Melodram "Medea" - gesprochen statt gesungen
Bei den Schwetzinger SWR Festspielen gelingt mit Georg Anton Bendas Melodram "Medea" ein musiktheatralisches Experiment.

Von Jesper Klein
Schwetzingen. "Es ist geschehen", sagt Medea knapp, nachdem sie ihren grausamen Plan in die Tat umgesetzt hat. Da Jason, ihr Geliebter, sie verstoßen hat, tötet sie von Rache getrieben die beiden gemeinsamen Söhne. Die Streicher kommentieren dieses schockierende Verbrechen mit Zurückhaltung, der Zorn der Medea und das musikalische Drama brechen sich an unterschiedlichen Stellen des Stücks Bahn. Mit Georg Anton Bendas "Medea" (1775) brachten die Schwetzinger SWR Festspiele am Freitag eine sehr spezielle Form musikalischen Theaters auf die Bühne: das Melodram.
Während mit der Entstehung der Gattung Oper um 1600 in Italien sich auch ein theoretischer Diskurs um die simple, aber berechtige Frage entspann, warum und wie eigentlich auf der Bühne gesungen werden sollte, bietet das Melodram eine Alternative an. Kein Rezitativ wird hier deklamiert, keine Arie gesungen. Allein gesprochener Text trifft auf sinfonische Orchesterklänge.
Heute ist diese Theaterform zwischen Schauspiel und Oper nicht wirklich beliebt. Im 18. Jahrhundert aber war Bendas "Medea" nach einem Text des seinerzeit sehr gefragten Dramatikers Friedrich Wilhelm Gotter deutschlandweit ein Bühnenrenner. Selbst wenn schon den zeitgenössischen Rezensenten die Worte fehlten, um diese ungewöhnliche Form von Musiktheater zu beschreiben, bei der die beiden Wortbestandteile erst einmal für sich stehen und sich nicht wie in der Oper zu einem mehr oder weniger geschmeidigen Gesamtkunstwerk verbinden.
Im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses spielt das Alte-Musik-Ensemble La Stagione Frankfurt unter der Leitung von Michael Schneider auf der Bühne. Oft hat man in diesem besonderen Theater das Gefühl, mitten im musikalischen Geschehen zu sitzen. Am Premierenabend der "Medea", die nur ein Mal in Schwetzingen gegeben wird, verpufft allerdings ein Teil der Energie auf dem Weg in den nach vorne erweiterten Zuschauerraum. Alte Musik hat man hier schon unmittelbarer, präziser und auch besser intoniert gehört. Auch die Kombination des Melodrams mit einer Sinfonia des Benda-Zeitgenossen Franz Ignaz Beck (1734-1809) kann dramaturgisch nicht vollends überzeugen.
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Nichtsdestoweniger: Der Theaterabend überzeugt. Allen voran liegt das an der schauspielerischen Leistung von Marina Galic in der Titelrolle der Medea, die mit bühnenfüllender Intensität das innere Drama leidenschaftlich nach außen trägt, ja es streckenweise geradezu herausbrüllt. Michael Rotschopf als Jason hingegen hat nicht viel zu sagen. Iris Drögekamp hat die Geschichte, die in der griechischen Mythologie ihre Wurzeln hat, mit minimalen Mitteln (Blut an den Händen der Mörderin) szenisch, allerdings ohne Bühnenbild eingerichtet.
So entsteht eine konzentrierte Atmosphäre, bei der die Aufmerksamkeit immer wieder auf das für das Melodram wesentliche Problem der Gleichzeitigkeit von Text und Musik gelenkt wird. Oft geht es um Timing, um die Frage, ob die Musik auf das Wort fällt, ihm folgt oder gar vorausgeht. Das führt zu einem Theatererlebnis mit Irritationsmomenten, weil Bendas Musik zwischen Empfindsamkeit und "Sturm und Drang" recht weit entfernt scheint von der Grausamkeit dieses Psychothrillers. Und doch kann man sich schon vorstellen, wie Bendas "Medea" im 18. Jahrhundert die Gemüter bewegte und für Schockmomente im Publikum sorgte.
Heute ist man im Theater ja viel kunstblutreiches Bühnenspektakel gewöhnt. Trotz oder gerade wegen dieser Reduktion bleibt der Abend im Gedächtnis. Nicht unbedingt als ein Plädoyer für das Melodram an sich, sondern vielmehr als ein gelungenes musiktheatralisches Experiment mit Seltenheitswert. Sehr langer Beifall als Dank.