Neckarhäuser Fähre

Der Fährmann geht von Bord

Nach fast 40 Jahren und über 600.000 Überfahrten hört Achim Landwehr auf - Unter seinen Fahrgästen war auch Bundeskanzler Kohl

24.05.2019 UPDATE: 25.05.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 24 Sekunden

Achim Landwehr beförderte mit der Fähre wohl über eine Million Fahrgäste. Foto: Alex

Von Christoph Moll

Neckargemünd/Neckarsteinach. Achim Landwehr hat 38 Winter lang gefroren. Im vergangenen Winter bekam er jedoch keine kalten Füße. Da hat er sich russische Filzstiefel im Internet bestellt. "Ich hätte mir die schon viel früher zulegen sollen", bereut der Fährmann. Einen weiteren Winter wird Landwehr nicht mehr auf der Fähre verbringen. Nach 39 Jahren im Dienst auf der schwimmenden Brücke zwischen dem badischen Neckarhäuserhof und dem hessischen Neckarhausen geht der 64-Jährige in den Ruhestand.

Am Sonntag, 26. Mai, um 10 Uhr wird er bei einem ökumenischen Gottesdienst auf der Fähre verabschiedet. Um 20.30 Uhr legt er dann zum letzten Mal an - zumindest im regulären Dienst. Künftig wird er nur noch als Aushilfe einspringen.

Beim RNZ-Besuch sitzt Landwehr auf einem knorrigen Stuhl im Fährhäusel, das im Jahr 1928 errichtet wurde. Von hier hat er die Fähre immer im Blick. Auf dem Tisch liegt die RNZ. In seiner letzten Dienstwoche zwingt ihn das Hochwasser zum Abwarten. Die Fähre liegt am Ufer. Landwehr hat Zeit zum Erzählen.

"Es ist schade, aber es reicht nun auch", sagt der Fährmann, der seinen Beruf immer mit Herzblut gemacht hat. Doch die vergangenen Monate waren schwierig. Anfang 2018 kündigte sein Kollege, Landwehr fuhr seitdem jeden Tag. "Das war nervenaufreibend", sagt er. "Ich konnte nie abschalten." Normalerweise wäre er erst Ende 2020 in den Ruhestand gegangen. Nun geht er früher.

Auch interessant
Neckargemünd/Neckarsteinach: Nachfolger für Fährmann zwischen den Ländern gefunden
Neckargemünd/Neckarsteinach: Neckarfähre kehrt in ruhiges Fahrwasser zurück
Neckargemünd-Neckarsteinach: Kann die Fähre gerettet werden?
Neckargemünd/Neckarsteinach: Die Fähre gerät ins Schlingern
B37-Baustelle Neckargemünd: Die Vollsperrung bringt den Fährmann ins Schwitzen
: Neckarhäuserhof: Mit der Hochseilgierfähre über den Neckar
Achim Landwehr. Foto: dpa

In 39 Jahren hatte Landwehr wohl über eine Million Passagiere auf über 600.000 Überfahrten. Darunter waren auch Prominente wie Bundeskanzler Helmut Kohl mit seiner Frau sowie Tennislegende Steffi Graf mit ihrem Mann Andre Agassi. "Wie geht’s, Herr Fährmann?", fragte Kohl. Landwehr antwortete: "Gut, Herr Bundeskanzler." Jeder Fahrgast sei jedoch gleich, sagt Landwehr: "Da mache ich keinen Unterschied."

Vor allem in den vergangenen Jahren hat Landwehr viele Fahrgäste befördert, die das eigentlich gar nicht wollten: Ihr Navi hat sie meist von der Autobahn A 6 an die Fähre gelotst, wo sie dann verdutzt standen. "Am Ende waren alle begeistert", erzählt der Fährmann, der aber beobachtet hat: "Die Leute haben heute keine Zeit mehr."

Das schönste Erlebnis für Landwehr war die Taufe mehrerer Kinder auf der Fähre im Jahr 2008 - mit geweihtem Neckarwasser. Doch es gab auch ein schlimmes Ereignis, das Landwehr bis heute nicht losgelassen hat: der Unfall im Jahr 1992, bei dem ein kleines Kind im Neckar ertrank. Die Fähre hatte schon abgelegt, als der Dreijährige unbemerkt den Schlüssel im Auto umdrehte.

Der Wagen machte einen Satz nach vorne, durchbrach die Schranke und versank im Neckar. Landwehr sprang hinterher, versuchte das Kind zu retten - vergeblich. Dabei wäre er fast gestorben. Er verlor das Bewusstsein und konnte gerade noch aus dem Wasser gezogen werden. Seither geht er nicht mehr schwimmen.

"Ich hatte Riesenglück", sagt Landwehr. Ans Aufhören habe er nie gedacht. "Aber ich achte seither noch mehr darauf, dass kein Schlüssel mehr steckt, wenn Kinder alleine im Auto sind." Mit dem Unglück habe sich seine Einstellung zum Tod geändert, erzählt Landwehr: "Es ist gar nicht so schlimm - es war wie einzuschlafen." Eine gefährliche Situation habe es seither zum Glück nicht mehr auf der Fähre gegeben: "Die Leute sind übervorsichtig beim Auffahren und bleiben schon stehen, wenn ein Sensor piepst."

Dass er vor 39 Jahren Fährmann wurde, war eine "Notlösung", räumt der Mückenlocher ein: "Eigentlich wollte ich Förster werden." Das Heidelberger Bunsengymnasium verließ Landwehr mit der Mittleren Reife. "Doch dann nahm die Forstschule nur noch Abiturienten", erinnert er sich. Landwehr ging für vier Jahre zur Bundeswehr. Als diese vorbei waren, wurde gerade ein neuer Fährmann gesucht. Landwehr, der im Neckarhäuserhof aufwuchs und damals noch dort lebte, sagte zu. "Ich bin auf der Fähre groß geworden", erinnert er sich. "Sie war unser Spielplatz." Schon als Jugendlicher lernte er, sie zu fahren; als junger Mann wurde er dann Fährmann.

Den Dienst teilen sich seit Jahrzehnten zwei Fährleute im wöchentlichen Wechsel. Seither kamen und gingen fast ein Dutzend Kollegen, doch Landwehr blieb. Trotzte Hitze und Kälte, Schnee und Regen. "Die Hitze ist das Schlimmste", sagt er. "Doch da muss man durch." Jeden Abend sei die ganze Anstrengung vergessen. Auch an 14-Stunden-Tage gewöhne man sich.

"Montags habe ich in meinen freien Wochen immer gar nichts gemacht", sagt Landwehr und schmunzelt: "In den vergangenen Jahren ist das auch dienstags so gewesen." Die Einsamkeit auf der Fähre hat ihm nie etwas ausgemacht: "Ich will gar nicht viel reden." Der Austausch mit den Fahrgästen sei jedoch immer schön gewesen.

Seit er Fährmann ist, war Landwehr - verheirateter Vater einer erwachsenen Tochter - nie länger als eine Woche im Urlaub. Auch jetzt plant er keine große Reise. "Daheim ist viel liegengeblieben", sagt er. So wird er sich seinem großen Grundstück widmen und freut sich auf mehr Zeit mit Familie sowie Hund Aikoo. Außerdem wird er Zeit zum Angeln finden, wofür er auch mal an den Neckarhäuserhof zurückkehrt. "Aber nicht, um meine Nachfolger zu kontrollieren", betont Landwehr.

Ort des Geschehens

Der 42-jährige Markus Seibert aus Neckarhausen ist bereits im Dienst, im Juni soll der 30-jährige Jürgen Rak aus Schönau nach bestandener Prüfung folgen. "Sie können sich immer melden, wenn was ist", sagt der langjährige Fährmann. Geplant ist, dass er eine Woche als Aushilfe im August einspringt. "Vielleicht kriege ich wieder Lust auf die Fähre", sagt Landwehr und lacht: "Ich werde aber nicht heimlich nachts fahren."

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.