Für Tobias Schöneweis wird es erst unter der Erde interessant
Der 48-Jährige leitet die Abteilung Archäologie und Denkmalschutz und arbeitet gerne interdisziplinär. Schöneweis trat die Nachfolge von Renate Ludwig an.

Von Ingeborg Salomon
Heidelberg. Ein paar Zentimeter unter der Erde wird Heidelberg für Dr. Tobias Schöneweis erst richtig interessant. Als Grabungstechniker war der 48-Jährige in den letzten Jahren wetterfest gekleidet meist auf Baustellen unterwegs, wenn beim Kurpfälzischen Museum Heidelberg (KMH) jemand einen Fund gemeldet hatte.
Römische Scherben, keltische Mauerreste, mittelalterliche Werkzeuge hat er vor Ort besichtigt, geborgen und dann dokumentiert. Jetzt hat er die Gummistiefel mit den Straßenschuhen getauscht und drei Bildschirme auf seinem Schreibtisch stehen.
Seit 1. November ist Tobias Schöneweis Leiter der Abteilung Archäologie und Denkmalpflege am KMH; damit hat er die Nachfolge von Dr. Renate Ludwig angetreten, die zum 31. Oktober nach 30 Jahren verabschiedet wurde.
"Ich bin richtig glücklich und freue mich über die neuen Aufgaben", strahlt Schöneweis. Was nicht heißen soll, dass er vorher unglücklich gewesen sei, aber seine Leidenschaft gehöre der wissenschaftlichen Arbeit und die habe in den letzten Jahren doch oft zurückstehen müssen, erklärt er.
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Dass er sich für Geschichte interessiert, hat Tobias Schöneweis schon als Schüler gewusst. Geboren in Heidelberg und aufgewachsen an der Bergstraße begeisterte er sich am Gymnasium Schriesheim für die römischen Funde in Ladenburg und die Villa Rustica in Großsachsen.
Federführend war damals Dr. Berndmark Heukemes, der von 1962 bis 1992 die Archäologische Abteilung am KMH leitete. Weit über die Region hinaus bekannt, hat Heukemes große Fußstapfen hinterlassen, auch sein Nach-Nach-Folger spricht mit größtem Respekt von diesem Ausnahme-Forscher.
Dass Schöneweis nach dem Abitur Kunstgeschichte, Ur- und Frühgeschichte sowie Mittlere und Neue Geschichte an den Universitäten Heidelberg und Aberystwyth in Wales studierte, war folgerichtig und zeigt ein breit gefächertes Interesse an historischen Themen. Schwerpunkte waren Historische Bauforschung und Mittelalterarchäologie.
Ab 2001 engagierte er sich parallel zu Studium und Forschung freiberuflich in der Denkmalpflege. "Ich arbeite sehr gerne interdisziplinär und verstehe mich als Kulturwissenschaftler", erläutert Schöneweis.
Davon zeugt auch seine 2014 abgelegte Promotion am Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg zum Thema "Architektur zisterziensischer Wirtschaftsbauten".
Doch auch die praktische Feldforschung kam bei ihm nie zu kurz, bereits als Student arbeitete Schöneweis am DFG-Forschungsprojekt "Römisches Gräberfeld Heidelberg-Neuenheim" mit.
2007 wurde in Neuenheim eine fast vollständig erhaltene Jupiter-Gigantensäule gefunden, die seitdem im Kurpfälzischen Museum die Besucher beeindruckt.
Auch Schöneweis begegnet diesem Jahrhundertfund täglich mindestens zweimal: vor Ort beim Gang durch das Haus und auf seinem Bildschirm.
Hier kann er nämlich alle Funde der Umgebung in einer digitalen Karte aufrufen. Es sind ziemlich viele, denn "Heidelberg ist ein wunderbarer Ort für Archäologen", freut er sich.
Mit Graben und Forschen allein ist es allerdings nicht getan, alle Fundorte und Funde müssen auch dokumentiert werden – digital versteht sich.
Dafür hat Tobias Schöneweis ebenfalls ein Händchen, er hat sich freiberuflich immer mit modernen Vermessungsmethoden beschäftigt und sich verschiedene Computerprogramme für Bild und Text angeeignet.
Als Digitalbeauftragter des KMH hat er auch dafür gesorgt, dass inzwischen alle römischen Bestände digital gesichert sind; die Arbeit hier geht aber natürlich weiter und ist mit Sicherheit niemals zu Ende.
Besonders anschaulich lässt sich Stadtgeschichte an der 3D-Discovery-Station erleben, die dank der Manfred Lautenschläger Stiftung 2019 eingerichtet wurde; Tobias Schöneweis war Projektleiter.
Was aussieht wie eine überdimensionale Spielekonsole erweckt auf einer virtuell erschaffenen Fläche von 100 Quadratkilometern längst vergangene Epochen zum Leben. In einem Video fliegen Besucher probeweise und ferngesteuert in Heidelbergs Vergangenheit zurück.
Dabei erleben sie, basierend auf wissenschaftlichen Fakten und mithilfe moderner Gamedesign-Technologie, wie und wo Kelten und Römer gesiedelt und gelebt haben.
Die Discovery Station wurde jetzt erweitert, eine zusätzliche Ebene zeigt Heidelberg auf dem Höhepunkt der politischen Macht um 1620. Mehrere Zeitfenster öffnen den Blick auf die Situation im Jahr 1622, als die kaiserlichen Truppen unter dem Feldherrn Tilly Heidelberg belagerten und schließlich eroberten.
Das auf einer riesigen Bildschirm so hautnah mitzuerleben, begeistert nicht nur Schüler. Es ist auch eine perfekte Ergänzung zu der noch bis 29. Januar gezeigten Ausstellung "Krieg und Frieden", die Tobias Schöneweis kuratiert hat. Gerne bietet der Historiker Führungen an, "wir freuen uns auch sehr über junge Menschen, Geschichtslehrer können sich gerne melden", ermuntert er.
Dass er "Archäologie als Mehrgenerationenprojekt" versteht, ist inzwischen deutlich geworden. Ohne eine gute Vernetzung und regelmäßigen Austausch mit städtischen Ämtern, der Landesdenkmalpflege und der Schutzgemeinschaft Heiligenberg sowie die Hilfe von engagierten Ehrenamtlichen geht bei seiner Arbeit nichts. "Ich habe ein sehr gut bestelltes Feld übernommen", unterstreicht er.
Da Tobias Schöneweis bereits seit 2016 zum Team des KMH gehört, kennt er seine Kollegen gut, alle Abteilungen arbeiten eng zusammen. Für 2023 wolle man "das Museum auf den Berg bringen". Soll heißen: Der Keltenweg auf dem Heiligenberg soll attraktiver werden; geplant ist das schon länger, nun sollen konkrete Pläne gezeichnet werden.
Hat der neue Abteilungsleiter, der mit seiner Familie in Mannheim wohnt, bei so viel Arbeit am Schreibtisch manchmal Sehnsucht nach frischer Luft, Bewegung und einer handfesten Ausgrabung? Schöneweis lacht.
"Hier kann jeden Moment das Telefon klingeln, und wenn jemand einen Fund meldet, ziehe ich auch wieder die Gummistiefel an." Klar habe er im Winter etwas Bewegungsmangel, deshalb freut er sich schon auf den Sommer.
"Wir fahren gerne an den Atlantik nach Frankreich oder Portugal." Dort schwingt sich Tobias Schöneweis aufs Surfbrett. Das Glück liegt dann für ihn nicht unter der Erde, sondern direkt über dem Wasser.