründet dann die Angst der Bewohner? An den Straftaten jedenfalls kann es nicht liegen, meint Torben Wille: "Vergleicht man den Emmertsgrund mit anderen Stadtteilen ähnlicher Größe lässt sich eine erhöhte Unsicherheitslage auf dem Emmertsgrund nicht nachweisen." Für den Polizisten besonders paradox: 2017 kam es hier gerade einmal zu zwei Wohnungseinbrüchen. "Und dennoch ist die Furcht davor groß."
Das Gefühl der Angst kennt auch eine 84-jährige Frau, die sich unter den rund 70 Zuhörern befand. Sie sagte: "Bei Dunkelheit gehe ich möglichst nicht mehr alleine raus. In meinem Alter kann ich ja so schlecht weglaufen." Anders schätzt hingegen Bezirksbeirat Georg Jelen die Situation ein.
Er war einst selbst Polizist und meint: "Ich kenne keine Person, die sich hier nicht wohlfühlt." Was im besonders ärgert: "Es gibt zu viele, die sich über den Emmertsgrund äußern, aber sich eigentlich gar nicht auskennen." Was seiner Meinung nach gegen das Furchtgefühl helfen könnte? "Mehr Video-Kameras. Da hätte ich nichts dagegen."

Im Seniorenzentrum Emmertsgrund diskutierten Kristin Voß und Roswitha Lemme (Seniorenzentrum), Reiner Greulich (Sicheres Heidelberg), Kriminologe Dieter Hermann, Torben Wille (Polizeirevier Süd) und Micha Hörnle (RNZ). Foto: Rothe
Gut aufgehoben sieht sich auch Maria Voss-Merkel in ihrem Stadtteil. Dennoch gibt sie zu: "Ich kenne einige, die sich unsicher fühlen." Und das betrifft vor allem junge Frauen mit ausländischen Wurzeln, denen sie Deutsch-Unterricht gibt.
Gerade im Bereich der Passage würden Bewohner immer wieder von Wurfgeschossen oder Vandalismus erschreckt. Auch unter den anderen Zuhörern fanden sich nur wenige, die das Bild des "Angstraums Emmertsgrund" bestätigen wollten. Vielmehr stieß ihnen die Verkehrssituation auf.
So beschwerten sich gleich mehrere über das Wildparken und angebliche Raser in dem Bergstadtteil. "Das ist für mich die eigentliche Gefahr", bemerkte eine Zuhörerin. Abgesehen davon, meinten zahlreiche Gäste, kranke der Stadtteil vor allem an einem Image-Problem, denn Raserei, Falschparken und Vandalismus gebe es auch anderswo in der Stadt.
Was aber lässt sich tun für ein besseres Image und mehr Sicherheit im Stadtteil? Greulich schlägt vor, präventiv zu handeln - etwa mit Kursen zur Zivilcourage. "Das stärkt das Bewusstsein und die eigenen Handlungsinitiativen".
Kriminologe Herrmann dagegen plädiert eher dafür, gezielt gegen die wichtigsten Furchtursachen vorzugehen, also etwa Gruppen, die Alkohol trinken. Ganz praktisch war Polizist Wille. Er rät schlicht, sich bei Verstößen im öffentlichen Raum an die Polizei zu wenden - gerne auch an ihn persönlich. "Ich kümmere mich, das verspreche ich Ihnen."