Von Ingrid Thoms-Hoffmann
Herr Frank, haben Sie eigentlich kein schlechtes Gewissen, denn Sie haben nicht nur Journalisten blamiert, die Ihre sogenannte Studie ohne Recherche abgedruckt haben, sondern auch seriöse wissenschaftliche Publikationen?
So langsam kriege ich schon ein schlechtes Gewissen, allerdings gegenüber meinen Patienten. Viele etablierte Therapien basieren auf solchen schlechten Studien, die ich aber meinen Patienten laut offiziellen Behandlungsleitlinien verordnen soll. Als Arzt kommt man da schon in Erklärungsnot, wenn Patienten anfangen, solche Therapien zu hinterfragen und echte Nachweise zu verlangen.
Sie hatten in Heidelberg in Ihrer Praxis ja echte Probanden. Wussten diese von dem Fake?
Nein, sie hatten keine Ahnung, als sie im Januar in meine Praxis kamen. Sie wussten aber, dass sie Teil einer Fernsehreportage sind. Vor vier Tagen habe ich alle angeschrieben und vollständig aufgeklärt.
Wie wurden denn die Testpersonen gefunden?
Das war ganz einfach über eine Facebook-Seite der Arte-Redaktion. Für die Teilnahme gab es ja auch ein Honorar. Die Freiwilligen kamen vorwiegend aus Heidelberg, waren Studenten und Heidelberger Bürger.
Und wie lief dann das Ganze ab?
Vorausschicken muss ich, dass zu Beginn der "Studie" jeder Teilnehmer von mir eingehend untersucht wurde, um beispielsweise medizinische Ausschlusskriterien abzuklären. Danach wurden sie in drei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe diente als Kontrollgruppe und aß einfach weiter, was ihnen schmeckte. Eine Gruppe verringerte den Kohlehydratanteil der Nahrung, eine sog. Low-Carb-Ernährung. Wichtig war mir, dass keine Kalorienreduktion stattfand, denn das halte ich im Rahmen einer Abnehmdiät für gesundheitsschädlich. Eine dritte Gruppe verzehrte zusätzlich täglich exakt 42 Gramm Schokolade mit einem Kakaoanteil von 81 Prozent.
Welches Ergebnis kam nach drei Wochen heraus?
Das, was wir vorher geplant hatten, nämlich, dass Schokolade beim Abnehmen hilft.
Und das war gelogen?
Nicht direkt. Wir haben aber die in der Wissenschaft üblichen Tricks angewandt, um unser Wunschergebnis zu erreichen. Beispielsweise wurde eine Testperson mit ungünstigem Ergebnis bei der zweiten Messung "übersehen", ein paar Daten anders aufbereitet ... das Übliche halt. Grundsätzlich sollte die geringe Teilnehmerzahl pro Gruppe jeden Fachmann stutzig werden lassen.
Wer kam eigentlich auf die Idee, diese freche Sache zu starten?
Das war der Journalist Peter Onneken, der für den Fernsehsender Arte arbeitet. Er kam auf mich zu, weil er meine Bücher kannte.
In verschiedenen Publikationen wird erwähnt, dass die sensationelle Diät-Studie aus dem "Institute of Diet and Health" aus Mainz stammt. Dieses Institut gibt es doch gar nicht. Fiel das den Journalisten nicht auf?
Offenbar nicht. Niemand prüfte nach. Recherchiert wurde auch nicht über den "Leiter" des Instituts. Da hatte sich der US-Journalist John Bohanon von dem weltweit führenden Wissenschaftsmagazin "Science" zur Verfügung gestellt.
Für Sie ist es ja nicht neu, dass sich die Öffentlichkeit von "dubiosen Studien" manipulieren lässt. Ich erinnere mich an das RNZ-Forum im letzten Jahr, wo Sie mit sogenannten seriösen Studien kritisch ins Gericht gingen. Was war für Sie jetzt noch zu beweisen?
Für mich gab es nichts mehr zu beweisen. Trotzdem habe ich da gerne mitgemacht. Denn wir leben in einem modernen Zeitalter und eine pfiffige Fernsehreportage macht diesen Schwindel für die Öffentlichkeit einfacher erkennbar.
In Ihren Büchern gehen sie ja auch immer wieder auf die finanziellen Verstrickungen zwischen Wissenschaft und Unternehmen ein. Hat Sie dieses jüngste Unterfangen bestätigt?
Ja, aber ich glaube, dass die Arte-Journalisten anfangs das Ausmaß dieser Verstrickung selbst unterschätzt haben. Für mich neu war, dass es nur 100 Dollar kostete, um diese offensichtlich hundsmiserable Studie - auf Englisch verfasst - amtlich im "International Archives of Medicine" zu platzieren. Was mich wirklich empört, ist die Art und Weise, wie leicht zu erkennender Wissenschaftshumbug, der allen dient aber bestimmt nicht den Patienten, von vielen Wissenschaftlern immer weiter verbreitet wird, bis sie selbst daran glauben. Wenn beispielsweise solche Studien dann S3-Behandlungsleitlinien wie die aktuelle Adipositas-Leitlinie beeinflussen, finde ich das auch wesentlich skandalöser, als wenn Medien wie Bild-Zeitung, Focus oder Brigitte darauf reinfallen.
Was ist die S3-Adipositas-Leitlinie?
Dabei geht es um die offiziellen Behandlungsempfehlungen zur Vorbeugung und Therapie von Fettleibigkeit. Federführend ist dabei die deutsche Adipositas-Gesellschaft. In diesen Leitlinien werden beispielsweise kommerzielle Abnehmprogramme auf dem Boden von völlig unzureichenden Studien empfohlen. Und dabei bestehen vielfältige finanzielle Verbindungen dieser Anbieter zu Leitlinienautoren wie etwa bei Prof. Hans Hauner, einem führenden Ernährungswissenschaftler zu Weight Watchers. In der Reportage wird er damit konfrontiert. Seine Antwort ist entlarvend und zeigt das Niveau der gesamten Ernährungswissenschaft in Deutschland. Ich sage bewusst: der gesamten.
Das Problem taucht ja nicht nur bei den Ernährungswissenschaften auf.
Nein, leider nicht. Da ist es ja noch nicht einmal so tragisch. Aber denken Sie doch an die Problematik bei Diabetes. Da kann doch an den Universitäten nur geforscht werden, wenn genügend Drittmittel eingeworben werden. Und die können ja nur von Firmen kommen, deren Produkte in Studien getestet werden sollen. Und da heutzutage die Aktienkurse dieser Firmen abhängig sind von solchen Zulassungsstudien, wählen sich Firmen natürlich Forscher aus, die in der Weise, wie wir es gezeigt haben, vorgehen, um solche Medikamente in besonders günstigem Licht erscheinen zulassen. Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen es redliche Forscher immer schwerer haben. Lehrstühle werden ja ganz maßgeblich an diejenigen vergeben, die besonders viele Firmengelder einsammeln konnten. Die Frage, die an der Uni jedoch keiner stellt, ist: Für welche Gegenleistung? Es wäre ja auch rufschädigend, denn ein gutes Ranking einer Universität hängt wiederum von den vielen Studien ihrer Forscher ab, wozu diese wiederum Firmengelder benötigen - und so dreht sich das Rad schlechter Wissenschaft immer schneller.
Herr Frank, kommen Sie sich nicht allmählich vor wie Don Quijote, der einsam gegen Windmühlen kämpft?
Na ja, ich habe ja auch ein paar Mitstreiter. Und ich glaube, dass jeder seine Rolle hat. Wäre ich an der Universität, dann würde ich sicher nicht so offen sprechen. Aber ich bin mit meiner Praxis unabhängig. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass die wichtigsten Impulse, um diese unhaltbaren Zustände in der Medizin zu verbessern, von außerhalb der Universität kommen müssen. Die Patienten werden zunehmend erkennen, dass sie Therapien mehr hinterfragen müssen und sich zunehmend getrauen, dies gegenüber Ärzten auch zu äußern. Wenn ich die vielen beeindruckenden Briefe von Lesern meiner Bücher oder Rückmeldungen nach Medienauftritten betrachte, glaube ich schon, dass ich zu diesem Veränderungsprozess einen kleinen Beitrag beisteure.
Jetzt warte ich nur noch auf die "Studie", dass Rauchen gesund ist. Wann wird die veröffentlicht?
Also, wenn wir dieses Fass aufmachen ... man kann auch das Rauchen durchaus differenziert sehen. Aber insgesamt führt Rauchen zu einer höheren Krebsrate und deshalb gibt es an der Empfehlung, mit dem Rauchen aufzuhören, nichts zu rütteln.