Notlage als Normalzustand

Wieslochs OB Dirk Elkemann schaut auf 2022 zurück

Corona war für ihn rückblickend die größere Herausforderung als die aktuelle Energiekrise. Ob er zur OB-Wahl noch mal antritt, lässt er vorerst offen.

11.01.2023 UPDATE: 11.01.2023 06:00 Uhr 6 Minuten, 37 Sekunden
Beim Rundgang für das Jahresgespräch machten Oberbürgermeister Dirk Elkemann und RNZ-Redaktionsleiter Timo Teufert (r.) auch Station an den Neubauten im Quartier am Bach, die dort gerade in die Höhe wachsen. Foto: Helmut Pfeifer

Von Timo Teufert

Wiesloch. Die Aufgaben wachsen, die finanzielle Lage bleibt schwierig: Oberbürgermeister Dirk Elkemann blickt im RNZ-Gespräch auf das vergangene Jahr zurück und wagt einen Ausblick auf das neue Jahr, in dem auch wieder OB-Wahlen anstehen.

Herr Elkemann, was ist denn die größere Herausforderung für Wiesloch? Die Corona-Pandemie oder die Energiekrise?

Ich würde sagen, Corona ist rückblickend die größere Herausforderung gewesen. Weil es in jede gesellschaftliche Fragestellung ausgestrahlt hat. Ich erinnere mich noch gut an die ersten Lockdowns, wo das Leben ruhte – komplett. Da sind wir glücklicherweise im Rahmen der Energiekrise weit von entfernt. Die Gasvorräte – danach sieht es zumindest jetzt aus – werden für diesen Winter reichen und die Stromversorger sind sich sicher, dass es keinen flächendeckenden Blackout geben wird. Unser Leben wird davon zwar beeinflusst werden, aber nicht komplett zum Erliegen kommen wie bei Corona.

Mit welchen Problemen haben Sie denn aktuell besonders zu kämpfen?

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Wenn wir aktuell Ausschreibungen machen, geht es darum, überhaupt Angebote zu bekommen und den Kostenrahmen einzuhalten. Durch Materialknappheiten und Fachkräftemangel wird es immer schwieriger, qualifizierte Firmen für jede einzelne Aufgabe zu finden. Oft bauen die Gewerke bei einer Baustelle aufeinander auf. Und wenn wir dann für eines kein Angebot bekommen, wird das zu einer echten Herausforderung. Der Fachkräftemangel trifft aber auch uns: Wenn wir Stellen ausschreiben, vor allem im technischen Bereich, können wir heute nicht aus dem Vollen schöpfen und sind froh, wenn eine qualifizierte Bewerbung dabei ist.

Einer der Höhepunkte des vergangenen Jahres: Die Inbetriebnahme und die offizielle Einweihung des Feuerwehrhauses in Baiertal. Foto: Jan A. Pfeifer

Gibt es denn auch Dinge, die 2022 gut geklappt haben?

Absolut. Die Eröffnung des Feuerwehrhauses in Baiertal war für mich ein Höhepunkt. Nach so langen Jahren, in denen die Abteilung auf den Bedarf hingewiesen und darauf gedrängt hat, dass er erfüllt wird, den Schlüssel zu übergeben, war toll. So wie ich es mitbekomme, sind in der Baiertaler Wehr alle sehr glücklich, ein funktionierendes und funktionales Feuerwehrhaus zu haben.

Persönlich war der Besuch von Paul Flagg und Joel Flegenheimer sehr bewegend. Es war wichtig, echte, ehemalige Wieslocher zu Besuch in der alten Heimat zu haben, die die Schrecken der Nazizeit am eigenen Leib erleben mussten. So bekommt eine Erzählung von damals eine ganz andere Wucht.

Die finanzielle Lage der Stadt ist sehr angespannt, vor Weihnachten hat der Gemeinderat deshalb Steuererhöhungen beschlossen. Gibt es eigentlich noch Spielräume?

Spielräume gab es noch nie. Solange ich hier bin, war die Situation immer prekär. Die Notlage ist für Wiesloch leider der Normalzustand. Wir schaffen es aber immer wieder – und da können wir stolz darauf sein –, an den entscheidenden Stellen Investitionen zu tätigen und die Stadt voranzubringen. Ich bin zuversichtlich, dass das auch in den nächsten Jahren so sein wird. Möglicherweise aber nicht mit der Geschwindigkeit, wie sie jetzt die mittelfristige Finanzplanung vorsieht. Im Vorfeld der Haushaltsberatungen haben wir Zuschüsse des Bundes, auf die wir sehr stark gesetzt und gehofft hatten, nicht bekommen. Dementsprechend sind die davon betroffenen Projekte zunächst einmal auf "Wartend" gestellt und wir müssen schauen, wie wir sie finanziert bekommen.

Das waren die Mehrzweckhalle Frauenweiler und die beiden Lehrschwimmbecken. Was bedeutet das gerade für die Schwimmbäder konkret? Kann man sie offen halten?

Wir werden einzelne kleine Maßnahmen umsetzen müssen, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. Nur die ganz große Sanierung, um die Becken zukunftsträchtig aufzustellen – auch energetisch –, muss warten. Die Gebäude sind 40 Jahre alt und da geht richtig viel Energie verloren. Jetzt werden wir rechnen müssen, ob wir trotzdem energetische Maßnahmen ausführen, um über die dadurch erzielten Einsparungen in der Folgezeit einen positiven Effekt zu haben. So können wir nicht nur der Wirtschaft dienen, sondern auch dem Klimaschutz. Das ist für mich das Hauptziel, dass wir unabdingbar den Klimaschutz vorantreiben. Aber die Ökonomie dabei nicht außer Acht lassen.

In den Haushaltsberatungen ist Ihnen vorgeworfen worden, dass in Ihrer Amtszeit noch keine Fotovoltaik-Anlage installiert worden wäre.

Es ist tatsächlich so. Das hängt auch damit zusammen, dass wir uns viele Projekte vorgenommen und realisiert haben. Im Rahmen der Projektausführung sind aber auch bestimmte Dinge auf der Strecke geblieben. Denn wir können zur gleichen Zeit nur eine bestimmte Anzahl von Maßnahmen umsetzen. Auf dem Dach der Realschule konnten wir eine Fotovoltaikanlage installieren. Wir können dort aber leider noch nicht einspeisen, weil dazu noch ein entsprechender Einspeisepunkt fehlt.

Woran liegt das?

Früher waren die Stromnetze so gestaltet, dass es große Produzenten und viele Abnehmer gab. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Produzenten, die alle ins Netz einspeisen wollen. Aber nicht jeder Anschlusspunkt ist dazu geeignet. In diesem Jahr haben wir deshalb 200.000 Euro im Haushalt, um am Schulzentrum die technischen Voraussetzungen zu schaffen, dass der Strom, der dort produziert wird, auch ins Netz fließen kann. An der Schillerschule wollten wir eine Fassadenfotovoltaik installieren, doch dann sind die Kosten explodiert: Von geschätzten 90.000 Euro hatten wir ein Angebot über 180.000 Euro.

Mögliche Windkraftstandorte waren 2022 auch Thema im Gemeinderat. Wie weit ist Wiesloch in diesem Bereich?

Wir ermitteln gerade die Potenziale und schauen zum Beispiel nach Einspeisepunkten. Es ist nicht damit getan, ein Windrad in die Landschaft zu stellen, auch die Infrastruktur muss passen. Außerdem sind Regularien zu beachten wie zum Beispiel ein Naturschutz-Monitoring. Wir müssen jetzt schauen, wo die geeignetsten Standorte sind. Zusammen mit Nußloch betrachten wir Flächen um den Steinbruch genauer, insgesamt schauen wir aber auf das ganze Stadtgebiet. Wir treiben das mit Nachdruck voran.

Wann dreht sich denn in Wiesloch das erste Windrad?

Das kann ich seriös nicht beantworten. Wenn die Regularien es zulassen und wenn es nach mir geht, aber so schnell wie möglich. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen, da gibt es seit den 1980er Jahren viele Windkraftanlagen. Die Windkraft wurde in Baden-Württemberg lange Zeit – auch in der Bevölkerung – eher skeptisch betrachtet. Ich glaube aber, da hat jetzt ein Umdenken eingesetzt, sodass wir durchaus den Boden bereitet haben, hier eine Windkraftanlage bauen zu können. Wobei es sicherlich auch kritische Stimmen geben wird, wenn es konkret wird und wir einen Standort gefunden haben. Die neueren Anlagen sind sehr groß, ich rechne damit, dass eine Anlage bei uns eine Nabenhöhe von 150 Metern haben könnte, mit Rotor ist sie dann 250 Meter hoch. Zum Vergleich: Der Kölner Dom ist dann kleiner.

Ein anderes Thema: Wiesloch war 2022 ein Hotspot der "Spaziergänger". Würden Sie – rückblickend betrachtet – heute im Umgang mit den Spaziergängern etwas anders machen?

Ich glaube, dass unsere defensive Strategie, nicht dazwischen zu gehen und Versammlungen aufzulösen, die richtige war. Denn ich glaube, dadurch hätten wir noch mehr Widerstand ausgelöst. Das ist eine gesellschaftliche Bewegung, deren Meinung ich zwar weitgehend nicht teile, die jedoch Teil der Demokratie ist. Es gibt einen Teil der Gesellschaft, der die ergriffenen Maßnahmen skeptisch sieht und sich auf diese Weise äußert. Ich würde mich freuen, wenn das ganze bei angemeldeten Demonstrationen passiert und sich die Leute damit nicht noch weiter außerhalb des Rechts stellen würden. Aber ich glaube, der Rechtsstaat ist nicht in Gefahr, wenn ein paar Leute schweigend durch die Straßen laufen. Insofern muss man im Sinne der Verhältnismäßigkeit schauen, wo man einschreiten muss und was man mit einem Zähneknirschen auch akzeptieren kann.

In der Unteren Hauptstraße zeigt Oberbürgermeister Dirk Elkemann (r.) den Baufortschritt. Foto: Pfeifer

Die Untere Hauptstraße ist seit einem Jahr Baustelle. Wie geht es dort voran?

Ich glaube, dass wir eine ganz tolle Straße bekommen, in der sich Menschen aufhalten wollen und der motorisierte Verkehr eine geringere Rolle spielen wird, als das früher der Fall war. Denn das Ziel ist ja, dass die Stadtgalerie eine echte Anbindung an die Innenstadt erfährt. Wir mussten dort aber echte Basisarbeit leisten was die Infrastruktur anbelangt. Bislang gab es in der Straße keinen Strom für die Straßenbeleuchtung, deshalb war diese von Hauswand zu Hauswand gespannt. Mittlerweile sind die Leitungen aus den Randbereichen in die Mitte verlegt worden und im März soll die neue Asphaltdecke kommen.

Wiesloch wächst weiter, im Quartier am Bach werden bald 700 neue Wieslocher leben.

Das ist wie ein kleiner neuer Stadtteil. Es ist das größte Neubaugebiet, das wir in diesen Jahren entwickeln werden. Für mich ist dieses Wohnprojekt zukunftsträchtig, weil dort verdichtet, aber doch lebenswert gebaut wird und keine reine Einfamilienhaussiedlung entsteht. Das Unternehmen hat sich auch ein Modell ausgedacht, wie der Mittelstand in Eigentum kommen kann, nämlich über ein besonderes Erbpachtmodell. Im Laufe von zehn Jahren können die Mieter dort auch Eigentum erwerben. So wurden Perspektiven für viele Menschen geschaffen, dauerhaft dort sesshaft zu werden.

Aber die zusätzlichen Bewohner brauchen auch die entsprechende Infrastruktur. Was muss Wiesloch hier tun?

Die Metropolregion ist eine Boom-Region. Es entstehen hier Arbeitsplätze und diese Arbeitsplätze ziehen Menschen und ihre Familien an, die hier wohnen und leben wollen. Dementsprechend wirkt sich das auch auf Kindergärten und Schulen aus. Eine Studie hat uns jetzt gezeigt, dass wir in der Prognose zusätzlichen Bedarf an Grundschulplätzen haben. Und die große Frage war, wo die entstehen sollen. Wir haben unterschiedliche Standorte gegeneinander abgewogen und sind zu dem Schluss gekommen, dass der Standort Frauenweiler am zukunftsträchtigsten ist und man die Schule dort auch gut ausbauen kann. Die Herausforderung wird hier der Schulweg für die Kinder aus der Kernstadt sein. Da müssen wir uns noch vertieft Gedanken machen.

Sie haben den Schulweg angesprochen. Gibt es dafür schon Ideen?

Den Verkehrsweg werden wir noch mal intensiv anschauen. Es gibt die Forderung nach einer Brücke, die ist allerdings mit vier bis fünf Millionen Euro taxiert. Um sichere Überquerungsmöglichkeiten zu schaffen, müssen wir den geplanten Kreisverkehr an der Kreuzung zum Gewerbegebiet vielleicht etwas schneller bauen. Wir werden alles daran setzen, dass es für den Schulweg eine Option ohne Elterntaxis gibt. Denn wir wollen nicht, dass jeden Morgen aus der Kernstadt ein Lindwurm rausfährt und die Straßen in Frauenweiler verstopft. Dafür sind die gar nicht ausgelegt.

Was war Ihr persönliches Highlight?

"Nach" Corona konnten endlich wieder kulturelle Veranstaltungen stattfinden. Man hat gemerkt, dass die Leute wieder rausgehen wollten. Das hat man zuletzt beim Weihnachtsmarkt gemerkt, der war immer gut besucht. Aber auch die Veranstaltungen im Sommer, als sich abzeichnete, dass sich die Pandemielage etwas entspannt, wurden super angenommen. Wie bei den Konzerten, die wir auch im Gerbersruhpark veranstaltet haben. Menschen können sich wieder treffen und sich unterhalten. Ich glaube, das ist das, was in den Pandemiejahren wirklich zu kurz gekommen ist. Habe mich sehr gefreut, dass das Leben jetzt wieder zurückkehrt in die Stadt.

Dieses Jahr stehen in Wiesloch wieder Oberbürgermeisterwahlen an. Haben Sie sich schon entschieden, ob Sie wieder antreten?

Ich habe mich schon entschieden und werde beim Neujahrsempfang am Freitag, 13. Januar, verkünden, was ich tun werde.

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Wiesloch. Wohnen, Arbeiten, Verkehr sind die Themen, die Wieslochs Oberbürgermeister Dirk Elkemann gerade stark beschäftigen. Beim Rundgang mit der RNZ erläutert er, wie und wo er jungen Familien gerne ein Zuhause geben würde und warum es gut ist, dass auf dem Gelände von Heidelberger Druckmaschinen ein Investor neue Unternehmen ansiedeln möchte.

Herr Elkemann, Corona beschäftigt uns nun schon seit zwei Jahren. Was hat trotz der Pandemie 2021 in Wiesloch gut geklappt?

Es gibt schöne Geschichten des nicht ganz Alltäglichen, die einem ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Da merkt man: Es ist nicht alles bedrückt und schlimm, sondern an der ein oder anderen Stelle flackert das gesellschaftliche Leben doch auf. Und diese Momente muss man genießen. Ich fand den Sommer relativ entspannt und habe mir eine Freibad-Saisonkarte gekauft. Es war toll, den Sommer im Freien zu genießen.

Was musste liegen bleiben?

Der Ersatzstandort für die EnBW. Wir hatten ja einen Prozess für die Suche nach Alternativen aufgesetzt, der zwei Jahre lief. Und der vom Gemeinderat begleitet und angestoßen wurde. Dass der Gemeinderat am Ende eines solchen Prozesses dann entscheidet, das Gebiet Sternweiler-Ost nicht der EnBW als Ausweichstandort anzubieten, darüber bin ich wirklich enttäuscht. Das Unternehmen gehört zu Wiesloch und sollte auch weiter zu Wiesloch gehören. Da im Metropolpark und bei den Heidelberger Druckmaschinen keine geeigneten Flächen gefunden wurden, wird Sternweiler-Ost noch einmal aufs Tapet kommen. Dann muss sich der Gemeinderat entscheiden, ob er das Unternehmen halten will – oder nicht.

Wenn die EnBW ihren Standort in der Stadt räumen würde, ergäben sich zusammen mit dem frei werdenden Areal von Ford Wagner große Entwicklungsmöglichkeiten. Wie sieht Ihre Vision dafür aus?

Das ist ein Gebiet, das sich perfekt für eine zentrumsnahe Wohnbebauung eignet, wo wir vielen Familien Raum geben können, um dort sesshaft zu werden. Wir haben in Wiesloch einen extrem hohen Wohnungsbedarf und ich glaube, dass wir dort, auf einer versiegelten Fläche, die Chance haben, ein tolles Wohngebiet zu entwickeln. Wenn das noch zusammen mit der aktuellen EnBW-Fläche passieren könnte, dann wäre das aus meiner Sicht städtebaulich ein richtig großer Wurf. Und deshalb kämpfe ich dafür, dass das klappt.

Gibt es Überlegungen, wie viel Wohnraum dort entstehen könnte?

Im städtebaulichen Entwicklungskonzept ist das eine Fläche, auf der man perspektivisch eine etwas höhere Dichte an Wohnungen vorgesehen hat. Dass wir dort keine Einfamilienhäuser bauen werden, ist völlig klar. Ob es drei oder fünf Stockwerke werden, ist noch offen und wird Teil des Bebauungsplanverfahrens. Da wird man sich an der umgebenden Bebauung orientieren.

Richtung Frauenweiler soll ein neues Gewerbegebiet entstehen und ebenfalls Wohnraum. Braucht man das noch zusätzlich?

Das Wohnen ist dort nur eine Arrondierung für die Wohnbebauung in Frauenweiler. Die Frauenweiler wollen nicht Teil der Kernstadt werden. Da soll eine Zäsur bestehen bleiben. Und wenn Ford Wagner und die EnBW in die Entwicklung kämen, würden wir diese Arrondierung zunächst zurückstellen. Wir wollen uns nicht verzetteln. Für mich gilt: Innen- vor Außenentwicklung. Das Gewerbe soll parallel zur L 723 angesiedelt werden. Dort prüfen wir gerade, ob die Eigentümer verkaufsbereit sind, ob wir die Fläche entwickeln können.

Wie sind die Rückmeldungen?

Die Grünen haben sich schon positioniert. Sie sagen, dass wir das – in der Abwägung zwischen Klimaschutz und Gewerbeförderung – alles nicht brauchen. Ich vertrete da eine andere Auffassung, zumal wir 17 Unternehmen haben, die sich für diesen Bereich beworben haben und darauf warten, dass das entwickelt wird.

Und wenn es keine Mehrheit für das Gewerbegebiet gebeten sollte?

Ich fände es schade, wenn wir den 17 Unternehmen sagen müssten: Tut uns leid, sucht Euch woanders etwas. Wenn diese Unternehmen nichts in Wiesloch bekommen, heißt das ja nicht, dass die überhaupt nicht mehr bauen. Die werden sich dann woanders etwas suchen, wo sie willkommen sind. Und das fände ich schade, wenn wir die Gewerbesteuer und die Arbeitsplätze nicht am Ort hätten, aber den Verkehr möglicherweise trotzdem.

Über ein Viertel es 800.000 Quadratmeter großen Geländes von Heidelberger Druckmaschinen wurden vor Kurzem verkauft. Was bedeutet das für Wiesloch?

Ich freue mich sehr, dass der Investor VGP so großflächig einsteigt. Das ist eine Riesenchance, gute Unternehmen in Wiesloch anzusiedeln. Wir haben VGP als Immobilienprofi kennengelernt, der für namhafte Unternehmen Logistik- und Produktionsstandorte baut und betreibt. Ich bin zuversichtlich, dass es denen gelingt, ein sehr attraktives Unternehmen – oder auch mehrere – zu gewinnen. Und wir hoffen natürlich auf Arbeitsplätze und Gewerbesteuer.

Rechnen Sie damit, dass es auf der L 723 durch diese Entwicklung mehr Verkehr geben wird?

Ja, dadurch wird es mehr Verkehr geben, denn wenn dort Menschen arbeiten, müssen die dorthin kommen und auch wieder weg. Auf der anderen Seite wissen wir nicht genau, wie sich im Bereich der Dienstleister künftig der Verkehr entwickeln wird. Derzeit ist er durch Corona und Homeoffice massiv zurückgegangen. Langfristig rechnen aber alle damit, dass wir auf das frühere Level zurückkommen und der Verkehr langsam zunimmt. Dementsprechend müssen wir dran bleiben, die L 723 auszubauen.

Wiesloch hat erst die Bertha-Benz-Realschule saniert und die Esther-Bejarano-Gemeinschaftsschule neu gebaut. Nun muss das Ottheinrich-Gymnasium für 17 Millionen Euro saniert werden. Wie ist da – vor dem Hintergrund der städtischen Finanzsituation – Ihre Gefühlslage?

Die Summen, die dort bewegt werden müssen, sind schon gewaltig und da kann es einem schon schwummrig werden. Aber letzten Endes haben wir uns im Gemeinderat in großer Einigkeit darauf verständigt, dass der Bildungsbereich einer unserer Schwerpunkte ist und wir dort auch investieren. Aber ich gebe zu: Es hätte beim OHG auch gerne etwas weniger sein dürfen. Unsere Schwierigkeit ist, dass Wiesloch Anfang der 2010er-Jahre wirtschaftlich so schlecht da stand, dass gar nichts mehr gemacht werden konnte. Da war kein Geld da, um in den Erhalt von Substanz zu investieren. Dementsprechend baut sich da ein Sanierungsstau auf, den wir abzuarbeiten haben.

Gerade wird am Radverkehrskonzept für Wiesloch gearbeitet. Sie fahren selbst viel Fahrrad. Was wünschen Sie sich für Fahrradfahrer in Wiesloch?

Ich denke, überall dort, wo wir eine Straße baulich anfassen, muss darauf geachtet werden, dass alle Verkehrsteilnehmer zu ihrem Recht kommen. Im Konzept werden Strecken definiert, die zukünftig noch einfacher mit dem Fahrrad zu befahren sein sollen. Dass das gleichzeitig mit Einschränkungen für Autofahrer einhergeht, ist so und auch gesellschaftlich gewollt und ich unterstütze das.

Das Winzerfest ist 2021 zum zweiten Mal ausgefallen. Sie sitzen an einer Neukonzeption. Können Sie schon etwas verraten?

Da sind wir noch nicht so konkret, dass man jetzt schon was sagen könnte. Sicher ist, dass das Weindorf ein zentraler Bestandteil sein wird und auch sein muss, weil es sensationell angenommen wird und es letztendlich das ist, was ein Winzerfest ausmacht. Aber in welchem Rahmen wir das künftig machen, vermag ich noch nicht zu sagen.

Im Palatin-Prozess wurde das Fehlverhalten des ehemaligen Geschäftsführers strafrechtlich aufgearbeitet. Wird nun ein Zivilprozess folgen?

Soweit das Palatin und damit auch die Stadt einen Schaden erlitten hat, werden wir den geltend machen. Das Verfahren ist aber komplett offen. Klar ist: Wir können das jetzt nicht mehr auf sich beruhen lassen. Wirtschaftlich wird das keine Gewinnnummer werden für die Stadt. Denn für die Aufbereitung der Sachverhalte mussten wir relativ viel aufwenden. Das ist aus meiner Sicht jetzt aber ein Akt der politischen Hygiene.

Gibt es denn mittlerweile Mechanismen, die künftig verhindern können, dass es zu solchen Untreue-Taten kommt?

Grundlegend gab es schon Compliance-Regeln, insbesondere im Palatin. Wir wollen aber eine Whistleblower-Möglichkeit einrichten: Wem etwas auffällt, der soll künftig ohne persönliches Risiko Sachverhalte zur Kenntnis bringen können. Das war meiner Ansicht nach die Schwierigkeit im verhandelten Fall. Mitarbeiter haben was gesehen und hatten ein komisches Gefühl. Aber sie wussten nicht, ob es wirklich falsch war. Und wie Dinge verbucht wurden, war weder für den Beirat noch für den jeweiligen OB oder den Gemeinderat ersichtlich. Wir müssen es schaffen, von möglichen Fehlentwicklungen, die in unserem Verantwortungsbereich auftreten, zu erfahren, damit wir sie konsequent verfolgen und frühzeitig abstellen können.

Was hat Sie 2021 am meisten geärgert?

Das war die Beleuchtung des Bögnerwegs zwischen Wiesloch und Rauenberg. Wir haben jetzt die Radwegebeleuchtung einvernehmlich auf Eis gelegt. Denn das Regierungspräsidium hat uns signalisiert, dass wir erst einmal abwarten sollen, wie die weitere Entwicklung der neuen rechtlichen Situation ist. Doch bei der Vehemenz, mit der wir in dieser Sache auf Granit gebissen haben, bin ich nicht sonderlich optimistisch, dass wir eine Beleuchtung einer der beiden Wege noch hinkriegen.

Und was war Ihr persönliches Highlight?

Die virtuelle Begegnung mit den Flegenheimers bei der Gedenkfeier zur Deportation jüdischer Menschen aus Wiesloch vor 81 Jahren. Auch wenn Joel Flegenheimer und Paul Flagg nur virtuell zugeschaltet waren, so war es doch sehr eindrücklich. Sie berichteten davon, was ihnen alles Schlimmes widerfahren ist. Gleichzeitig haben sie aber auch erzählt, wie sie nach dem ganzen Leid ihr Leben gemacht haben. Und als sie gefragt wurden, ob sie mit Bitterkeit auf das Leben zurückschauten, verneinten beide und sagten unisono: "Wir haben doch Glück gehabt." Dass man so auf ein Leben blicken kann, das doch lebensbedrohlich schwierig war, hat mich nachhaltig beeindruckt.

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