An vielen Straßen in Heidelberg ist der Verkehr viel zu laut
Für über 16.000 Anwohner ist der Verkehrslärm gesundheitsgefährdend. Die Stadt muss aktiv werden.

Von Julia Schulte
Heidelberg. An vielen Stellen in Heidelberg ist der Verkehr zu laut: 16.400 Menschen in der Stadt leben an Orten, an denen der Lärmindex über 65 Dezibel liegt – ein Wert, der als gesundheitsgefährdend gilt. Das hat die letzte Lärmkartierung von 2022 ergeben, auf deren Grundlage die Verwaltung nun einen Lärmaktionsplan erarbeitet hat – mit zum Teil weitreichenden Folgen. Diesen stellte Raino Winkler, Leiter der Abteilung Technischer Umweltschutz, am Mittwoch im Mobilitätsausschuss vor.
Der Verkehrslärm muss gemäß EU-Umgebungslärmrichtlinie alle fünf Jahre neu kartiert werden. Das sei diesmal eine besondere Herausforderung gewesen, erklärte Winkler, weil das erste Mal ein EU-einheitliches Rechenverfahren zum Einsatz kam.
Das habe sich vor allem auf die Betroffenenzahl ausgewirkt, da nun der Lärmindex der lautesten Fassade eines Gebäudes für alle Bewohner zählt, während diese früher auf vier Fassaden gerechnet wurden. Die Lärmwerte selbst werden nicht gemessen, sondern nach einem Rechenverfahren ermittelt.
Eine weitere wesentliche Änderung, durch die die Stadt jetzt erstmals die Möglichkeit hat, weitreichende Maßnahmen zum Lärmschutz zu ergreifen, ist der dritte Kooperationserlass zur Lärmaktionsplanung des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg. Als "regelrecht revolutionär" bezeichnete ihn Winkler.
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Er sieht vor, dass bei einem Wert von 65 Dezibel tagsüber beziehungsweise 55 Dezibel nachts Maßnahmen im Rahmen des Lärmaktionsplans ergriffen werden müssen. Fünf Jahre zuvor musste noch jede Maßnahme mit dem Regierungspräsidium abgestimmt werden – ein langwieriger Prozess. "Deshalb konnten wir bislang relativ wenige verkehrstechnische Maßnahmen umsetzen", so Winkler.
Um Verkehrslärm zu reduzieren, kommen generell vier Maßnahmen in Betracht: Neben der Geschwindigkeitsreduzierung sind das ein besserer Straßenbelag, bauliche Möglichkeiten sowie Geschwindigkeitskontrollen. Bei dem Lärmaktionsplan habe man sich auf Geschwindigkeitsreduzierungen konzentriert, erklärte Winkler.
Denn frühere Untersuchungen hätten gezeigt, dass weder ein neuer Straßenbelag noch mehr Überwachung langfristig zu Lärmminderung führten und Schallschutzwände innerorts keine Option seien. Mit der Geschwindigkeitsreduzierung allerdings lasse sich einiges machen: 20 Stundenkilometer weniger bringen laut Winkler eine Reduzierung von gut drei Dezibel – was vom Lärmpegel her der Halbierung der Verkehrsmenge entspreche: "Eine ungeheure Menge!", so Winkler.
In mehr als 30 Straßen soll deshalb nun Tempo 30 eingeführt werden, teils ganztätig, teils nachts zwischen 22 und 6 Uhr. Warum man nicht noch konsequenter vorging und sich an viele Straßen auf Tempo 30 in der Nacht beschränke, erklärte Winkler: "Wir wollen mit den Maßnahmen den ÖPNV nicht unattraktiv machen oder finanziellen Mehrbedarf schaffen."
Zudem habe man drauf geachtet, zumindest eine Nord-Süd- und Ost-West-Achse "möglichst wenig mit Geschwindigkeitsbegrenzungen zu belasten". Doch Winkler betonte auch: "Das letzte Wort in dieser Sache hat der Gemeinderat."
In dem Gremium zeigen sich nicht alle begeistert. Dass in der Mittermaierstraße nur nachts Tempo 30 vorgesehen ist, gefiel Michael Pfeiffer (GAL) gar nicht: "Das ist die höchstbelastete Straße der Stadt." Dass diese auf der Nord-Süd-Achse liege, reiche ihm als Begründung nicht aus: "Es geht hier um Menschen, die da wohnen, es geht um Gesundheitsschutz, um nichts Ideologisches. Da müssen wir nochmal drüber reden", so Pfeiffer.
Christoph Rothfuß (Grüne) pflichtete ihm bei: "Wir haben da viele Anwohner und Werte von über 70 Dezibel." Zudem seien seit kurzem auch Fahrräder auf der Fahrbahn zugelassen. Bürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain merkte an, dass man in der Mittermaierstraße vor allem nachts kritische Werte erreiche. Und Winkler betonte: "Tempo 30 nachts ist eine wirksame Maßnahme: Bewohner sind vor allem nachts zu Hause und schlafen, und dann braucht es Schutz." Zudem sei dies der "eher akzeptierte Weg".
Ursula Röper (Grüne) merkte an, dass die Berechnungen der RNV nicht ganz nachvollziehbar seien, denen zufolge Tempo 30 zu einer Fahrzeitverlängerung der Umläufe und damit zu einem Fahrzeugmehrbedarf und Mehrkosten führe. "Da werden halbe und viertel Minuten zu ganzen Umläufen addiert."
Auch Rothfuß fand die Angabe irreführend. "Da ist noch einiges unverständlich." Bärbel Sauer, Leiterin des Amts für Mobilität, erklärte, dass hier eine Formel der RNV mit vielen Parametern genutzt wurde. "Da muss man sich drauf verlassen", so Schmidt-Lamontain.
Auch Matthias Kutsch (CDU) fand, dass man bei den Maßnahmen "an der ein oder anderen Stelle noch nachjustieren" müsse. Zudem würde er das Thema der Lärmreduzierung gerne in Zusammenhang mit einer Optimierung der Ampelschaltung betrachten. "Da gibt es noch deutlich Luft nach oben, was den Verkehrsfluss betrifft", so Kutsch. Häufiges Anfahren würde schließlich für die besonders nervigen Lärmspitzen sorgen.
Am Schluss beschloss der Ausschuss einstimmig die Offenlegung des Lärmaktionsplans. Ab jetzt gehen Stellungnahmen ein, auch die Bezirksbeiräte sollen noch ihr Votum abgeben. "Im ersten Quartal 2025 kommen wir dann mit einem endgültigen Vorschlag wieder zu Ihnen", versprach Winkler.
In diesen Straßen soll laut Lärmaktionsplan bald Tempo 30 gelten:
> Tempo 30 ganztags: Posseltstraße und Gabelbereich Jahnstraße, Bergheimer Straße (Mittermaierstraße bis Gneisenaustraße), Gneisenaustraße, Czernyring, Kurfürsten-Anlage, Bismarckstraße und anschließend Rohrbacher Straße bis Adenauerplatz, Ringstraße, L534/Kleingemünder Straße (Nummer 72/10 bis 113), Kleingemünder Straße (Nummer 51 bis 109), L534 (Höhe Brahmsstraße 8 bis Brahmsstraße 28), L534 (In der Neckarhelle 51/5 bis 21).
> Tempo 30 nachts: Dossenheimer Landstraße, Hans-Thoma-Platz, Rottmannstraße, Steubenstraße, Berliner Straße (Technologiepark bis Hans-Thoma-Platz), Handschuhsheimer Landstraße, Vangerowstraße, Mittermaierstraße, Lessingstraße, Römerstraße (Hermann-Maas-Brücke bis Liebermannstraße), Römerstraße (Feuerbachstraße bis Rohrbach-Markt).
> Keine Reduzierung wegen befürchteten ÖPNV-Mehrkosten: Friedrich-Ebert-Anlage (wo nicht bereits Tempo 30 gilt), Peterstaler Straße (Hirtenaue bis Kreuzgrundweg), Wilhelmsfelder Straße (Nummer 57 bis Peter-Wenzel-Weg).