Odenwälder Freilandmuseum

Bei Fledermaus-Alarm muss es schnell gehen

Die Besucher des Museums spürten zusammen mit Martin Kuhnt die nachtaktiven Segler auf.

30.08.2023 UPDATE: 30.08.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 13 Sekunden
Martin Kuhnt (r.) fand die „Bürofledermaus“ der wissenschaftlichen Leiterin des Odenwälder Freilandmuseums Gottersdorf, Margareta Sauer, hinter einem Fensterladen versteckt. Foto: Engelbert Kötter

Von Engelbert Kötter

Gottersdorf. Zwei Abendveranstaltungen brachten den Freizeitforschern am Wochenende die Lebenswelten der Fledermäuse nahe. Dazu hatten die wissenschaftliche Leiterin des Odenwälder Freilandmuseums in Gottersdorf, Margareta Sauer, und der Artenschutz-Fachberater im Schutz von Bibern, Fledermäusen, Hornissen und Wespen, Martin Kuhnt, eingeladen.

Kuhnt räumte eingangs mit zahlreichen Vorurteilen gegen Fledermäuse auf. Auch mit damit verbundenen, gleichermaßen diffusen wie unbegründeten Ängsten, wie menschliche Fantasie sie den fliegenden Insektenfressern Jahrhunderte lang angedichtet hat.

Mit speziellen Ultraschall-Ortungsgeräten ausgestattet, begaben sich die Exkursionsteilnehmer auf die Spurensuche nach im Museum lebenden Fledermausarten. Foto: Engelbert Kötter

Schon der Name ist irreführend: Mit dem Nagetier Maus sind Fledermäuse zoologisch nicht verwandt. Anders als ihre bodengebundenen Verwandten Igel, Maulwurf und Spitzmaus, sind Fledermäuse aktiv flugfähige Säugetiere.

Speziell dazu ausgebildete Arm- und Fingerknochen, verbunden mit einer Flughaut, machen den Tieren den Schlagflug möglich. Kuhnt zeigte ein mazeriertes Fledermausskelett, das diese besondere Anatomie eindrucksvoll vor Augen führte.

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Von 25 Fledermausarten bundesweit leben in Baden-Württemberg derzeit 21. Alle Arten, auch die Lebensstellen, an denen sie angetroffen werden, sind streng geschützt. Alle hiesigen Fledermäuse sind Insektenfresser. Arten, die stattdessen Blüten, Pollen, Obst oder andere Wirbeltiere fressen, gibt es hier nicht.

Nur wenige blutsaugende Arten

Und die Sache mit den Vampiren? "Es gibt nur drei Arten, die Wirbeltieren Wunden beißen und das austretende, nahrhafte Blut lecken. Alle leben ausschließlich in Mittel- und Südamerika", stellte Kuhnt klar. Mit spannendem Detailwissen zog er seine Zuhörer in den Bann, die zu Vortrag und anschließender Exkursion zu "Fledermausgemäuern" in das abendliche Museum gekommen waren.

Die kleinste hiesige Fledermausart, die Zwergfledermaus, wiegt gerade einmal fünf Gramm und hat in einer Streichholzschachtel Platz. Demgegenüber wiegt das Mausohr, die hierzulande größte Art, nur 40 Gramm und passt in eine Verpackung für Papiertaschentücher.

Drei Zwergfledermäuse präsentierte Kuhnt dicht verschlossen, aber live. Die waren zufällig im Laubsieb eines Regenrohres gefunden worden und werden von ihm als Artenschutz-Fachberater zurzeit aufgepäppelt. In seiner Beauftragung erhält er Anfragen von Menschen mit Fledermauskontakten, klärt sie dann auf und rettet womöglich die betroffenen Tiere.

Erhält er einen Fledermaus-Alarm, ist sein schnellstmögliches Handeln gefragt, damit die Tiere nicht unterkühlen oder austrocknen. Viele Fledermausfindlinge können nach kurzer Zeit in ihre natürliche Freiheit zurück entlassen werden. Massiv verletzte Tiere hingegen schläfert ein Tierarzt ein. "Flügelamputierte Fledermäuse könnten überleben", erläuterte Kuhnt. "Einige Arten sind aber mit 20 und mehr Jahren Lebenserwartung überaus langlebig und müssten diese Zeit dann in Gefangenschaft verbringen, wo sie nicht hingehören." Kuhnts Erste-Hilfe-Tipp bis zum Eintreffen fachmännischer Hilfe: Wasser und Schutz vor Zugluft, Nässe und Kälte sind unmittelbar wichtiger als Nahrung.

Aus dem Fledermausjahr berichtete Kuhnt, dass die Wochenstuben, die trächtige Weibchen im Frühjahr zum Gebären und zur Aufzucht ihrer Jungen miteinander gebildet hatten, jetzt Ende August aufgelöst werden. Während die Alttiere um ihre Futter- und demnächst auch Überwinterungsstellen wissen, beginnen die Jungtiere jetzt zu schwärmen und sich zu orientieren.

Fledermäuse legen rund um ihren sommerlichen Lebensplatz allabendliche Flugradien von fünf bis zehn, der Große Abendsegler sogar bis 30 Kilometer zurück. Die Überwinterungsquartiere können sogar 100 und mehr Kilometer weit entfernt sein, zum Beispiel in frostfreien Höhlen auf der Schwäbischen Alb.

Nie ungeschützt anfassen

"Im Spätsommer kommt es gelegentlich dazu, dass sich einzelne oder sogar ganze Schwärme von Jungfledermäusen durch nachts geöffnete Fenster hindurch in Wohnungen verirren", berichtete Kuhnt. Es sei dann mitunter aufwendig, sie zuverlässig und komplett wieder hinaus zu komplementieren. Kuhnt: "Sie krabbeln sehr flink und verschwinden schnell überall dort hin wo sie meinen, Schutz durch Unterschlupf zu finden – zum Beispiel in Spalten zwischen Schrank und Wand oder in das Innere von Polstermöbeln hinein. Schon ein nur daumendickes Loch reicht dazu aus."

Kuhnt mahnt ausdrücklich: "Nie eine Fledermaus ergreifen und sie von etwas, an dem sie sich festhält, losreißen versuchen! Das bricht ihr unweigerlich die Beine, weil ein anatomisch komplizierter Haltemechanismus dahinter steckt." Auch sei es zwingend geboten, Fledermäuse niemals ungeschützt anzufassen.

Selbst mit einem super Immunsystem ausgestattet, seien Fledermäuse potenzielle Zwischenwirte von Virosen, die andere Säuger befallen können. Sicher sei, dass heimische Fledermäuse keine Coronaviren übertragen. In seltenen Fällen aber könnten wenige Arten Tollwut übertragen.

Nach dem Biss oder Speichelkontakt mit einer Fledermaus solle man sofort einen Arzt aufsuchen, um den Anfangsverdacht einer Tollwutinfektion zu klären und sich erforderlichenfalls prophylaktisch impfen zu lassen.

In den vergangenen 60 Jahren habe ein "enormer Einbruch der hiesigen Fledermaus-Populationen" stattgefunden, klagte Kuhnt. So fehle es den Tieren an Leitstrukturen in der Landschaft, wie Hecken, an denen entlang sie jagen und sich orientieren. Weniger Blütenpflanzen haben zu weniger Insekten geführt.

Gedämmte Häuser lassen heute keine Schlupflöcher für Fledermäuse mehr zu. Kuhnt: "Die Probleme, die Fledermäuse heute haben, sind menschengemacht." Verschiedene Maßnahmen, auch im Neckar-Odenwald-Kreis, sind derzeit dazu aufgelegt, die Lebenssituation der sommerlichen Nachtschwärmer zu verbessern.

Weil aber das aktuelle Landwirtschaftssystem kontraproduktiv sei, laufe man Gefahr, lediglich an Symptomen herumzudoktern, wie sie die Strukturen dahinter hervorrufen. Privater Fledermausschutz sei den Tieren trotzdem hilfreich, unterstrich Kuhnt: das Aufhängen von Spaltenkästen als Unterschlupfe, das Ausbringen von Pflanzen, die nachtaktive Insekten anlocken und das Abschalten nächtlicher Außenbeleuchtungen.

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