Eppingen

Stille Mahnmale erinnern an Tod und Vertreibung

Bei der zweiten Stolperstein-Aktion wurde Mitgliedern der jüdischen Familien Ehrlich und Ettlinger und Leopold Herdle gedacht.

16.03.2023 UPDATE: 16.03.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 41 Sekunden
Im Beisein zahlreicher Zuschauer und Schüler verlegte Gunter Demnig sieben weitere Stolpersteine in Eppingen. Foto: Armin Guzy

Von Armin Guzy

Eppingen. Wie viele Paar Schuhe auf den Halden in den Vernichtungslagern Auschwitz oder Birkenau stammen wohl aus Eppingen, wie viele wurden von Eppinger Juden getragen? Genau wird man es wohl nie wissen, aber eines davon hatte mit Sicherheit Hermann Harry Ehrlich getragen, bevor er, vermutlich 1942, in Auschwitz ermordet wurde. Auch weitere Paare auf den Halden der Kleidungsstücke, auf denen die Nazis das letzte noch irgendwie "Verwertbare" ihrer Opfer auftürmten, dürften durch die Hände des Mannes gegangen sein, der im Ersten Weltkrieg noch für das Deutsche Reich gekämpft und später im elterlichen Schuhgeschäft in der Brettener Straße 17 gearbeitet hatte. Denn Hermann Harry Ehrlich ist nur einer von vielen Eppinger Bürgern, für die ihr Glaube oder ihre Abstammung das Todesurteil war, falls ihnen nicht rechtzeitig die Flucht gelang. Seit Dienstag erinnern Stolpersteine an ihn und weitere sechs Eppinger.

Damit finden sich nun insgesamt 22 solcher Messingtäfelchen des Künstlers Gunter Demnig im Straßenpflaster und somit im Eppinger Stadtbild – und weitere sollen noch verlegt werden. Als "stille Mahnmale im öffentlichen Raum", als "stetes Gedenken an die mörderische Diktatur des NS-Regimes", wie Oberbürgermeister Klaus Holaschke die mit Namen, Geburts- und Sterbeort gravierten Täfelchen in seiner Ansprache nannte. Und Hellberg-Schulleiterin Ulrike Speck äußerte die Hoffnung, dass die Menschen nicht mit den Füßen, sondern "mit dem Kopf" über die Messing-Plättchen stolpern, die die Erinnerung an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte und an die Opfer der Nazis wachhalten sollen. Noch in diesem Jahr wird Demnig voraussichtlich den 100.000. Stolperstein verlegen – und dennoch wird auch damit nur einem Bruchteil der gesamten Opferzahl gedacht.

Denn Opfer, das waren nicht alleine diejenigen, die wegen ihrer Abstammung, ihres Glaubens, ihrer sexuellen Orientierung, einer Krankheit oder ihrer politischen Haltung ermordet wurden oder aus Verzweiflung den Freitod wählten, sondern auch die unzähligen Menschen, denen zwar die Flucht gelang, die aber oft alles zurücklassen mussten. Das zeigen auch die Schicksale der anderen fünf Eppinger, derer am Dienstag gedacht wurde. Drei Angehörige von Hermann Harry Ehrlich – seine Brüder Dr. Arthur Julius und Ernst Max und dessen Frau Margarete Ehrlich, geborene Schulz, überlebten den Holocaust – teilweise aber nur knapp. Ernst Max Ehrlich etwa hatte fluchtartig seine Heimatstadt verlassen, weil er 1935 nach einem Hetzartikel gegen ihn im "Stürmer" seines Lebens nicht mehr sicher war. 1941 wurde er in Frankreich fast verhaftet, konnte aber nach Spanien weiterfliehen, wo er dann aber doch festgenommen und im berüchtigten Konzentrationslager Miranda del Ebro interniert wurde. Anfang 1944 wurde er freigekauft und nach Palästina verschifft. Seine Frau Margarete sah er erst zwölf Jahre nach seiner Flucht aus Eppingen wieder – in Neuseeland, wohin es sie verschlagen hatte. Ernsts Bruder Arthur, ein Arzt, hatte die drohende Gefahr bereits kurz nach Hitlers Machtergreifung erkannt und war nach Schottland ausgewandert. In der ehemaligen Schuhhandlung der Familie in der Brettener Straße 19 ist heute ein Fotofachgeschäft.

Zwei weitere, von Sponsoren mitfinanzierte Stolpersteine zementierte Demnig für Mathilde Ettlinger, geborene Oppenheimer, und ihren Sohn Abraham Adolf Ettlinger vor dem Haus Bahnhofstraße 3 ins Straßenpflaster – direkt neben die drei Messingplatten, die dort bei der ersten Verlegung vor zwei Jahren für Julius, Hans und Elka Bravmann gesetzt wurden. Auch Mathilde Ettlinger hatte ein Schuhgeschäft; sie konnte noch kurz vor Kriegsausbruch zu ihrer Tochter fliehen und überlebte in Südfrankreich den Krieg – allerdings nur um ein Jahr. Nach Eppingen kehrte sie nie mehr zurück. Ihr Sohn, ein Kaufmann, wurde 1941 in Berlin verhaftet und nach Polen ins Getto Lodz deportiert. Er wurde am 8. Mai 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) ermordet.

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Der letzte Stein an diesem Tag wurde für den Landwirt Leopold Herdle vor dem Haus Leiergasse 7 verlegt. Er war 1940 festgenommen worden, weil er offenbar Depressionen hatte, und war in die Psychiatrische Klinik nach Heidelberg gebracht worden. Er wurde 1941 wegen "Geistesschwäche" entmündigt, und über die Klinik in Wiesloch nach Grafeneck und dann in die Tötungsanstalt Hadamar gebracht. Weil er noch "arbeitsfähig" war, fiel er zunächst nicht der T 4-Aktion ("Euthanasie") zum Opfer. Nach seiner Verlegung ins Elsass und der Rückverlegung nach Hadamar starb er dort Anfang 1944.

In engagierter und berührender Weise mitgestaltet wurde die Stolpersteinverlegung von Schülern der Hellbergschule, die den Lebenslauf jedes einzelnen der sieben Menschen vortrugen und im eisigen Wind, der an diesem Nachmittag durch die Brettener Straße wehte, auch mit drei Liedbeiträgen glänzten.

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