Bekleidungsgeschäfte in der Krise

"Wir haben verderbliche Ware"

Die Herbst-Winter-Mode stapelt sich im Lager und die Frühjahrskollektion muss bald bezahlt werden.

08.02.2021 UPDATE: 09.02.2021 06:00 Uhr 4 Minuten, 40 Sekunden
„Wir wissen noch überhaupt nichts“, sagt Hermann Sock über mögliche Öffnungstermine. Foto: Rothe

Von Jonas Labrenz

Heidelberg. Schon in normalen Jahren ist der Februar für Modehändler stressig: Die Winterware muss raus, um Platz zu schaffen für die neue Frühjahrskollektion, die bezahlt und eingeräumt werden muss. Gleichzeitig stehen schon wieder die Bestellungen für die nächste Herbst/Winter-Kollektion an, die dann im September kommt. Eigentlich wäre gerade Schlussverkauf, der für leere Lager und klingelnde Kassen sorgen würde.

Doch dieses Jahr ist alles anders: Die Geschäfte haben seit dem 17. Dezember 2020 zu, die Winterware stapelt sich im Lager, die Kassen sind leer, staatliche Hilfen noch nicht angekommen. Keiner weiß, wie die Situation im September ist und ob man das, was man jetzt bestellt, dann überhaupt bezahlen und verkaufen kann. Die RNZ hat bei "Heisel" in der Hauptstraße, "Niebel" in Handschuhsheim und dem "Freudenhaus" in der Plöck nachgefragt, wie sie mit den Herausforderungen umgehen.

„Wir laufen auf dem Zahnfleisch“, sagt Bernd Niebel über die momentane Situation. Foto: Rothe

Der Herrenausstatter: Hermann Sock, Geschäftsführer bei "Heisel", hat schon ein bisschen Platzprobleme im Lager und räumt mit einem Irrglauben auf: "Jedes Teil, das wir hier drin haben, ist bezahlt, das können wir nicht zurückgeben." Und bald wird die neue Kollektion geliefert: "Die kommt jetzt, die muss bezahlt werden", so Sock. Finanzielle Hilfen sind noch nicht da. "Unbürokratische Hilfe gibt es nicht", sagt Sock, und sieht die Politik in der Pflicht: "Wir haben letztendlich ein Berufsverbot bekommen. Und die Stelle, die dafür verantwortlich ist, sollte auch Hilfen bereitstellen." Auch von der Industrie- und Handelskammer, der Stadt Heidelberg und dem Land Baden-Württemberg käme nichts. "Völlig unprofessionell", so Sock. Der Einzelhandelsverband kümmere sich allerdings hervorragend. "Das ist wirklich toll."

Glücklicherweise hat Sock die hochmodischen Teile noch vor dem Lockdown verkaufen können: "Der modische Kunde kommt relativ früh", erklärt er. Denn an eine Öffnung im Februar glaubt er nicht mehr. Überhaupt fehle ihm eine Perspektive: "Wir wissen noch überhaupt nichts." Ein Plan, bei welcher Sieben-Tage-Inzidenz wieder geöffnet werden könnte, sei sehr wichtig, allein um sich vorzubereiten. Beim Lockdown im Frühjahr 2020 habe er eine Woche vorher Bescheid bekommen. Sock rechnet frühestens mit einer Öffnung im März. "Wir freuen uns, dann mit der neuen Kollektion zu starten, aber Herbst- und Wintermode, das ist dann ein alter Zopf."

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Dabei muss Sock, wie seine Kollegen, noch weiter vorausdenken. Die Bestellung für die nächste Herbst- und Winterkollektion muss jetzt gemacht werden. Er sorgt sich um die Hersteller, bei denen er die Ware ordert: "Wenn keiner bestellt und deren Fabriken schließen müssen, dann gehen die Maschinen nach China und das Know-How von Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten ist weg. Dann gibt es überall nur noch 0815-Produkte", so Sock.

„Einzelteile bekommt man nur schwer los“, sagt Michael Schweyher. Foto: Rothe

Der große Modehändler: "Wir haben verderbliche Ware", sagt Bernd Niebel, Geschäftsführer des gleichnamigen Modehauses. Auch er sorgt sich wegen der fehlenden Perspektive: "Wir laufen auf dem Zahnfleisch." Nicht nur für ihn, auch für seine Mitarbeiter sei die Schließung hart. "Sie freuen sich darauf, wieder arbeiten zu können", sagt Niebel. Langsam sei eine Grenze erreicht. Große Modeketten in der Hauptstraße räumten schon ihre Geschäfte aus. "Und das ist erst der Anfang", so Niebel. "Die Innenstädte werden bald anders aussehen", ist er überzeugt. Niebel will mit seiner Kritik allerdings nicht falsch verstanden werden: "Wir sind keine Corona-Leugner." Von diesen und allen Rechten distanziert er sich deutlich. "Ich will die Krise nicht schönreden. Wir leugnen das nicht. Trotzdem wünschen wir uns ein Zeichen."

Niebel hat noch viel Ware im Lager, die im nächsten Jahr nicht mehr aktuell sei. Er verkauft deshalb viel online, auch wenn er daran praktisch nichts verdient. "Mir bleibt nichts anderes übrig", sagt Niebel. Click & Collect, also im Internet zu bestellen und es im Geschäft abzuholen, sei kaum kostendeckend, aber ein Stück weit Motivation. Ebenso sei es mit der "Dankeschein"-Aktion der Stadt gewesen. Trotz allem möchte Niebel positiv bleiben: "Wir freuen uns auf die neue Ware und unsere Kunden."

Das kleine Geschäft für nachhaltige Mode: "Wir sind nicht der Teenie-Laden, der jeden Trend mitmacht", sagt Michael Schweyher. Seine Ware sollen die Kunden grundsätzlich mehrere Saisons tragen können, deswegen kann er einiges auch weiterhin noch verkaufen. Doch vieles davon sei nicht mehr "durchsortiert", es fehlen also bestimmte Größen. "Einzelteile bekommt man grundsätzlich schwer los", so der Geschäftsführer. Eigentlich werden die im Schlussverkauf günstig angeboten, doch im März wird das wegen der dann wahrscheinlich höheren Temperaturen schwierig. "Da ist nichts planbar."

Auch dass das Weihnachtsgeschäft komplett weggebrochen ist, hätte niemand gedacht, sagt Schweyher. Mit diesen Einkünften bezahle man eigentlich die jetzt neu eintreffende Ware. Normalerweise wäre im Moment auch der Schlussverkauf. "Klar werden wir noch Sale-Aktionen machen", so Schweyher, "aber wir werden nicht alles überhastet rauswerfen." Der Geschäftsführer ist trotzdem optimistisch. "Unsere Kunden sind sehr treu", sagt er.


Wo "Click & Collect" gut läuft und wo nicht

Heidelberg. (hmt) Die Situation des Einzelhandels nach fast zwei Monaten Shutdown ist bedrückend. Viele Läden sind komplett geschlossen, andere bieten zumindest "Click & Collect" an, wenige dürfen sogar geöffnet sein – doch auch diese leiden darunter, dass so wenige Menschen in der Innenstadt sind. Die RNZ hat bei Inhabern nachgefragt, wie sie durch die Krise kommen.

"Ich bin dankbar über unsere Stammkundschaft und über jeden, der nicht online kauft", sagt Susanne Schaffner von Tee Gschwendner. Sie weiß um die Probleme des Einzelhandels und hat sich als Vorsitzende des Citymarketingvereins "Pro Heidelberg" für die Aktion "Dankesschein" eingesetzt. Damit können Heidelberger ihren Lieblingsladen bis 28. Februar mit je zehn Euro unterstützen. Sie selbst hat davon jedoch nichts, denn "Dankstelle" kann nur werden, wer während des ersten Lockdowns schließen musste – und ihr Teeladen durfte offenbleiben.

Schon vor Corona hatte der Einzelhandel aufgrund von Strukturwandel und Onlinegeschäft zu kämpfen, dieser Prozess wird jetzt aber beschleunigt. "Die letzten Wochen waren sehr anstrengend", sagt Marion Brecht vom Heidelberger Zuckerladen – auch ihr Geschäft ist offen. "Es ist unser großes Glück, dass uns die Leute treu sind." Die Zeiten seien aber schwierig. "Es ist gruselig, durch die Straßen zu laufen und zu sehen, wer schon alles aufgegeben hat."

Auch Anne Merz, Inhaberin von Wolkenseifen, sagt: "Ich frage mich, wie es weiter gehen soll." Als Drogeriegeschäft hat sie zwar offen, viel nützt das aber nicht. "Die Stadt ist leer und viele Menschen wissen gar nicht, dass einzelne Läden geöffnet sind." Sie habe das Gefühl, in der Politik würden die Schicksale der Ladenbetreiber zu abstrakt gesehen. Nach dem Motto: "Wenn ein Laden schließen muss, ist in zwei Monaten wieder jemand Neues drin." Als wäre die ganze Situation nicht nervenaufreibend genug, sei sie in letzter Zeit häufig mit Corona-Leugnern konfrontiert. Ohne Maske kämen diese in den Laden und verstünden die Öffnung fälschlicherweise als Protest gegen die Corona-Maßnahmen.

Bei Petra Berschin, Inhaberin vom "Bücherglück" in der Bahnstadt, hat sich das "Click & Collect"-System bewährt. "Wir sammeln die Bestellungen und sagen den Kunden, wann sie die Ware abholen können", berichtet sie. Auch sie ist dankbar für ihre Stammkundschaft, die das Angebot bisher annimmt. "Click & Collect" läuft aber nicht überall gut. So sagt Florian Knoblauch vom Schreibwarengeschäft Knoblauch zwar: "Es kommen mehr Leute als gedacht. Wir haben etwa 20 bis 30 Kunden pro Tag." Nur: Vor Corona seien über 200 Kunden täglich der Normalzustand gewesen. Der Laden darf derzeit zwar geöffnet haben, aber nur Büroartikel, Schreibwaren und Postkarten verkaufen. Warum? Das ist auch Knoblauch ein Rätsel.

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