Trinkwasserkrise in Heidelberg/Dossenheim

Ein halber Tag ohne Leitungswasser – Wie sich für Zehntausende der Alltag änderte

Cafés, Mensen und Schulen mussten schließen - Uniklinik verschob Operationen - Den Supermärkten ging das Mineralwasser aus

07.02.2019 UPDATE: 08.02.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 43 Sekunden
In manchen Märkten soll es sogar Mengenbeschränkungen – zwei Sechser-Packs pro Person – gegeben haben. Foto: jola

Heidelberg/Dossenheim. (aham/ani/cm/dns/hob/rie) Mit einem Anruf im Dossenheimer Rathaus geht alles los. Gegen 8.30 Uhr meldet ein Einwohner der Bergstraßengemeinde: Das Wasser in seiner Badewanne sei blau. Damit löst er eine Welle der Verunsicherung aus, von der am Ende Zehntausende Menschen in Dossenheim und Heidelberg erfasst werden und die erst am Nachmittag abebbt.

Um 9.42 Uhr warnen die Apps "Katwarn" und "Nina" vor einer Verunreinigung des Trinkwassers - zunächst nur in Dossenheim: "Aufgrund einer unbekannten Verunreinigung ist der Gebrauch sowie der Verzehr des Trinkwassers untersagt. Die Toilettenspülung darf benutzt werden", heißt es. Diese Botschaft transportiert über Lautsprecherdurchsagen auch die Feuerwehr, die am späten Vormittag ihre Runden durch Dossenheim dreht.

Im Rathaus tagt ein Krisenstab mit Bürgermeister Hans Lorenz, Vertretern von Verwaltung, Wasserwerk und Feuerwehr. Um 11 Uhr wird die Warnung auf Heidelberg ausgeweitet. Viele Firmen warnen ihre Mitarbeiter, darunter die Universität, der größte Arbeitgeber der Stadt. Auch in Heidelberg fahren später Lautsprecherwagen durch die Straßen. Obwohl die Warnung nur für Dossenheim und Heidelberg gilt, sind stundenlang auch viele Menschen in den Umlandgemeinden verunsichert.

Die Verunsicherung ist groß

Die dürftigen Informationen und das Rätselraten über die Ursache sorgen in der Bevölkerung für Verunsicherung. Kein Wunder: Die Bürger werden aufgefordert, einen "Vorrat an Trink- und Brauchwasser" anzulegen. "Womit? Das Wasser ist doch verunreinigt!", wundert sich ein Facebook-Nutzer. Schnell verbreitet sich das zunächst unbestätigte Gerücht, das Wasser sei bläulich verfärbt. "Das sieht man aber nur in größeren Gefäßen", entgegnet Thomas Schiller von der Dossenheimer Gemeindeverwaltung. Klar ist gegen 10.30 Uhr lediglich: "Die Ursache liegt nicht in Dossenheim, sondern in Heidelberg", so Schiller.

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Auch in Heidelberg ist das Informationsbedürfnis der Bevölkerung enorm. Die extrem hohen Zugriffszahlen zwingen kurzfristig die Internetseite der RNZ in die Knie. Mitarbeiter der Geschäftsstelle verteilen ein Extrablatt in der Hauptstraße und informieren die Passanten. Unterdessen gibt es in einigen Supermärkten schon kein Mineralwasser mehr. Im "Penny" in der Altstadt gibt es um 14.30 Uhr nicht einmal mehr 1,5-Liter-Flaschen Apfelsaftschorle.

Dossenheim rüstet sich für den Ernstfall

Am frühen Nachmittag ist die Ursache nach wie vor unklar. Da nicht absehbar ist, bis wann Entwarnung gegeben werden kann, ordert die Gemeinde Dossenheim drei Tanklastwagen aus dem Bruchsaler Raum mit jeweils 25 Kubikmeter Trinkwasser. Diese sollen gegen 18 Uhr eintreffen.

Jeder Dossenheimer soll fünf Liter erhalten. Mitarbeiter der Gemeinde kleben an jede Haustür einen Zettel mit Warnhinweisen. In der Grundschule und den Kindergärten sowie den Seniorenheimen werden Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Teilweise werden Essen nicht ausgegeben und Wasservorräte gekauft.

Wirtschaftliche Folgen

"Bei uns steht das Telefon nicht mehr still", sagt Melanie Görtz, Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes Heidelberg (Dehoga) gegen 14 Uhr. Auf die Gastronomie und das Hotelgewerbe habe die Trinkwasserwarnung dramatische Auswirkungen. "Hände, Gemüse und Obst waschen, all das geht nicht mehr", sagt Görtz: "Wir haben unseren Mitgliedsbetrieben in Heidelberg geraten, derzeit völlig auf Trinkwasser zu verzichten."

Im Prinzip könne man den Betrieb der Gaststätten nicht mehr lange aufrecht erhalten. Am Abend herrscht dann Erleichterung. Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen könne sie aber derzeit noch nichts sagen.

Ein Betrieb, den es besonders getroffen hat, ist die Heidelberger Brauerei: "Alle Hähne sind dicht", erklärt schon gegen 11.30 Uhr Verwaltungsleiter Erik Albrecht. Die Bierproduktion sei bis auf Weiteres ausgesetzt. Richtig dramatisch sei das aber nicht: "So einen Ausfall können wir problemlos nachholen." Selbst, wenn es einige Tage kein Wasser gebe.

20.000 Kubikmeter Wasser verbraucht die Brauerei im Pfaffengrund pro Jahr. Überstunden müssen in den nächsten Tagen wohl auch die Frisöre machen. Die Mitarbeiter von "Tomco" in Neuenheim sagen mittags alle Termine für den Tag ab, weil keine Haare gewaschen werden können.

Schulen schicken ihre Schüler heim

Für einige Heidelberger Schüler bedeutet der Trinkwasseralarm anders als für jene in Dossenheim vor allem eines: schulfrei! An der Geschwister-Scholl-Schule in Kirchheim werden alle 470 Schüler vorsorglich nach Hause geschickt - die Kinder, deren Eltern am Vormittag noch nicht zuhause sind, werden betreut.

Einer der Hauptgründe für die Schließung: "Wir sind eine Ganztagsschule, und uns konnte aufgrund der Trinkwasserwarnung kein Essen geliefert werden", berichtet Schulleiterin Sabine Horn. Außerdem könne sie nicht kontrollieren, ob sich denn die Schüler nach dem Toilettengang nicht doch die Hände waschen.

Ähnlich sieht man das an der Internationalen Gesamtschule (IGH). Auch dort werden die Schüler der fünften bis zehnten Klassen frühzeitig nach Hause geschickt. Die Oberstufenschüler bleiben für den Unterricht. "Die sind alt genug, um sich im Supermarkt Wasser zu kaufen", so Schulleiter Werner Giese.

Kliniken drehen Wasser ab

Ohne Trinkwasser läuft auch an der Universität vieles nicht wie gewohnt: Die Waschbecken in den Toiletten werden gesperrt, im Neuenheimer Feld das Wasser sogar zum Teil komplett abgestellt. In Laboren, deren Notduschen mit Trinkwasser versorgt werden, muss der Betrieb eingestellt werden. Lediglich die Laboratorien, die ihr Wasser direkt aus Brunnen beziehen, können weiter arbeiten. Unterdessen werden alle Studenten über drei E-Mails gewarnt.

Schon um 10.40 Uhr ist auch beim Studierendenwerk klar: Die Zentralmensa im Neuenheimer Feld bleibt zu - denn ohne Trinkwasser kann natürlich nicht gekocht werden. Als die Warnung auf das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet wird, sind auch die beiden Mensen in der Altstadt getroffen.

Die Tausende Essen, die dort sonst täglich ausgegeben werden und die schon zum Großteil vorbereitet sind, müssen entsorgt werden. "Das ist natürlich schade, aber da hat die Sicherheit erst mal Vorrang", erklärt Studierendenwerk-Chefin Tanja Modrow. Die meisten Studenten nehmen es gelassen.

Problematischer ist die Trinkwasserwarnung in den Kliniken. Auch im Uniklinikum wird am Nachmittag das Wasser abgestellt. Laufende Operationen werden beendet, alle anderen abgesagt, nur noch Notfälle werden behandelt. Später sagt eine Sprecherin: "Es bestand zu keiner Zeit eine Gefahr für Patienten." Doch wie in ganz Dossenheim und Heidelberg ist man auch dort froh, als um 15.48 Uhr endlich für alle Entwarnung gegeben wird.

Weitere Artikel zum Thema gibt es unter www.rnz.de/Trinkwasser

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