Flüchtlinge in Patrick Henry Village: Was sich Politiker vor Ort um die Ohren hauen

Bilkay Öney informierte sich am Samstag in Patrick Henry Village - OB Würzner schilderte die Situation ganz unverblümt

19.07.2015 UPDATE: 20.07.2015 06:00 Uhr 3 Minuten, 3 Sekunden

Integrationsministerin Bilkay Öney (vorn, 2.v.r.), OB Eckart Würzner und die Heidelberger Sozialamtsleiterin Angelika Haas Scheuermann (l.) schauten sich das Bettenlager im ehemaligen US-Casino in Patrick Henry Village an. Foto: Rothe

Von Micha Hörnle

Man hat OB Eckart Würzner schon in sonnigerer Gemütslage gesehen. Als er am Samstag gegen 11.30 Uhr in der Flüchtlingsnotunterkunft aus seinem Dienstwagen steigt, geht er schnurstracks auf die Landesintegrationsministerin Bilkay Öney los und hält sich nicht lang mit Freundlichkeiten auf: In Heidelberg sei mittlerweile das Maß des Erträglichen überschritten.

Die Ministerin war eigentlich gekommen, um sich selbst ein Bild von der momentanen Überbelegung in Patrick Henry Village (PHV) zu machen - zu diesem Zeitpunkt waren hier 2607 Personen untergebracht -, und sie reagierte mit betonter Freundlichkeit auf die Unbill der letzten Wochen: Erst gab es in der Landespolitik die generelle Kritik des Rechnungshofs an ihrem, wie es hieß, zu kleinen und ineffektiven Ministerium, dann nervten die wiederholten Mahnungen der Heidelberger Kommunalpolitik, die Stimmung in der Stadt, und insbesondere in Kirchheim nicht kippen zu lassen, und schließlich war da noch der angebliche Streit zwischen ihr und der Ministerkollegin, der Heidelberger Landtagsabgeordneten Theresia Bauer, wer nun eigentlich bei der Infoveranstaltung am Mittwoch im Kirchheimer Bürgerzentrum reden dürfe.

An diesem Vormittag lobt sie wiederholt die Heidelberger und ihre Bereitschaft, so viele Flüchtlinge aufzunehmen, und sie schaut sich auch sichtlich betroffen das Feldbettenlager im ehemaligen US-Casino an. Angesichts der surrealen Situation - mit Tüchern verhängte Doppelstockbetten unter prächtigen Lüstern - entfährt es ihrem Pressesprecher: "Das ist krass." OB Würzner ist immer wieder bemüht, der Ministerin klare Zugeständnisse abzutrotzen: Wann gibt es endlich auch in anderen Regierungsbezirken nennenswert große Einrichtungen für die Erstaufnahme von Flüchtlingen? Wann wird endlich die Belegung im PHV auf erträgliche und allgemein akzeptierte 1000 Bewohner zurückgeführt? Da windet sich Öney: Sie versuche doch alles, auch in Sigmaringen, in Tübingen oder in Freiburg wolle man viele neue Plätze schaffen, doch irgendwann reicht es Würzner: "Immer heißt es, dass alles auf dem Weg ist. Aber nichts ist passiert. Dabei wissen wir doch seit mindestens einem Jahr, dass die Flüchtlingsströme nicht abebben, sondern anwachsen werden. Und seitdem nehmen wir in Nordbaden 70 Prozent aller Flüchtlinge im Land auf."

Manchmal eskaliert die Situation, dann streiten sich Würzner und Öney offen darüber, seit wann es in Heidelberg überhaupt Flüchtlingsnotunterkünfte gibt, was die maximale Belegungszahl in PHV sein soll und wie lange die Flüchtlinge hier bleiben. Am Ende sagt Öney fast resigniert: "Ich verstehe den Unmut und die Aufregung. Wir wollen ja auch nicht, dass hier 3000 Leute wohnen. Aber das geht nicht von heute auf morgen."

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Da hilft es, wenn Praktiker vor Ort berichten, wie es hier zugeht: Dass die meisten Probleme eben die allein reisenden jungen Männer machen, wie Manuela Gayer vom Regierungspräsidium berichtet. Öney schaut sich nach den Verantwortlichen der Betreiberfirma European Homecare um und fragt: "Aber gibt es denn keine Aufklärung und Ansprache, wie man sich hier benehmen soll?" Doch, die gebe es, sagt Gayer, "aber wie sollen wir kontrollieren, ob die sich auch daran halten?" Auch der Leiter des zuständigen Polizeireviers Süd, Thorben Wille, redet Tacheles: "Es gibt wirklich Spannungen, und wir haben ärgste Sicherheitsbedenken. Nur der Umstand, dass wir hier präsent sind, hilft dabei, die Eskalation zu ersticken. Alle, die hier arbeiten, sind am Rande des Zumutbaren. Und wir alle sind etwas dünnhäutig geworden, das ist eben auch ein Abbild der ganzen Situation hier." Die momentane Belegung von 2800 sei "absolut unerträglich", sagt Polizist Wille, "wir müssen dringend unter 2000". Und Manuela Gayer vom Regierungspräsidium spricht noch etwas anderes an, was zu viel Frust in PHV führt: "Die Aufenthaltsdauer ist viel zu lang, sie ist wesentlich länger als die eigentliche Obergrenze von drei Monaten."

Nach gut eineinhalb Stunden haben sich Würzner und Öney ihre Ansichten um die Ohren gehauen, die Stimmung ist immer noch gereizt. Und doch will die Ministerin nicht, dass die Heidelberger ihr zu sehr grollen: "Die Stadt zeigt wirklich einen guten Willen. Und die momentane Belegung ist auch absolut ungerecht. Daher bauen wir ja auch die Kapazitäten an anderen Standorten weiter aus."

Und was ist mit den anderen Forderungen Heidelbergs? Zum Beispiel der geforderte Busshuttle in die Innenstadt, um den Druck von Kirchheim zu nehmen? "Da läuft gerade eine Ausschreibung", heißt es vom Regierungspräsidium. Und die sechs neuen Stellen für die Flüchtlingsbetreuer? "Die werden bewilligt", sagt Öney.

Gefragt, was er von diesen Versprechungen hält, sagt Würzner: "Das ist es doch eben. Ist ja alles auf dem Weg. Aber es muss endlich mal etwas passieren. Ich kann nur hoffen, dass die Ministerin unser Anliegen verstanden hat." Man hat den Eindruck: Öney hat es verstanden, nur hat sie leider keine Macht, andernorts den sofortigen Bau neuer Flüchtlingsunterkünfte zu erzwingen. Wohl auch deshalb hat Würzner nun einen Brief an Ministerpräsident Kretschmann geschrieben. Es ist wohl das, was man einen Brandbrief nennt.

Info: Am Mittwoch, 22. Juli, stellt sich Integrationsministerin Bilkay Öney um 19.30 Uhr im Bürgerzentrum (Hegenichstraße 2) den Fragen oder Klagen der Kirchheimer.