10.000 Besucher bei AnnenMayKantereit in Mannheim (plus Fotogalerie)
Ein Feuerwerk der Emotionen in der SAP-Arena – Viel Stimme, simple Mittel

Von Anica Edinger
Mannheim. Es ist noch nicht allzu lange her, dass sie Straßenmusiker waren. Dass eine RNZ-Redakteurin sie für ihre Geburtsfeier anfragte. Dass sie als Vorband der "Beatsteaks" spielten. Es ist auch noch nicht lange her, dass sie in der Alten Feuerwache in Mannheim spielten – vor 1000 Menschen. Das war vor fast genau einem Jahr. Jetzt füllt AnnenMayKantereit nicht mehr die Feuerwache, sondern verkauft die SAP-Arena aus – mit 10.000 Menschen. So viele kamen zum Konzert am Donnerstagabend. Und das trotz allgemeiner Corona-Hysterie und Schneefall.
AnnenMayKantereit – kurz AMK: Das sind Henning May, Christopher Annen, Severin Kantereit und Malte Huck, eine frühere Kölner Schulband – heute die Shootingstars der deutschen Pop-/Rock-Szene. Ihr steiler Aufstieg begann so richtig im Jahr 2016 mit ihrem ersten Album "Alles nix konkretes", das bei Universal erschien. Und er war unaufhaltsam. "Pocahontas", "Barfuß am Klavier", "Oft gefragt": AnnenMayKantereit eroberten die Charts – und die Herzen der Menschen.
2018 folgte ihr heiß ersehntes zweites Studioalbum "Schlagschatten" – der Rest ist Geschichte. Auf allen großen Festivals im Sommer sind AnnenMayKantereit mittlerweile Stammgäste. Ihre Konzerte allerorts: ausverkauft. Ihr größtes Kapital, das wird auch am Donnerstag in der SAP-Arena deutlich, das ist die Stimme von Henning May. Unverwechselbar. Rau. Schlicht bemerkenswert. Allein startet er die Show in der abgedunkelten Arena, nur er und seine Ukulele, im schlichten T-Shirt und Jeans. Ein Ton, und schon ist es geschehen um die 10.000 Fans.
Als dann Severin Kantereit am Schlagzeug einsetzt, Christopher Annen die Gitarre ansetzt und Malte Huck den Bass, gibt es kein Halten mehr. Die vier spielen Neues und Altes, aber auch bisher Unveröffentlichtes. Bei allem lassen sie tief blicken. Denn es geht in den Songs häufig auch um Privates, um Liebe, Kummer, Schmerz, Freude, seltener auch um Politisches. Gerade letzteres sorgt für einen der Gänsehaut-Momente des Abends: "Ich habe einen Song geschrieben für eine Frau, die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer rettet", erzählt Henning May. Zuvor wechselten die Musiker gemeinsam mit dem Gastmusiker Ferdinand Schwarz (Trompete), der aktuell die Tour begleitet, von der großen auf eine Mini-Bühne inmitten der Arena. Der Song heißt "Pia" und handelt von Kapitänin Pia Klemp, die in Italien wegen Beihilfe zu illegaler Einwanderung vor Gericht steht. "Pia vor Gericht in Italien / So ein Prozess kostet Geld / Wenn sie es schafft, das irgendwie alles zu bezahlen / dann wäre auf der Welt ein Mensch mehr auf dem Meer / der retten kann, vor Tod durch Ertrinken", singt May zu minimaler Instrumentalbegleitung. In der Arena zücken die Fans ihre Handys und schalten die Taschenlampen ein – die moderne (und brandschutzsichere) Form von Feuerzeug-Konzert-Romantik. Die Atmosphäre: unfassbar schön. Politisch auch: "Weiße Wand" – ein Lied über die weiße, westliche Filterblase. "Ich fahr’ schwarz in ’nem weißen Land / Obwohl ich mir die Reise leisten kann / Und ich schau’ mir die Schlagzeilen an / Und irgendwas hat sich eingebrannt / Flüchtlingskrise fühlt sich an wie Reichstagsbrand / Auch wenn ich das nicht vergleichen kann." Die Technik auf der Bühne erstrahlt passend dazu weiß. Simpel. Aber umso wirkungsvoller.
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Es ist eine der großen Stärken dieser Band, mit ganz einfachen Mitteln und vielen, top gespielten Instrumenten, an alle Emotionen ihrer Zuhörer zu appellieren. Traurig wird es für alle, die wissen, wie es sich anfühlt, einen geliebten Menschen zu verlieren, bei "Sieben Jahre". "Das haben wir für zwei Freunde geschrieben, die bei einem Unfall gestorben sind", sagt May. Und singt: "Manchmal wachst du morgens auf / Und weißt nich’ mehr was wahr is’ / Was wahr is’ / Und dann denkst du für ein paar Sekunden / Dass sie noch da is’ / Noch da is’." Manchmal muss er selbst schlucken, wenn er einen Song beendet hat. Es ist einfach, diese Band, diese Texte, diese Stimme zu lieben. Weil sie ehrlich sind. Manchmal ernst, aber nicht verkrampft. Weil sie selbst tanzen zu ihrem Song "Ich geh heut nicht mehr tanzen". Weil sie zwei und nicht nur eine Zugabe spielen. Weil sie AnnenMayKantereit sind.