Erinnerung an Katastrophen-Einsatz im Ahrtal weiter präsent
"Man kommt aus der Situation nicht raus": Helfer des Technischen Hilfswerks Wiesloch-Walldorf erinnern sich an den Katastropheneinsatz.

Von Tobias Törkott
Wiesloch. Die Schulabschlussfeier seiner Tochter hatte Jens Kern im Vorjahr verpasst. Stattdessen kämpfte er sich mit seinen Kolleginnen und Kollegen des Technischen Hilfswerks (THW) Wiesloch-Waldorf durch Berge von Schutt und Unrat. Kern half in Rech, einem kleinen Ort im Ahrtal. Dort wütete in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli eine Flut, die viele Gemeinden im Ahrtal und anderen Regionen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen heimsuchte. Kern leitet die THW-Fachgruppe Räumen. Kollegin Katharina Wagler packte im Einsatzzentrum am Nürburgring mit an. Im Gespräch mit der RNZ erzählen die Helferinnen und Helfer, wie sie die Arbeiten nach der Unwetter-Katastrophe erlebten. Nach wie vor sind die Erinnerungen präsent.
Drei Tage nach dem Hochwasser trafen die Hilfskräfte in Rech ein. Die Rettung von Personen war zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen. "Eine Brücke war zerstört, ein Teil des Ortes war wie abgeschnitten", erinnert sich Kern. Er spricht über seinen ersten Aufenthalt im Ahrtal von der "Chaos-Phase". Kern und das THW-Team sollten mit dem Teleskoplader Treibgut wegräumen, Wege schaffen. "Alles, was Allrad hatte", erzählt Kern, wurde in die zerstörten Ortschaften geschickt.
Die Verwüstung durch die meterhohen Wassermassen prägt sich ein. "Dieses Maß an Zerstörung war mir nicht bekannt", schildert er seine Eindrücke. "Es war sehr extrem. Es gab eingestürzte Häuser, manche waren komplett weg. Ein Dachstuhl lag auf der Straße", sagt Kern. "Man kann sich das nicht vorstellen, wenn man es nicht gesehen hat." Die Leute aus dem Ort standen unter Schock – und wunderten sich, als der Hilfstrupp des THW eintraf: "Die Menschen waren perplex, dass Leute den kleinen Waldweg entlang gefahren kommen", so Kern. Vor Ort koordinierten sie sich mit der Feuerwehr und anderen Helfern. Über mehrere Wochen waren sie immer wieder im Ahrtal und packten mit an. Zur Feuerwehr aus Rech haben er und seine THW-Kolleginnen und -Kollegen weiterhin Kontakt. "Wir waren dort am Jahrestag der Flut. Mittlerweile sieht es auch wieder besser aus."
Doch gerade zu Beginn war die Situation ernst – und die Helferinnen und Helfer kamen erst mal nicht weg. "Wir konnten zwei, drei Tage nicht aus Rech raus", erzählt Kern. Die Zufahrtswege waren nicht mehr nutzbar. "Man macht das beste draus", sagt er gelassen. Und das war helfen: "Wir haben gearbeitet bist zur Dunkelheit." Die Leute aus Rech stellten Schlafplätze zur Verfügung, Strom und Wasser gab es nicht. Die Bundeswehr versorgte die Retter aus der Luft. Erst nach einigen Tagen konnten sie mit Booten in den anderen Ortsteil von Rech übersetzen, um dann per Auto nach Dernau zu fahren, um zu duschen. "Wir waren zu Beginn komplett auf uns alleine gestellt", erklärt der Fachgruppen-Führer.
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Das Erlebte hat Kern geprägt. "Du fährst durch Straßenzüge und siehst Zeichen an den Wänden, dass die Gebäude einsturzgefährdet oder dass Menschen gestorben sind. Autowracks hängen unter Brücken", zählt er auf. "Man realisiert erst einmal, dass in den Straßen das Wasser bis zum ersten Stock stand." Nicht zu wissen, was beim Aufräumen in der Schaufel landen könnte, war belastend. "Die Polizei hatte auch Leichenspürhunde im Einsatz", erinnert sich Kern. "Auch diese Form der Bergung zählt zu den THW-Aufgaben", erklärt Lukas Hudelmayer, der beim Ortsverband Wiesloch-Walldorf für die Ausbildung zuständig ist. "Du musst die Helfer danach austauschen, wenn so etwas passiert", betont Kern. Dem THW-Trupp blieb dieses Szenario erspart. Dennoch sagt Kern, selbst Tier-Leichen seien schlimm gewesen.
Dazu kamen Probleme mit der fehlenden Infrastruktur. Da die Funkverbindungen von der Stromversorgung abhängig waren, ging tagelang nichts. Dazu gab es keinen Handy-Empfang, die Masten waren teilweise zerstört. Kern: "Das war ganz extrem." Hilfe kam durch Satelliten eines US-Unternehmens, das Land Rheinland-Pfalz stellte mehrere Satellitenschüsseln auf. "Man denkt an zu Hause. Was machen die Kinder", so Kern. Die Gedanken kommen vor allem abends und in der Nacht. "Tagsüber arbeitet man die Aufgaben ab."
Bei Einsätzen dieser Art besonders wichtig ist die Nachsorge für die Helferinnen und Helfer. Nach sieben Tagen hatte einer der Helfer aus der Region Wiesloch zu kämpfen. "Das war nicht so einfach. Sobald die Entspannung nach mehreren Tagen eintrat, kamen die Gefühle hoch", erklärt Kern. Hudelmayer fügt an: "dortzubleiben, ist sehr belastend. Man kommt aus der Situation nicht raus." Der THW-Trupp verließ nach einer guten Woche das Einsatzgebiet und fuhr zum Stützpunkt, dem sogenannten Bereitstellungsraum, am Nürburgring.
Dort war für die Rettungs- und Aufräumarbeiten ein Camp eingerichtet worden, Hunderte Einsatzkräfte übernachteten dort. "Das THW war schon beim Elbe-Hochwasser und bei Stürmen und Starkregen. Doch dieses Ausmaß an Großeinsatz hat uns schon geprägt", sagt Katharina Wagler. Sie war im Einsatzzentrum am Nürburgring aktiv. "Mich hätten sie am liebsten nicht gehen lassen", meint sie: Das lag auch an ihrem Studium. Wagler ist Biologin – und damit perfekt für das Labor, welches die Wasserproben im Einsatzzentrum überprüfte. "Der Vorteil des THW ist, dass wir alles vor Ort bringen können", so Kern.
Zu Beginn baute Wagler die Notversorgung im Camp auf. Und bei mehreren Tausend Helfern, die sich dort tummelten, fielen viele Aufgaben an. "Versorgung, Reparaturen, eben die ganzen Arbeiten im Hintergrund", berichtet Wagler. Beim THW übernimmt dies die Fachgruppe N, Notversorgung und Notinstandsetzung. Die Helferinnen und Helfer waren im Dauereinsatz: "Es kamen auch immer wieder Trupps, mit denen keiner gerechnet hatte – auch um Mitternacht", erinnert sich die Biologin. Zu den Aufgaben gehören auch banale Dinge wie das Auffüllen von Klopapier. "Es ist wichtig, was die Helfer der Notversorgung machen", betont Hudel-
mayer. Dennoch ist es Kern zufolge schwer, dem Arbeitgeber zu vermitteln, wieso man dafür frei bekommen muss. "Es ist eben nicht normal, dass man mehrere Wochen weg ist", sagt er und zeigt sich dankbar für das Verständnis der Chefinnen und Chefs.
Bei vielen Menschen auf engem Raum muss es sicher zugehen – auch in Sachen Hygiene. Das Wasser aus den Hydranten für die provisorischen Leitungen im Camp wurde von Wagler auf Bakterien getestet. "Im Labor suchen sie händeringend nach Leuten", weiß Wagler um ihre Spezial-Qualifikation. Bei Proben von außerhalb ging es auch darum, langfristige Schäden festzustellen. "Laborarbeit hört nicht auf." Für Wagler war und ist es selbstverständlich, dass sie im Camp mit anpackte, auch damit die Helfer aus den Flut-Gebieten einen Kontrast erleben können. "Du brauchst dieses Gefühl der Zivilisation." Kern bestätigt das: "Wir können uns auf die anderen verlassen."
Die gute Koordination zwischen den Fachgruppen der einzelnen Ortsverbände ist einer der Vorteile der Bundesbehörde THW. "Dafür sind wir ausgebildet", sagt Hudelmayer. Die Strukturen sind bei jedem Trupp gleich. Wagler: "Jeder weiß, was sein Aufgabenbereich ist."