Künstlerische Leiterin sieht nach Nach dem Dunkel wieder Licht
Heike Hoffmann spricht über die Herausforderung, in Krisenzeiten ein Festival zu stemmen.

Das Schwetzinger Schloss mit Garten aus der Vogelperspektive. Archiv-Foto: Kay Sommer


Künstlerische Leiterin der Schwetzinger Festspiele
Von Jesper Klein
Schwetzingen. Vanitas lautet das Motto der kommenden Schwetzinger Festspiele, es handelt von der Vergänglichkeit des Seins. Die Künstlerische Leiterin Heike Hoffmann sieht aber Licht hinter der Dunkelheit.
Frau Hoffmann, darf man sich auf düstere Festspiele einstellen?
Das Motto Vanitas reflektiert auch die Situation, in der wir uns als Gesellschaft befinden. Ich habe das Motto 2020, im ersten Corona-Jahr, gewählt und nicht geahnt, wie aktuell es noch werden würde. Wir befinden uns ja alle in einer Lage, in der wir uns fragen müssen, was uns wichtig ist und wie wir künftig leben wollen. Kunst, auch Musik, kann Fragen stellen, aber auch tröstlich sein und Zusammenhalt stiften. Und der Blick zurück kann hilfreich sein, um zu erfahren, wie man in der Vergangenheit auf Krisen reagiert hat. Insofern ist das Motto dialektisch zu verstehen: Nach dem Dunkel kommt auch wieder Licht.
Wo steckt für Sie Vanitas in der Musik des kommenden Festivals?
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Wir stellen ein breites Spektrum von Werken vor, die die Vergänglichkeit thematisieren. Das beginnt mit der Renaissance-Musik und Monteverdi, der auf die Pestepedemien in Venedig künstlerisch reagiert hat. Es führt weiter über Musik des Barock und der Romantik bis in die jüngere Vergangenheit zu Schönberg und Olivier Messiaen und in die Gegenwart zu Salvatore Sciarrino und Wolfgang Rihm. Sciarrino etwa hat zu verschiedenen Vanitas-Texten ein Kammermusikwerk mit theatralischer Qualität erschaffen, Wolfgang Rihm wiederum hat mit seiner schweren Erkrankung eine sehr persönliche Erfahrung der Vergänglichkeit verarbeitet. Er hat dafür Texte des Barockdichters Andreas Gryphius vertont, die Georg Nigl in einem Liederabend singen wird.
Ein Höhepunkt ist sicherlich die Oper "Im Dickicht" von Isabel Mundry. Was darf das Publikum erwarten?
Ich freue mich, dass diese Oper, die für 2021 geplant war, jetzt endlich aufgeführt werden kann! Das Bühnenbild liegt schon lange eingelagert bereit. Isabel Mundry hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Thema Erinnern und der Unzuverlässigkeit des Erinnerns befasst. Sie hat eine Geschichte von Ryonusuke Akutagawa, die im Japan des 14. Jahrhunderts spielt, gewählt. Eine düstere Erzählung, in der es um einen Mord geht, der von mehreren Zeugen berichtet wird, die alle etwas anderes erinnern. Isabel Mundry arbeitet schon seit 2017 an dieser Idee und hat sich mit dem Dichter Händl Klaus zusammengetan, der aus der Erzählung ein Libretto kondensiert hat. Wir werden gewissermaßen Zeugen eines auf der Opernbühne stattfindenden Gerichtsprozesses.
Ein anderer Programmpunkt – Meeresgeflüster – wird als ökologisch-cinematisches Musiktheater beschrieben. Nachhaltigkeit in diesen Zeiten auch für Festivals ein sehr aktuelles Thema. Wie steuern Sie in eine nachhaltige Richtung?
Angesichts der rasanten Erderwärmung muss jeder versuchen, einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit zu leisten. Wir benutzen umweltfreundliche Materialien und haben den Papierverbrauch eingeschränkt. Darüber hinaus versuchen wir, an vielen kleinen Stellschrauben zu drehen: Heizung, Licht, et cetera. Das Festspielteam ist in Schwetzingen in der Regel mit Fahrrädern unterwegs. Wir achten darauf, dass unsere Künstler nach Möglichkeit mit der Bahn anreisen. Auch die Residenzen, bei denen die Künstler mehrere Tage bei uns sind, sind ein Beitrag in Richtung Nachhaltigkeit, weil Reisen vermieden werden. Im kommenden Jahr sind es das Tetzlaff Quartett und der Cellist Christian Poltéra, die jeweils mehrere Konzerte geben.
Inwiefern holen Sie die durch die Pandemie ausgefallenen Veranstaltungen noch nach?
Ich hatte mir vorgenommen, allen Künstlern, deren Konzerte ausgefallen sind, Nachholtermine anzubieten. In den beiden Pandemie-Jahren, in denen wir die Festspiele absagen mussten, konnten wir glücklicherweise im Herbst zwischen den Lockdowns kürzere Festspiele veranstalten. Daher ist die Bugwelle bei uns nicht ganz so groß wie bei anderen Institutionen. Wir haben 2022 schon etliches nachholen können, 2023 folgen die letzten ausgefallenen Konzerte von 2020 und 2021. Die Opern wurden alle um ein oder sogar zwei Jahre geschoben.
Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekrise. Vielerorts wird zudem die fehlende Rückkehr des Publikums beklagt. Wie blicken Sie in die Zukunft?
Wir sind, da wir durch die Herbstausgaben präsent waren und den Kontakt zum Publikum halten konnten, relativ gut durch die Pandemie gekommen. 2022 hatten wir mit 80 Prozent Auslastung einen fantastischen Neustart. Aber wir sind durchaus beunruhigt, wie es sich weiter entwickeln wird. Wir merken alle, dass die Kosten für das tägliche Leben so sehr steigen, dass viele Menschen sich Konzerttickets kaum noch leisten können. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, die steigenden Kosten so weit aufzufangen, dass wir die Ticketpreise zumindest nicht erhöhen mussten. Zudem haben wir ein Last-Minute-Ticket für junge Leute zu einem Festpreis von zehn Euro eingeführt, sofern an der Abendkasse noch Karten verfügbar sind.
Haben Sie einen persönlichen Konzerttipp?
Mir liegt die Produktion "Cupid and Death" besonders am Herzen. Die Form der Maske kennen wir aus dem Theater, etwa bei Shakespeare, aus der Musik kennen wir sie kaum. Die Masque ist eine Mischform aus Theater, Musik und Tanz, die im 17. Jahrhundert in England am Hof gepflegt wurde. "Cupid and Death" ist ein ausgesprochen unterhaltsames, aber auch tiefgründiges Stück, das vom französischen Ensemble Correspondances ausgegraben und szenisch erarbeitet wurde. Außerdem empfehle ich den Weg nach Ketsch: Wir gastieren zum ersten Mal in der dortigen Kulturkirche – mit dem Schweizer Vokalensemble "Voces Suaves", und ich bin gespannt, wie der neue Spielort angenommen wird.
Info: Der Kartenvorverkauf für die Schwetzinger Festspiele startet am 6. Dezember.
Wichtige Termine der Schwetzinger SWR Festspiele im Überblick:
> 28. April: Premiere "Im Dickicht", Oper von Isabel Mundry
> 29. April: Liederabend Nigl & Pashchenko mit Musik von Wolfgang Rihm
> 29. April: Grenzgänge "Vanitas" mit Musik von Salvatore Sciarrino
> 5. Mai: Tetzlaff Quartett & Sarah Maria Sun
> 6. Mai: Premiere "Cupid and Death", Masque mit Ensemble Correspondances
> 12. Mai: Christian Poltéra & Freunde, mit Olivier Messians Quatuor pour la fin du temps
> 14. Mai: Meeresgeflüster, ökologisch-cinematisches Musiktheater
> 14. Mai: Mara, ein Cello erzählt, mit Christian Poltéra
> 21. Mai: Quatuor Ébène
> 26. Mai: Premiere "Zemira e Azor", komische Oper von André-Ernest-Modeste Grétry