Neckar-Odenwald-Kreis

"Wir brauchen eine ehrliche Aufgaben- und Standardkritik"

Prekäre Finanzsituation der Kommunen: Der Präsident des Gemeindetags fordert mehr Eigenverantwortung der Bürger.

29.09.2025 UPDATE: 29.09.2025 04:00 Uhr 2 Minuten, 23 Sekunden
„Wir müssen nüchtern prüfen, wo unsere Leistungsfähigkeit endet“, sagt Steffen Jäger, der Präsident und Hauptgeschäftsführer des Gemeindetags Baden-Württemberg. Foto: dpa

Neckar-Odenwald-Kreis. (pm) Anlässlich des Tags der Deutschen Einheit am 3. Oktober richtet sich Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, in einem offenen Brief direkt an die Bürger im Land. Darin spricht er stellvertretend für die 1065 Mitgliedsstädte und -gemeinden nicht nur über die angespannte Lage vieler Städte und Gemeinden, sondern nimmt auch die politische Kultur, die Zukunftsfähigkeit unseres Staatswesens und den Reformbedarf in den Blick

"Die Lage ist ernst. Das spüren die Städte und Gemeinden. Das spüren Sie. Das spüren wir alle", schreibt Jäger. Er verweist dabei auf internationale Krisen, den anhaltenden Krieg in der Ukraine und die verschärfte geopolitische Lage, die auch Deutschland stärker in die Pflicht nehme: "Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass andere unsere Verteidigung übernehmen. Wir sind selbst gefordert." Gleichzeitig sei die wirtschaftliche Basis unseres Gemeinwesens bedroht: "Zwei Jahre Rezession, Standortverlagerungen, wachsender internationaler Wettbewerbsdruck – unsere Volkswirtschaft hat an Schwung verloren."

Die Folgen spüren die Städte und Gemeinden unmittelbar: Sanierungen von Schulen oder Sporthallen werden verschoben, Investitionen in Klimaschutz gestrichen, Öffnungszeiten in Kitas oder Bibliotheken gekürzt. "Keine dieser Maßnahmen will ein Kommunalpolitiker beschließen – doch vielerorts werden sie unvermeidlich", so Jäger.

Der Gemeindetagspräsident fordert deshalb eine gesamtstaatliche Reform: "Wir brauchen eine ehrliche Aufgaben- und Standardkritik, die den Mut hat, Prioritäten zu setzen. Und wir müssen neu fragen: Was kann und muss der Staat leisten – und was kann er nicht mehr leisten, ohne sich selbst zu überfordern?"

Zugleich betont Jäger die Verantwortung jedes Einzelnen: "Demokratie ist kein Bestellshop – sie ist die Einladung an alle, sich mit ganzer Kraft für eine freiheitliche und wohlständige Gesellschaft einzubringen. Und deshalb kann Demokratie auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn wir alle unseren Beitrag dazu leisten."

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Die Zielsetzung des Bürgerbriefs fasst Jäger zusammen: "Unser Staat, unsere Demokratie wird von den Menschen getragen. Deshalb stellen wir die Bürgerinnen und Bürger in die Mitte unseres offenen Briefes. Wir als Kommunen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Unsere Botschaft lautet: Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger bereit sind mitzuwirken, kann unser Land die notwendigen Reformen schaffen."

"Der Kreisverband Neckar-Odenwald des Gemeindetags Baden-Württemberg unterstützt ausdrücklich den offenen Bürgerbrief von Präsident Steffen Jäger", heißt es dazu in einer Pressemitteilung. Die kommunalen Haushalte gerieten zunehmend unter Druck, während die staatlichen Leistungsversprechen immer weiter stiegen. Die Folgen hiervon seien auch in den 27 Kreiskommunen schon längst deutlich spürbar.

So könnten die meisten Städte und Gemeinden im Neckar-Odenwald-Kreis ihre Pflichtaufgaben wie den Ausbau der Kinderbetreuung, die Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen oder Investitionen in die kommunale Infrastruktur kaum noch aus eigener Kraft stemmen. Nicht zuletzt die äußerst prekäre wirtschaftliche Lage der Neckar-Odenwald-Kliniken belaste die Haushalte ganz enorm, denn das Klinikdefizit muss durch die Einnahmen aus der Kreisumlage ausgeglichen werden.

"Wir unterstützen daher diesen Appell des Gemeindetags ausdrücklich. Die Herausforderungen, die Präsident Jäger beschreibt, sind im ganzen Landkreis spürbar – die kommunale Ebene darf nicht weiter überfordert werden", erklärt Thomas Ludwig, Bürgermeister der Gemeinde Seckach und Vorsitzender des Kreisverbands. Es brauche einen politischen Kulturwandel. "Wir brauchen weniger Ankündigungen in Form von ungedeckten Schecks, sondern mehr Umsetzungsfähigkeit – mit realistischen Standards, auskömmlicher Finanzierung und echtem Vertrauen in die kommunale Verantwortung."

Und weiter erklärt Ludwig: "Der Bürgerbrief des Präsidenten spricht uns aus dem Herzen." Er benenne, worum es gehe: um Ehrlichkeit, um Verantwortung – und damit um die Zukunftsfähigkeit unseres Staates.

"Deutschland ist ein starkes Land, und auch wir im Neckar-Odenwald-Kreis haben in den zurückliegenden Jahrzehnten bewiesen, dass wir erfolgreich sein können. Jetzt brauchen wir den Mut, die Kraft und den Willen, diese Erfolgsgeschichte auch in der Zukunft fortzuschreiben. In der Politik, in den Kommunen aber auch bei jedem Einzelnen. Wir alle müssen bereit sein, unseren Beitrag zu leisten", so der Vorsitzende des Kreisverbands.

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