Universität Mannheim

Der renommierte Germanistik-Professor Jochen Hörisch ging in den Ruhestand

"Es wird eine weiche Landung" – Scharfer Analytiker mit geweitetem Blick auf Goethe und Co.

13.06.2018 UPDATE: 14.06.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 19 Sekunden

Wer gibt hier den Ton an? Jochen Hörisch mit einer Plastik des dirigierenden Richard Wagner, gestaltet vom Künstler Ottmar Hörl. Foto: Gerold

Von Marco Partner

Mannheim. Zum Abschluss gab es einen Running Gag: Faust, also den von Johann Wolfgang von Goethe, setzte Jochen Hörisch seinen Studenten noch einmal auf. "Das ist so Brauch, wenn Literaturprofessoren Abschied nehmen", sagt der 66-jährige Hochschullehrer. Insgesamt 30 Jahre lang war Hörisch Professor für Neuere Germanistik und Medienanalyse an der Universität Mannheim. Und zwar kein gewöhnlicher: Einer, der nicht einfach nur Vorlesungen über Werk und Wirken von Walter Benjamin oder Thomas Mann hält, sondern den Blick über den germanistischen Tellerrand hinaus wagt. Ein Analytiker, der in der Literatur deutscher Dichter und Denker auch religiöse und gesellschaftliche Konflikte und Motive aufspürt, stets auf der Suche nach der großen Metapher.

Nun schreitet der mit seinen weißen Locken und weisen Ansichten immer noch so frisch und jung wirkende Gelehrte selbst über die Ziellinie - und genießt den Ruhestand. Blickt man auf die Lebensstationen von Jochen Hörisch, zeigt die Kompassnadel klar gen Süden: Geboren in Bad Oldesloe im hohen Norden, zog die Familie nach Düsseldorf, als der Sohnemann gerade einmal zwei Jahre alt war. Reihenhaussiedlung, Mittelschicht, der Vater kaufmännischer Angestellter, war der Weg als Akademiker nicht unbedingt vorgezeichnet. "Aber ich komme aus einem sehr kulturaffinen Haushalt", blickt Hörisch zurück. Sein Vater sammelte Gemälde, gemeinsam besuchte die Familie Opern, nicht unbedingt gewöhnlich für die 1960er-Jahre.

Vor allem aber gaben ihm seine Eltern eines mit auf dem Weg: Freiheit, freies Denken. "Du weißt, was du machst", lautete der kurze Kommentar des Vaters, als sein Sohn sich 1970 an der Düsseldorfer Universität einschrieb: für Germanistik, Philosophie und Geschichte. "Eigentlich fürchterlich unoriginell", scherzt der Professor ein halbes Jahrhundert später. Aber es war gerade diese geisteswissenschaftliche Triangel, die viele Türen öffnete - und den Blick auf die Literatur weiten sollte. Gepaart mit etwas Mut und Neugierde: 1972 zog es Hörisch nach Paris. An seiner Seite: Renate, seine Jugendliebe, mit der er schon gemeinsam die Schulbank drückte. "Wir lebten im Quartier Latin, direkt am Place Saint-Michel bei einer Gastfamilie", erinnert er sich.

Nicht nur Notre-Dame war in unmittelbarer Nähe, sondern auch die Universität. Doch mit deutscher Literatur hatten die Vorlesungen eigentlich wenig am Hut. Stattdessen lauschten die jungen Studenten den französischen Ikonen der Ethnologie und Soziologie, wie Claude Lévi-Strauss oder Michel Foucault. Deren Seminare beeinflussten Hörischs weiteren Stil. "Guter Literatur gelingt es, einen fremden Blick auf die eigene Kultur zu werfen", sieht er sich als eine Art Binnen-Ethnologe. Und Goethe als den größten aller Dichter, dessen Figuren Faust oder Werther immer noch brandaktuell sind, wenn man sie zeitgemäß interpretiert. "Im Grunde ist Faust ein grandioses Geld-Drama", betonte Hörisch in seiner Abschiedsvorlesung. Schließlich löst sich der tragische Held von seiner Gottgewandtheit, um einen teuflischen Deal mit Mephisto einzugehen.

Hörisch dagegen fand auch ohne fremde Hilfe sein Glück: Bei seiner Frau Renate, mit der er mittlerweile 42 Jahre verheiratet ist, und als Professor in Mannheim. Das Paar lebt im Schriesheimer Ortsteil Altenbach, Renate Hörisch-Helligrath sitzt für die SPD im Gemeinderat. Für ihren Mann öffnet sich jetzt ein neues Kapitel: mehr Zeit für Reisen, fürs Lesen, für das Schreiben neuer Publikationen, für Musik - vor allem von Richard Wagner - und die Familie. Ein wenig Stolz schwingt mit, wenn er von seinen drei Kindern erzählt, die alle der Universität verbunden sind und ihm drei Enkel bescherten.

Doch niemals geht man so ganz: Die Redewendung mag auf Pensionäre im Allgemeinen zutreffen, auf Professoren aber passt sie im Speziellen. "Da sind wir privilegiert", weiß Hörisch, dass die letzte Vorlesung nicht wirklich die letzte war. Ein paar neue Interpretationsansätze zu Faust und Co. sind schon in Arbeit. "Es wird eine weiche Landung", betont er.

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