Neckargemünd/Neckarsteinach

Nachfolger für Fährmann zwischen den Ländern gefunden

Brücken haben den gemütlichen Wasserfahrzeugen den Garaus gemach - Und die wenigen verbliebenen Fähren leiden unter Personalproblemen

15.04.2019 UPDATE: 15.04.2019 08:27 Uhr 3 Minuten, 47 Sekunden
Achim Landwehr. Foto: dpa

Neckargemünd/Neckarsteinach. (dpa-lsw) Der Fährmann Charon befördert in der griechischen Mythologie die Toten von der Ober- in die Unterwelt - Achim Landwehr bringt seine Fahrgäste nur von einem Bundesland in das andere: über den Neckar von Baden-Württemberg nach Hessen und wieder zurück. Nach 39 Jahren auf der Autofähre geht der 64-Jährige, im Job immer gekleidet mit dunkler Schiffermütze und weißen Arbeitshandschuhen, im Juni von Bord und will seinen Ruhestand genießen. "Ich werde es mir zu Hause gemütlich machen", erzählt der Rentner in spe. Außerdem sei auf seinem Grundstück viel Arbeit liegen geblieben.

Der Mittsechziger, dessen Traumberuf eigentlich Förster war, kann sich beruhigt aufs Altenteil zurückziehen. Denn nach monatelanger Suche sind zwei Nachfolger für die historische Fährverbindung zwischen Neckarsteinach (Hessen) und Neckargemünd (Baden-Württemberg) gefunden, die sich wochenweise abwechseln.

Markus Seibert. Foto: dpa

Der 42-Jährige Markus Seibert steht Landwehr auf dem denkmalgeschützten Gefährt, Baujahr 1933, bereits jetzt zur Seite. Der andere muss Anfang Juni seine Theorie-Prüfung ablegen und bis dahin die erforderlichen 180 Schichten auf der Fähre absolvieren, damit Landwehr endlich kürzer treten kann.

Die Arbeit im Freien bei jedem Wetter ist hart. Die langen Arbeitszeiten - im Winter von 6 bis 19, im Sommer bis 20.30 Uhr - wären für die meisten ein Alptraum. Landwehr hat zuletzt 1982 einmal länger als eine Woche Urlaub gemacht. Aber all das lässt er als Grund für die mangelnde Beliebtheit des Jobs nicht gelten: "Es ist das Finanzielle, das die Leute abschreckt." Er bekommt als Pächter von den beiden Gemeinden 1070 Euro im Monat. Den Rest muss er über die Einnahmen aus dem Fährbetrieb reinholen. Und die werden immer kümmerlicher. 

Grund: veränderte Freizeitgewohnheiten. Die Menschen sind zu Fuß, mit dem Rad oder dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs. Ausflüge mit dem Auto sind passé, sagt der Kapitän einer der zwei letzten Fähren auf dem Neckar. Die andere verbindet flussabwärts Ladenburg und Edingen-Neckarhausen. Fahrpreiserhöhungen sind kompliziert durchzusetzen, weiß Landwehr. Derzeit kostet der einminütige Trip für den Fahrer samt Pkw 1,80 Euro, für jede weitere Person im Auto 40 Cent; von Fußgängern nimmt Landwehr 80 Cent. Wenn es gut läuft, tuckert er 100 Mal am Tag über den Fluss. Landwehrs Bilanz: "Reich wird man nicht davon, aber man kann davon leben."

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Die Sorgen um den Nachwuchs bei den Fährleuten kennt auch der Deutsche Fährverband. "Das ist kein attraktiver Beruf für junge Leute", sagt der Vorsitzende Michael Maul. Besonders betroffen seien die kleineren Fährbetriebe. Die Ausbildung dauere zwei bis drei Jahre, die Bezahlung bei den kleineren Fähren sei nicht gut und die Arbeitszeiten seien unangenehm. Bundesweit gibt es laut Maul rund 1000 bis 1200 ausgebildete Fährleute und -gehilfen mit einem Tauglichkeitsnachweis. Bis zu 150 Fährstellen haben Bedeutung für den öffentlichen Nahverkehr, also auch für Pendler.

Das Boot auf dem Neckar ist eine sogenannte Hochseilgierfähre mit Dieselmotor. Bei schneller Strömung kann Landwehr die schraubenbetriebene Fähre auch ohne Motor mittels Drahtseilen lenken. Das nennt der Fachmann "gieren". Dabei muss er verhindern, dass die Fähre abgetrieben wird. Wegen dieses Risikos wird etwa die Ladenburger Fähre zusätzlich mit einer motorbetriebenen Kette auf Kurs gehalten.

Zur Fähre gehört ein idyllisches Fährhaus am badischen Ufer, in dem Landwehrs Hund - kein Höllenhund Ceberus, sondern ein freundlicher Vierbeiner namens Aiko - auf sein Herrchen wartet. Seibert kann bei Flaute mal eben zuhause reinschauen. Der gelernte Zimmermann wohnt mit seiner Familie an der Anlegestelle auf hessischer Seite.

Der Fährbetrieb wirkt auf den ersten Blick geruhsam, kann die Fährleute zuweilen aber auf Trab bringen. "Sturm aus West - das ist Horror, Adrenalin pur", berichtet Seibert. Ausgerechnet am ersten Tag ohne Landwehr musste er mit dieser Wetterlage zurecht kommen. Nur mit größter Mühe habe der die Fähre manövrieren können. "Ich wollte nicht gleich am ersten Tag aufgeben und der Whats-App-Gruppe mit fast 90 Stammkunden absagen."

Kleinere Probleme sind da im Sommer unerfahrene Kanuten, die mit der blitzeblanken Alarmglocke gewarnt werden müssen, wenn sie der Fähre zu nah kommen. Aber die Fähre ist auch mit moderner Technik ausgestattet: Mit einem GPS-basierten Gerät können die Fährleute die Binnenschiffe in ihrer Nähe im Auge behalten.

Was es bedeutet, wenn eine kleine Fähre dann wirklich einmal ausfällt, weiß Petra Schneider von der Bürgerinitiative für eine Mainfähre aus dem hessischen Mühlheim am Main. Dort liegt gegenüber auf der anderen Flussseite die Gemeinde Dörnigheim - mit Fähre einen Katzensprung entfernt. Doch der Transfer über den Fluss wurde im Oktober 2017 eingestellt. Das Schiff war reparaturbedürftig und nicht mehr sicher. Das eigentliche Ziel am anderen Ufer fast in Sichtweite, mussten Schüler, Vereinsmitglieder, Arztpatienten oder Lehrer auf einmal einen Umweg von mehr als zehn Kilometern in Kauf nehmen.

Die Bürgerinitiative sammelte in einer Online-Petition mehr als 2700 Unterschriften. Mittlerweile wird die Fähre in Schuss gebracht und auch die Finanzierung durch Kreise und Kommunen steht. Die Beschlüsse sind wohl gefasst, sagt Schneider. "Ich bin sehr optimistisch. Anfang, Mitte Mai wird die Fähre wieder fahren."

Wenn alles gut klappt mit Landwehrs Nachfolge, dürften den Nutzern der Fährverbindung zwischen Neckarsteinach und Neckargemünd solche Unwägbarkeiten erspart blieben. Schlimm fände es die Autofahrerin Ramona Beylich, wenn sie für ihre Besuche beim Arzt und bei einer Freundin nicht mehr auf die günstige Verbindung zählen könnte. "Wir sind alle froh über den Nachwuchs", sagt die 66-Jährige, die die Fähre seit 20 Jahren zwei, drei Mal die Woche nutzt. Müsse sie über die nächste Brücke fahren, mache sich das in den Spritkosten und einem halbstündigen Umweg bemerkbar.

Ort des Geschehens

Beide Fährmänner teilen die Leidenschaft für ihren Beruf: Sie mögen den Job wegen der Gäste, denen sie das Leben leichter machen. Landwehr liebt die Schwätzchen mit den Passagieren, Seibert schätzt deren Freundlichkeit. "Es macht mir wirklich richtig Spaß. Die Dankbarkeit der Leute ist einfach unbezahlbar", sagt der zweifache Vater mit Bart und Wollmütze. Er setzt eine Familientradition fort - schon sein Uropa war Fährmann.

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