Flucht und Flüche
Hoffenheim deprimiert beim 0:4 gegen Eintracht Frankfurt seine Fans mit der höchsten Heimniederlage der Bundesliga
Hoffenheim deprimiert beim 0:4 gegen Eintracht Frankfurt seine Fans mit der höchsten Heimniederlage der Bundesliga
Es war ein schwarzer Samstag, mit Blackouts und technischen Problemen in allen Bereichen. Auf der Anzeigetafel wurde beim Einblenden der Zwischenergebnisse der falsche Schalke-Gegner angezeigt (Fürth statt Augsburg), in Arbeitsräumen des Sinsheimer Stadions fiel das Internet aus, Statistikzettel konnten nicht ausgedruckt werden – und das Schlimmste: die Europapokal- Träumer der TSG 1899 Hoffenheim zwangen mit ihrem Pannenkick die Zuschauer zur Massenflucht. Das 0:4 unmittelbar vor Toresschluss durch einen Kopfball von Martin Lanig, nachdem Hoffe-Keeper Tim Wiese an einer Flanke von Bastian Oczipka vorbeigeflogen war, erlebten Tausende nicht mehr. Sie waren einfach gegangen. Konnten nicht mehr hinsehen. Schüttelten den Kopf. Fluchten laut und derb. Zum Schämen war’s. Nullvier! Die Hoffenheimer Spieler deprimierten ihre Fans mit der höchsten Heimniederlage in der freilich noch jungen Bundesliga-Geschichte der Turn- und Sportgemeinschaft.
Höhnisch applaudierten die Stehplatz-Freunde in der Bierkurve beim vierten Frankfurter Treffer, zuvor hatten sie schon aus Protest ihre Unterstützungsgesänge eingestellt und die blau-weißen Fahnen eingerollt. Mit verschränkten Armen schauten sie die Verlierer an, eine Geste der Ablehnung, als Alexander Meier sieben Minuten vor Schluss mit einem Strafstoß das dritte Tor des Nachmittags erzielte. Die TSG 1899 hat weiteres Vertrauen verspielt. Nicht mal ausverkauft war die Rhein- Neckar-Arena, trotz eines Derbys im ersten Ligaheimspiel mit zahlreichem Eintracht-Anhang. Und dann dieses Frustspiel! Die Stimmung ist im Keller.
Schier Unglaubliches geschah: die Wiederholung der lächerlichen 0:4-Pokalniederlage beim viertklassigen Berliner Athletik-Klub. Wie zwei Wochen zuvor blieben die Hoffenheimer auch gegen Aufsteiger Eintracht Frankfurt wehr- und ehrlos nach dem Rückstand, die Mannschaft, die wie eine Ansammlung von Ich-AGs wirkt, hat offenkundig keinen Mumm. Einen Torschuss feuerte Hoffenheim in der zweiten Halbzeit ab – einen! "Die Jungs wollten", behauptete Trainermanager Markus Babbel und erkannte eine "Blockade" und die erneute Unfähigkeit, auf Negativerlebnisse energisch oder trotzig zu reagieren. "Das alte Raster", sagte Babbel zerknirscht. 13 neue Spieler hat der Trainermanager heuer geholt, 17 verkauft oder ausgeliehen – geblieben ist die lethargische Mentalität, vermisst wird ein erkennbares Spielkonzept, es fehlen echte Kerle mit positiver Körpersprache, Führungspersönlichkeiten.
In der Not bemühte Babbel den Konjunktiv. Hätten Eren Derdiyok und/oder Kevin Volland in den ansehnlichen ersten zwanzig Mi- nuten ihre sehr guten Tormöglichkeiten verwertet, wäre Hoffenheim in Führung gegangen und hätte befreiter aufspielen können. Ja, wenn. So aber gerieten die Sensibelchen in Blau nach dem Eigentor (39. Minute) von Marvin Compper, der Innenverteidiger fälschte einen Schuss von Meier unhaltbar ab, völlig aus der Bahn. Und nach Pirmin Schweglers Kunsttreffer (42.) aus der Distanz wurde es peinlich. Hoffenheim bot nach der Pause eine fürchterliche Vorstellung und schwächelte erst recht wegen zweier Platzverweise. Sejad Salihovic, spät eingewechselt, beging innerhalb von vier Minuten zwei Fouls – und sah Gelb-Rot (70.). Wenig später musste Stephan Schröck aufgrund einer Wiederholungstat vom Rasen stiefeln. Schröck war für Andy Beck auf die rechte Abwehrposition gerückt. Der Ex-Kapitän stand nicht mal im Kader; Beck wurde von Babbel ohne Worte auf die Tribüne geschickt.
Im Kraichgau kriselt und knistert es. Gut, dass sie jetzt Zeit zur Besinnung haben. Wegen Partien in der WM-Qualifikation ruht in der Bundesliga für zwei Wochen der Spielbetrieb. "Ganz froh", ist Markus Babbel über die Verschnaufpause. Auch er selbst ist aufgrund des Fehlstarts und seiner mäßigen Pflichtspiel-Bilanz in Hoffenheim (vier Siege, fünf Unentschieden, acht Niederlagen) nicht mehr unantastbar. Sollte auch die kommende Aufgabe gegen Freiburg keine Punkte bringen, droht ein bizarres Szenario: Manager Babbel müsste mit dem Trainer Babbel Selbstgespräche führen.