Heidelberg

OB Würzner rechnet mit Einschnitten bei der Grundversorgung

Der Oberbürgermeister im Interview: Die Bevölkerung müsse sich wegen des Fachkräftemangels an die Einschnitte gewöhnen.

27.12.2023 UPDATE: 27.12.2023 06:00 Uhr 6 Minuten, 37 Sekunden
Eckart Würzner in seinem Dienstzimmer mit den beiden Leitern der RNZ-Stadtredaktion (v.l.): Alexander Wenisch und Holger Buchwald. Foto: Rothe
Interview
Interview
Eckart Würzner
Oberbürgermeister von Heidelberg

Von Alexander Wenisch und Holger Buchwald

Heidelberg. Seine Herzoperation hat Oberbürgermeister Eckart Würzner sichtlich gut überstanden. Der 62-Jährige spricht nicht von Krise, sondern von Herausforderungen, als er im RNZ-Interview auf ein Jahr voller Höhen und Tiefen zurückblickt.

Herr Würzner, welche Schulnote würden Sie dem Jahr 2023 geben?

International betrachtet – mit den Kriegen im Nahen Osten und der Ukraine – bestenfalls eine Fünf. Für die Lage in Heidelberg vergebe ich eine Zwei bis Drei.

Sie persönlich hatten ein hartes Jahr mit Ihrer Herz-Operation. Wie geht es Ihnen mittlerweile?

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Mir geht es gut. Aber es war wirklich eine besondere Erfahrung, dass mir der Arzt so eine Vollbremsung verordnet hat. Mit der gesundheitlichen Auszeit musste ich erstmal klarkommen. Sie hat sich aber gelohnt. Wir haben großartige Ärzte hier in Heidelberg, und ich bin froh, dass ich anschließend in Reha konnte. Das war auch wirklich nötig.

Sie haben nach der OP angekündigt, Aufgaben abgeben zu wollen. Gelingt Ihnen das?

Ja, ich habe mich neu justiert und will mich auf die wirklich wichtigen Aufgaben konzentrieren. Ich habe beispielsweise Funktionen als Aufsichtsrat, im Zoo oder im Kulturbereich abgegeben. Ich habe ja ein Team aus sehr guten Dezernenten, denen ich nun viel mehr Verantwortung übertragen habe.

Fällt es Ihnen schwer, wenn Kollegen die Dinge anders anpacken als Sie?

Natürlich habe ich meine Vorstellungen. Aber es funktioniert ganz gut. Vor allem, weil es mir die Freiräume für die größeren Themen schafft.

Noch einmal ein Blick aufs Jahr: Welche Schlagzeilen haben Sie besonders gefreut?

Was mich wirklich gefreut hat: dass die Menschen nach der Pandemie wieder mehr Normalität erleben können. Und dass die große Energiekrise doch vermieden werden konnte. Für mich war die Begegnung mit Königin Silvia, die Ehrenbürgerin wurde, ein Highlight. Wir haben uns an dem Tag längere Zeit persönlich unterhalten – das war sehr bereichernd. Sie ist unglaublich offen und herzlich.

Was hat Sie sehr geärgert?

Mich ärgert es, wenn in manchen Bereichen eine überzogene Anspruchshaltung um sich greift. Ich vermisse ein gewisses Maß an Bescheidenheit. Wir leben in einer Stadt, die unglaublich viel bieten kann – im Sozialbereich, in der Kultur, in Bildung und Sport. Ich freue mich immer, wenn das auch positiv wahrgenommen wird und man sich nicht nur über Probleme aufregt.

Wie sehr hat es Sie geärgert, dass der Gemeinderat bei der Kulturhauptstadtbewerbung nicht mitgezogen hat?

Der Gemeinderat zieht ja mit. Die ersten Reaktionen waren zurückhaltend. Das hat sicherlich etwas damit zu tun, dass ich der Vater der Idee bin – und nicht eine Partei. Aber mittlerweile bekomme ich sehr positive Reaktionen aus dem Kulturbereich und auch aus der Region. Eine solche Initiative mittelfristig zu nutzen, um unsere Kulturlandschaft noch weiter zu schärfen – ich finde, das ist eine tolle Perspektive. Kultur ist der Kitt, der uns als Gesellschaft zusammenhält.

War es ein strategischer Fehler, den Gemeinderat nicht von Anfang an einzubinden?

Weiß ich nicht. Die Idee stammt aus meinem Wahlkampf. Da gab es keine Geheimniskrämerei. Und es ist doch selbstverständlich, dass ich die Initiative dann nach der Wahl weiter verfolge. Ich als Oberbürgermeister, aber auch meine Dezernenten, wir werden dafür bezahlt, dass wir Ideen entwickeln und Strategien ausarbeiten.

Gleichwohl hat der Gemeinderat Ihnen wegen des Alleingangs in Sachen Kulturhauptstadt die Mittel für das OB-Referat um 180.000 Euro gekürzt. Wo sparen Sie das ein?

Es wurden zum Beispiel Auslandsreisen gestrichen. Wir hätten gerne bisherige Kulturhauptstädte besucht und uns inspirieren lassen. Wir brauchen jetzt am Anfang aber kein riesiges Budget. Im Moment geht es ja zunächst darum, einen Entwurf für die Initiative zu erarbeiten.

Ein weiteres Streitthema mit dem Gemeinderat ist die Stadthalle. Sie haben vorgeschlagen, den großen Saal nach der Sanierung nach dem Mäzen Wolfgang Marguerre zu benennen – und das Foyer und den Ballsaal nach seiner Firma Octapharma.

Wir haben diese Diskussion immer im Kulturbereich, nicht nur in Heidelberg. Mir ist eine Klarstellung wichtig: Wolfgang Marguerre hat nie Ansprüche erhoben auf eine Namensnennung. Er stellt uns mit seiner Familie eine enorme Summe zur Verfügung, ohne die die Sanierung der Stadthalle nicht möglich gewesen wäre. Ich halte es für geboten, dem mit einer Namensnennung Rechnung zu tragen.

Und ich finde es fair, dass ein Bürger, der so eine enorme Summe zur Verfügung stellt, die Möglichkeit erhält, einen Teil der Mehrkosten, die er auch noch übernimmt, über sein Unternehmen beizusteuern.

Eine positive Nachricht war, dass der Bürgerwindpark den Zuschlag für den Lammerskopf erhalten hat. Wie wollen Sie – auch als ehemaliger Umweltbürgermeister – die Skeptiker überzeugen?

Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust, sage ich ganz offen. Ich freue mich, dass es eine breite Unterstützung in Heidelberg für das Thema Windenergie gibt. Wir müssen unsere Potenziale vor Ort nutzen, ob nun Windkraft, Wasser oder Solar. Nur mal zur Verdeutlichung: Eine einzige Windkraftanlage produziert so viel Strom, wie ein ganzer Stadtteil verbraucht.

Aber halten Sie den Lammerskopf, der ja einen hohen Naturschutzstatus hat, für geeignet?

Ehrlich gesagt: Das ist eine hochwertige Naturschutzfläche. Ich bin kein Freund davon, Windräder in einem Schutzgebiet aufzustellen. Die anstehenden Prüfungen werden zeigen, ob es überhaupt möglich ist, Anlagen FFH-verträglich in der Schutzzone zu errichten, und in welchem Umfang Windräder in den angrenzenden Gebieten realisiert werden können.

Sehr wahrscheinlich ist, dass das nur für einen Teil der Anlagen gelingt. Darum diskutieren wir mittlerweile auch eine erweiterte Fläche, sodass wir nur einige Windräder am Lammerskopf und andere in Richtung Weißer Stein aufstellen könnten. Das wäre ein guter Weg: pro Naturschutz, aber auch pro Klimaschutz.

Heißt das, es werden keine 15 Windräder gebaut?

Nein, werden es nicht. Das Potenzial sehe ich zumindest nicht. Dafür ist der Zielkonflikt in dem Gebiet zu groß. Wenn wir mit dem Lammerskopf und dem Weißen Stein zehn bis zwölf Anlagen realisieren können, dann ist das ein gutes Ergebnis.

Heidelberg schlittert in die Rekordverschuldung, der Fernwärmeausbau droht zu stocken, für Zukunftspläne wie den Neckarufertunnel fehlt das Geld. Ist auch Heidelberg im "Krisenmodus"? Schließlich ist es das Wort des Jahres.

Wenn ich gerade in Israel leben würde... das ist eine Krise. Aber in Heidelberg spreche ich lieber von Herausforderungen. Die Hälfte der Stadt ist schon mit Fernwärme versorgt. Für die Stadtrandlagen sind wir auf Geld des Bundes angewiesen, ebenso wie bei der Erweiterung des ÖPNV-Angebots. Das kann keine Kommune alleine stemmen.

Trotzdem stehen wir im Vergleich gut da: Heidelberg hat hohe Gewerbesteuereinnahmen, wir sind laut einem aktuellen Ranking die zukunftsorientierteste Stadt Deutschlands, haben innovative Unternehmen.

Der Fachkräftemangel wird jetzt auch in Heidelberg spürbar: Pflege, Kitas, Straßenbahn, Verwaltung – überall fehlt Personal. Müssen wir uns als Bürger daran gewöhnen, dass es auch bei der Grundversorgung Einschnitte gibt?

Ja, das ist tatsächlich so. Da müssen wir ehrlich sein. Es gibt einfach zu wenige Beschäftigte, die Gesellschaft wird immer älter und benötigt immer mehr Pflegekräfte und andere Beschäftigte.

Gleichzeitig gibt es viele Menschen, die beispielsweise auch aus der Ukraine hierher gekommen sind. Gibt es da kein Potenzial an jungen Arbeitskräften?

Das habe ich anfangs auch erwartet. Wir haben auch geworben und Gespräche geführt. Letztendlich ist aber kaum jemand "hängen geblieben". Ich sage es ganz ehrlich: weil die Sozialleistungen teils höher sind als die Entlohnung. Oder auch weil Berufsabschlüsse hier nicht anerkannt werden. So kann man schwer jemanden motivieren, arbeiten zu gehen. Das merkt man bundesweit.

Die Kauf- und Mietpreise in Heidelberg sprechen natürlich auch nicht gerade dafür, sich hier niederzulassen.

Es gibt viele Menschen in Heidelberg, die gut verdienen und sich die Preise leisten können. Aber es stimmt: Wer in einem klassischen Beruf arbeitet – bei der Stadt bei der Feuerwehr oder bei der Polizei –, für den ist das aktuelle Mietpreisniveau sehr hoch. Das ist ein riesiges Problem. Dem können wir nur begegnen, wenn wir mehr bauen und mit Partnern günstigen Wohnraum schaffen. In der Südstadt ist das zum Beispiel gut gelungen. Das wollen wir auch im Patrick-Henry-Village machen. Ich weiß nur nicht, ob wir aufgrund der aktuellen Baukrise den Zeitplan einhalten können.

Die Entwicklung vom PHV ist also nicht in Gefahr.

Nein, wenn das Land als fairer Partner möglichst schnell das neue Ankunftszentrum fertigstellt und die bisherigen Flächen freigibt, dann ist das machbar. Vielleicht nicht ganz in der Geschwindigkeit, die wir uns gewünscht hätten, das liegt aber vor allem an der Zinssituation und anderen Faktoren.

Passiert dort schon etwas im nächsten Jahr?

Wir fangen im Süden an, die Entwicklung mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) voranzutreiben. Der Bund wird im nächsten Jahr die ersten sanierten Gebäude auf den Markt bringen. Wir wollen sie auch der Universität für Studenten anbieten. Wir können dort Mieten im Bereich von zehn Euro pro Quadratmeter ermöglichen.

Wie laufen die Verhandlungen mit der Bima, was andere Grundstücke angeht?

Wir haben uns verständigt und haben einen klaren Kostenrahmen vereinbart. Der ist ganz wichtig, auch wenn wir nicht die ganze Fläche auf einmal kaufen werden. Wir wissen nun, wie teuer das wird.

Was zahlt die Stadt?

(lacht) Wir zahlen einen fairen Preis.

Ich dachte, jetzt kommt eine Zahl.

Keine Zahl.

Lassen Sie uns noch ins kommende Jahr blicken. Größtes politisches Ereignis wird die Kommunalwahl. Die Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat ist schon jetzt nicht so einfach. Fürchten Sie eine weitere Zersplitterung des Gremiums?

Ja, definitiv. Aber ich bin der Meinung: Wir müssen politisch aufpassen, dass wir nicht nur noch diversifizieren. Denn dann gibt es am Ende nur noch Individualmeinungen und keinen breiten Konsens mehr.

Eines der anspruchsvollsten Projekte wird sicherlich der Umbau der Dossenheimer Landstraße, der im Frühjahr beginnt.

Ja, der Verkehrsbereich bereitet mir die meisten Bauchschmerzen. Wir haben einige Großprojekte, diese zu koordinieren, ist nicht einfach. Und manchmal, wie gerade bei der Montpellier-Brücke, kann man nicht warten, da muss man sofort eingreifen. Ich weiß, das verlangt den Menschen viel ab. Das ist kein Spaß. Und gerade jetzt muss der ÖPNV wegen Personalmangels eingeschränkt werden. Da kann man die Bürger nur um Verständnis und Geduld bitten.

Welches Problem wollen Sie 2024 gelöst haben?

Ich würde mich freuen, wenn wir es schaffen, den Bürgern deutlich zu machen, dass wir in unseren demokratischen Prozessen immer noch die besten Entscheidungen aushandeln können. Das ist gar nicht so selbstverständlich.

Zum Abschluss noch eine kurze Schnellfrage-Runde: Zwei Wortpaare, Sie entscheiden sich.

Okay, los gehts!

Drohnenshow oder Feuerwerk?

Feuerwerk.

Neckarorte oder Ziegelhäuser Wald?

(überlegt) Neckarorte.

Atlantic Hotel oder Hilton?

Atlantic Hotel.

Stadthalle oder Kongresszentrum?

Beides großartig!

Nein, nicht erlaubt!

Okay, dann Stadthalle.

Basketball oder Philharmonisches Orchester?

Basketball.

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