Prozess um getötete Ukrainerinnen

Sandhäuser Paar erhält Höchststrafe

Um sich eine gemeinsame Tochter zu verschaffen, hat ein Ehepaar die Mutter und Großmutter eines Babys getötet. Ein Mannheimer Richter verhängt die Höchststrafe - und Karlsruhe hat keine Einwände.

14.02.2025 UPDATE: 26.06.2025 15:12 Uhr 21 Minuten, 12 Sekunden
Am 7. März 2024 entdeckte ein Passant die Leiche der 27 Jahre alten Mutter des Babys namens Mia am Rheindamm bei Hockenheim. Daraufhin richtete die Polizei die Sonderkommission „Rampe“ ein. Foto: dpa

Karlsruhe. (dpa) Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Verurteilung eines Ehepaares zu lebenslanger Haft wegen der Ermordung zweier Ukrainerinnen bestätigt. Das oberste deutsche Strafgericht verwarf die Revision des Ehemannes gegen ein entsprechendes Urteil des Landgerichts Mannheim vom Februar. Die mitangeklagte Ehefrau hatte dem Gericht zufolge keine Revision eingelegt. Das Verfahren sei somit rechtskräftig abgeschlossen.

Nach Überzeugung des Mannheimer Landgerichts töteten die Eheleute die 27-jährige ukrainische Frau und ihre 51-jährige Mutter, um das damals fünf Wochen alte Baby der Jüngeren als das eigene auszugeben. Schon vor der Geburt hatten sie demnach über soziale Medien Kontakt zu der schwangeren Ukrainerin aufgenommen, die mit ihrer Mutter in einer Flüchtlingsunterkunft in Wiesloch im Rhein-Neckar-Kreis lebte.

Ehepaar gab Baby als ihr eigenes aus

Als das Kind auf der Welt war, gab das Ehepaar dann nach einem gemeinsamen Abendessen den beiden Frauen ein Getränk mit Beruhigungsmitteln. Der Ehemann erschlug sie anschließend mit einem Gummihammer, entsorgte die eine Leiche in einem See und zündete die andere mit Benzin an. Das Kind gaben sie danach als ihr eigenes aus. Die Ehefrau hatte zuvor beim Standesamt eine Geburtsurkunde für ihre angeblich Zuhause geborene Tochter erschlichen.

Ein Spaziergänger entdeckte laut der Staatsanwaltschaft Anfang März 2024 die Leiche der 27-Jährigen am Rheinufer. Wenige Tage später nahm die Polizei demnach das Paar fest, bei dem die Ermittler das Baby unversehrt fanden.

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Alle Seiten hatten lebenslang gefordert

Zum Auftakt des Verfahrens Anfang Januar hatten die beiden Angeklagten die Taten in Erklärungen, die von ihren Anwälten verlesen wurden, gestanden. Darin äußerten beide auch Reue. Alle Seiten - auch die Verteidigung - hatten in ihren Plädoyers lebenslange Haft gefordert. Staatsanwaltschaft und Nebenklage hatten zudem beantragt, die besondere Schwere der Schuld festzustellen.

Das Landgericht folgte dem und stellte in seinem Urteil auch die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren nahezu ausgeschlossen. Der erste Strafsenat des BGH fand bei seiner Prüfung des Urteils keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. (Az. 1 StR 227/25)

Update: Donnerstag, 26. Juni 2025, 15.10 Uhr


Verurteiltes Sandhäuser Paar legt Revision ein

Mannheim. (dpa) Das Landgericht Mannheim wegen Mordes an zwei Ukrainerinnen verurteilte Paar hat Revision eingelegt. Das teilte ein Gerichtssprecher auf Anfrage mit. Die 45 Jahre alte Angeklagte und ihr 43-jähriger Mann waren Anfang der Woche zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das Landgericht Mannheim hatte dabei auch die besondere Schwere der Schuld festgestellt. 

Die beiden Deutschen aus der Nähe von Heidelberg hatten nach Überzeugung des Gerichts die 27-Jährige und ihre 51-jährige Mutter im März vergangenen Jahres umgebracht, um das damals fünf Wochen alte Baby der Jüngeren als das eigene auszugeben. Vor Gericht hatte das Paar gestanden. Demnach hatte der Mann die beiden Frauen erschlagen. Das Baby wurde bei der Festnahme des Paares unversehrt gefunden.

Update: Freitag, 14. Februar 2025, 15.55 Uhr


"Krasse Eigensucht und Vernichtungswillen" – Lebenslang für Sandhäuser Paar

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Über dieses Urteil freut sich niemand im voll besetzten Saal 1 des Mannheimer Landgerichts, selbst Thomas Franz nicht. Der Opferanwalt nickt mehrfach bestätigend mit dem Kopf, als der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz am Montag das Strafmaß für das regungslos auf der Anklagebank kauernde Ehepaar aus Sandhausen verkündet.

Zwei Mal lebenslänglich für die 45- und den 43-Jährigen. Da die Große Strafkammer darüber hinaus die besondere Schwere der Schuld feststellt, ist eine vorzeitige Entlassung aus der Haft ausgeschlossen. Noch am Abend will Franz über einen Russisch sprechenden Kripobeamten seine Mandantin in der Ukraine informieren. Mias Tante.

Die Anfang Zwanzigjährige möchte die Kleine adoptieren. Das Mädchen, das mit nur fünf Wochen seine Mutter und Großmutter auf grausame Weise verlor. Der Anfang Januar begonnene Prozess steckt Beobachtern und Beteiligten tief in den Knochen. Zu schmerzhaft, zu abscheulich waren die "tiefen Einblicke in die menschlichen Abgründe", von denen Rackwitz spricht. Die geständigen Angeklagten hatten vor den Taten verstörende Chatnachrichten ausgetauscht, in denen es darum ging, wie die Frauen, eine 51-Jährige und ihre Tochter (27), sterben sollten. "Erledigen und anzünden", lautete eine.

Obwohl Ina und Marco O. schon einen neunjährigen Sohn haben und drei weitere Kinder aus früheren Beziehungen, wurde ihr Wunsch nach einem Mädchen zur Obsession. Nach einer "Prinzessin" hatte sich die Angeklagte schon seit ihrer Jugend gesehnt. So erzählte es ihr Vater den Ermittlern. Ina O. ließ sich resterilisieren – ohne Erfolg.

Adoptionen und künstliche Befruchtungen scheiterten, eine Fehlgeburt folgte. Endgültig die Kontrolle über ihren Wunsch verlor das Paar, als es eine Entführung erwog, auf den Internetseiten tschechischer und schweizerischer Kliniken nach Neugeborenen recherchierte, Screenshots von Fotogalerien mit Babys anfertigte und Adressen ihrer Eltern ausfindig machte.

In einem Fall soll Marco O. sogar mit einem Wohnwagen ins Ausland gefahren sein. Er kam ohne einen Säugling zurück. Da kam der Hilferuf der 27-Jährigen gerade recht, die in einer Telegram-Gruppe für ukrainische Geflüchtete nach Unterstützung bei der anstehenden Geburt ihres Mädchens und bei Behördengängen bat. Die Russisch sprechende, in Kasachstan geborene Ina O. antwortete.

Die Entwicklung bis zu den Morden haben die Ermittler lückenlos rekonstruiert und es den Richtern leicht gemacht. Wie sich Ina O. das Vertrauen der Hochschwangeren erschlich, bei der Geburt des Kindes im Krankenhaus in Speyer sogar mit dabei war. Wie sie sich ein angstlösendes Medikament verschreiben ließ und später in Saftflaschen träufelte, aus denen die Opfer am Tatabend tranken und sediert wurden.

Wie sie, noch bevor Mia auf die Welt kam, eine Bescheinigung der Kinderärztin der 27-Jährigen nach einer angeblichen Sturzgeburt besorgte, das Dokument fälschte und sich vom Standesamt in Sandhausen eine Geburtsurkunde für "Elina" ergaunerte. "Absurd" findet Rackwitz die Beteuerungen von Ina O., sie habe sich ausschließlich dem Willen ihres Mannes unterworfen. Nein, beide hätten die Morde eiskalt geplant und ausgeführt. Beide. Der Richter wirft dem Paar "krasse Eigensucht" und "Vernichtungswillen" vor.

Marco O. erschlug zuerst die 51-Jährige an einem Anglersee bei Bad Schönborn und noch in der Nacht die 27-Jährige am Hockenheimer Rheindamm. Die Tante reiste per Lkw in die Ukraine zurück. "In einem Arm Mia und im anderen die Urnen ihrer Mutter und ihrer Schwester", sagt Anwalt Franz. Die Verteidiger der Angeklagten prüfen, ob sie Revision einlegen. Sie hatten selbst lebenslange Haftstrafen beantragt – ohne die besondere Schwere der Schuld.

Update: Montag, 10. Februar 2025, 20.20 Uhr


Sogar Verteidiger fordern lebenslang für Sandhäuser Paar

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Als ihre Verteidigerin Sandra Bauer gerade plädiert und die Richter um eine mildere Strafe bittet, macht sich Ina O. Notizen. Für das "letzte Wort". Eine Abrechnung. Schluchzend, ein Taschentuch in die rechte Faust gepresst, belastet die 45-Jährige ihren mitangeklagten Mann schwer. Er habe unbedingt noch ein Kind gewollt. Und nur er sei dafür zu allem bereit gewesen. Marco O. hat gestanden, zwei Ukrainerinnen erschlagen zu haben – damit sich der gemeinsame Wunsch des Paars nach einem Mädchen erfüllt. Dabei hat es bereits drei Söhne, einen gemeinsamen und zwei aus Ina O.s früherer Beziehung.

Sie erzählt von ihrer Fehlgeburt im Februar 2023. "Das hat mein Herz in tausend Stücke gerissen." Ihre Depression sei in diesen Tagen zurückgekehrt. Ein Selbstmordversuch scheitert. Und dann seien innerhalb weniger Wochen auch noch die geliebte Oma und der Großvater gestorben. Marco habe in seiner eigenen Welt gelebt statt sie gestützt. Leider sei sie nicht stark genug gewesen, ihn von dem Doppelmord abzuhalten. Im Gefängnis hat sie dem Psychiatrischen Sachverständigen Hartmut Pleines die Ehe als "Hölle" beschrieben, ihr Mann sei nach der Fehlgeburt "durchgedreht". Kann man Ina O. glauben?

Oberstaatsanwältin Katja König nimmt der Angeklagten die Opferrolle nicht ab. Schon in ihrem Plädoyer, dem ersten am Freitag vor der Großen Strafkammer des Mannheimer Landgerichts, hat sie Ina O.s Version als Schutzbehauptung zurückgewiesen. Tatsächlich erzählen die Fakten eine andere Geschichte. Ina O. nahm in einer Telegram-Gruppe zur Unterstützung ukrainischer Geflüchteter Kontakt zu einer hilfesuchenden, hochschwangeren 27-Jährigen auf. Noch bevor die kleine Mia zur Welt kam, besorgte sie eine Geburtsbescheinigung der Frauenärztin der "Freundin". Sie oder Marco O. trug in dem täuschend echten Dokument ihre Namen ein und änderten "Mia" in "Elina" ab, wie das Paar seine "Prinzessin", seine "Maus", nannte. Dadurch, und weil sie später persönlich mit dem Baby vorbeikamen, erhielten die Eheleute vom Standesamt in Sandhausen eine Geburtsurkunde.

Ina O., war es auch, die sich wegen angeblicher Angststörungen das starke Beruhigungsmedikament Tavor verschreiben ließ, das die Ukrainerinnen vor ihrem Tod benommen und wehrlos machte. Und sie ging mit der neugeborenen "Elina" zur Vorsorgeuntersuchung bei der Kinderärztin. Schließlich die WhatsApps, die sich das Paar schrieb. Mörderische Nachrichten. Nüchtern im Ton und gerade deshalb so verstörend. Nein, Chefanklägerin König ist überzeugt, dass beide gleich zu bestrafen sind. Sie habe die "Formalitäten" erledigt, er das Grobe. König fordert für Ina und Marco O. lebenslange Haft, zudem soll das Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellen. Dann würden sie nach 15 Jahren nicht auf freien Fuß gesetzt.

Die Staatsanwältin argumentiert, das Paar erfülle gleich drei Mordmerkmale. Erstens die Ermöglichungsabsicht. Ina und Marco O. töteten die 27-Jährige, um an ihr Kind zu kommen. Zweitens: Heimtücke. Nach einem gemeinsamen Essen in einem chinesischen Restaurant in Bruchsal am Abend des 6. März 2024 stießen die Sandhäuser anschließend im Schloss der Barockstadt mit "Rotbäckchen"-Saft auf den Geburtstag von Marco O. an. In die Flasche hatten die Angeklagte zuvor die Medikamente Tavor und MirtaLich gemischt. Der älteren Ukrainerin (51) wurde es bereits auf der Rückfahrt übel, sie klagte auch über hohen Blutdruck. So gelang es dem Paar, die Frauen voneinander zu trennen. Nach der Ankunft in der Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Wiesloch behaupteten die Sandhäuser, die Frau ins Krankenhaus fahren zu wollen. Ihre Tochter und Mia blieben in dem ehemaligen Hotel zurück. Am Anglersee "Krummes Loch" bei Bad Schönborn erschlug Marco O. die Ukrainerin mit einem Gummihammer und schleifte sie per Stahlseil rund 100 Meter weit zu dem Gewässer. Die Heidelberger Rechtsmedizinerin Professor Kathrin Yen berichtet der Kammer zu Beginn des Verhandlungstags von den schweren Kopfverletzungen der Geschädigten.

Während eines Zwischenstopps in ihrer Wohnung "informierten" die Angeklagten die 27-Jährige, die Mutter habe einen Herzinfarkt erlitten. Noch in der Nacht holten Ina und Marco O. die junge Frau und Mia ab, um ins Krankenhaus zu fahren. Das Auto hielt am Hockenheimer Rheinufer. Mia saß auf der Rückbank, als Marco O. den zweiten Mord beging. Laut Yen war die Frau bereits tot, als der Angeklagte sie mit Benzin übergoss und anzündete. Möglicherweise hatte sich die 27-Jährige noch gewehrt, zumindest fanden die Ermittler bei der Untersuchung der Leiche deutlich geringere Rückstände von Lorazepam (Tavor) und Mirtazapin (MirtaLich) im Blut als bei der ersten Tat.

Sie musste auch sterben, weil sie sonst von den Ermittlern nach dem Verbleib ihrer Mutter hätte gefragt werden können. Schließlich führt König als drittes Mordmerkmal niedrige Beweggründe an. Schuldmindernde Faktoren schließt die Staatsanwältin aus. Marco O. hatte sich auf seine Drogensucht, den Konsum von Kokain und Amphetamin direkt vor der Tat berufen. Ansonsten hätte er die Taten "nicht fertig gebracht" erzählte er seinem Verteidiger Jörg Becker. Yens Kollege, der Toxikologe Dr. Tom Sundermann, hatte eine Haarprobe von Marco O. entnommen. Ergebnis: Ja, es gab Spuren von Koks und Amphetamin, aber eher schwache. König kann zudem auf das Gutachten von Pleines verweisen. Der Experte berichtete von "Absetzungsproblemen", die Marco O. anfänglich im Knast hatte, keine Entzugserscheinungen. Der Psychiater diagnostizierte bei ihm eine narzisstische Grundstruktur, auf das Leid anderer reagiere er gefühlskalt.

Anwalt Thomas Franz vertritt vor Gericht die Schwester beziehungsweise Tochter der ermordeten Frau. Sie lebt mit der inzwischen einjährigen Mia und ihrem Mann in der Ukraine und will das Mädchen adoptieren. Der Nebenklägervertreter will sich gar nicht ausmalen, welche Folgen es für das Kind einmal haben wird, wenn es erfährt, wie ihre Angehörigen ums Leben kamen. Beim Strafmaß schließt sich Franz der Staatsanwältin an. Am Rande des Prozesses hat er sich mit den Verteidigern von Ina und Marco O. geeinigt, dass das Paar jeweils 15 000 Euro Schmerzensgeld an Mia und ihre (Noch-)Tante zahlt. Wobei der Anwalt nicht glaubt, dass das so schnell passieren wird. Das Paar ist offenbar notorisch klamm und hatte in der Vergangenheit immer wieder Ärger mit der Justiz. Die Amtsgerichte Heidelberg und Wiesloch erließen mehrere Strafbefehle gegen die beiden. Handys wurden bestellt und nicht bezahlt, Auto gefahren ohne Führerschein oder unter Drogeneinfluss oder die Stempelkarte am Kfz-Kennzeichen gefälscht.

Sandra Bauer und Jörg Becker beantragen für ihre Mandanten ebenfalls lebenslange Haftstrafen, doch ohne die besondere Schwere der Schuld. Marco O. habe zwei Familien und seine Ehe zerstört, an jedem Geburtstag werde er damit konfrontiert, zwei Frauen getötet zu haben, sagt Becker. Er habe aber die Taten gestanden, außerdem verändere Drogenkonsum einen Menschen erheblich. Marco O. liebe Ina, ihren Namen habe er sich auf die rechte Hand tätowieren lassen. Ein unerfüllter Kinderwunsch könne Menschen in tiefe Verzweiflung treiben, so Becker. Wobei der Anwalt immer noch vor einem Rätsel steht. Wie konnte ein Paar, das anfangs "nur" ein Kind entführen wollte, die grausamen Morde verüben. Damit ist er nicht alleine.

Ina O. fleht die Richter an, nach 15 Jahren freikommen zu dürfen. Weil ihre Söhne die "Mama" bräuchten, auch als "beste Freundin".

Update: Freitag, 7. Februar 2025, 19.59 Uhr


Wie das Kartenhaus aus Lügen zusammenfiel

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Als ein Anwohner am frühen Morgen des 7. März 2024 zwischen 2 und 3 Uhr aus dem Fenster blickt, sieht er einen Feuerschein an der sogenannten Nato-Rampe am Hockenheimer Rheindamm. Auch einem Frühaufsteher, der zur Arbeit fährt, fallen die Flammen gegen 4 Uhr noch auf. Beide denken an ein Lagerfeuer. Wenige Stunden später entdeckt ein Spaziergänger am Ufer die verkohlte Leiche einer Frau. "Es hat sich schnell herauskristallisiert, dass es sich um ein Kapitalverbrechen handelt", sagt der Hauptermittler der Sonderkommission "Rampe" beim Prozess gegen ein Ehepaar aus Sandhausen vor dem Mannheimer Landgericht. Rechtsmediziner bestätigen vor Ort die Vermutung und diagnostizieren Kopfverletzungen.

Wer ist die Tote? Zwei Tage nach dem Fund meldet eine in der Ukraine lebende Frau ihre 27-jährige Schwester als vermisst. Die ansonsten so kommunikationsfreudige junge Mutter reagiere nicht mehr auf Nachrichten. Die Ermittler prüfen einen Zusammenhang – und tatsächlich: Auf ihrem Facebook-Profil ist die Vermisste mit Schmuck zu sehen, der dem am Rheindamm sichergestellten sehr ähnelt. Polizisten fahren zur Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Wiesloch. In dem ehemaligen Hotel lebten die verschwundene Ukrainerin, ihre Mutter (51) und die fünf Wochen alte Mia zuletzt. Ein DNA-Abgleich bringt Klarheit: Die Tote ist die Vermisste. Von ihrer Mutter und dem Säugling fehlt indes ebenfalls jede Spur.

Die Beamten erfahren von der Schwester und dem neuen Freund der 27-Jährigen, dass die drei am Abend zuvor mit einer gewissen Ina und ihrem Mann anlässlich dessen Geburtstags essen waren. Sie leiten über WhatsApp erhaltene Außenaufnahmen eines chinesischen Restaurants in Bruchsal weiter. "Uns war klar: Dieses Paar ist wichtig, entweder als Tatverdächtige oder Zeugen", sagt der Hauptermittler den Richtern.

Funkzellenauswertungen führen zu Ina O.s Handy. Nun ruft auch eine Frau über das anonyme Hinweistelefon bei der Soko an. Sie hat über die Medien von dem mutmaßlichen Mord an der 27-Jährigen und den beiden Vermisstenfällen erfahren.

Die Zeugin sagt, sie kenne Ina und Marco O., die mit ihren drei Söhnen in Sandhausen wohnen, und bei einer Familienfeier ihre "Maus" namens "Elina" präsentiert hätten. Angeblich habe das Paar die Kleine in Tschechien adoptiert. Das sei selbst den Familienmitgliedern komisch vorgekommen. Die Schlinge zieht sich zu. Die Ermittler observieren Ina O. und "ihr" Baby, spontan entscheiden sie sich am 13. März zur Festnahme der Frau, als die gerade mit "Elina" das Haus ihrer Eltern verlässt. Denen hat die heute 45-Jährige nach RNZ-Informationen weisgemacht, das Paar habe das Mädchen am selben Tag bekommen. Die Mutter des Babys sei verstorben. Der Soko-Leiter erinnert sich, wie ihm die Kollegen damals von einem der ersten Sätze Ina O.s berichten: "Ich habe eine Geburtsurkunde." Die hat sie sogar, vom Standesamt Sandhausen – aufgrund einer von ihr gefälschten Geburtsbescheinigung der Frauenärztin der 27-Jährigen. Das Kartenhaus aus Lügen fällt zusammen.

Auf dem Handy von Ina O. rekonstruieren Ermittler, wie die Russisch sprechende Angeklagte sich über eine Telegram-Gruppe das Vertrauen der jungen Mutter erschlichen hat. Spezialisten durchleuchten auch das Smartphone von Marco O. Er hat bereits Wochen vor der Tat ein Gelände rund um einen Anglersee bei Bad Schönborn ausgekundschaftet. Polizeitaucher ziehen am 19. März die Leiche der 51-Jährigen aus dem Gewässer. Im Blut der Frauen entdecken die Rechtsmediziner Rückstände von Tavor. Ina hat sich das Beruhigungsmittel verschreiben lassen. Das Paar mischt es in eine "Rotkäppchen"-Flasche, aus der die Ukrainerinnen trinken. Sie sind Marco O. hilflos ausgeliefert, als er mit einem Gummihammer zuschlägt.


Psychiater hält Sandhäuser Paar für schuldfähig

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Lässt sich der Mord an zwei Ukrainerinnen "nur" mit einem ausgeprägten Kinderwunsch erklären? Seit Beginn des Prozesses gegen ein Ehepaar aus Sandhausen vor dem Mannheimer Landgericht bohrt sich die Frage in die Köpfe von Beteiligten und Beobachtern.

Der psychiatrische Sachverständige Hartmut Pleines kann diese Frage am Montag allenfalls bedingt beantworten – das ist allerdings auch nicht seine Aufgabe. Die Große Strafkammer will von dem Experten wissen, ob die Angeklagten zum Zeitpunkt der Taten im März vergangenen Jahres schuldfähig waren.

Pleines’ Ergebnisse sind eindeutig: Weder bei Marco O. (43) noch bei seiner zwei Jahre älteren Frau Ina lag eine psychische Erkrankung vor, als er die beiden Frauen, Mutter und Tochter, erschlug und sich das Paar der erst fünf Wochen alten Mia bemächtigten.

Der Psychiater hat im Gefängnis mit den Eltern von drei Söhnen, zwei aus einer früheren Beziehung von Ina O., gesprochen. Zu dem Verbrechen wollten sie sich nicht äußern. Pleines beschreibt Marco O. als über weite Strecken seines Lebens "auffällig unauffälligen" Menschen.

Schulabschluss, zwei abgeschlossene Lehren als Metzger und Koch, Zeitsoldat. Jedoch habe er ihn im Knast als "exzentrisch" erlebt, "stark von sich eingenommen".

Pleines bescheinigt Marco O. eine "narzisstische Persönlichkeitsstruktur." Der Sachverständige nimmt dem Angeklagten zudem nicht ab, drogenabhängig zu sein. Ja, ab 2016 sei er nach eigenen Angaben häufiger betrübt gewesen und habe angefangen, Kokain und Amphetamin zu konsumieren. Und im Gefängnis will Marco O. halluziniert, Schreie und Stimmen gehört haben. Allein: Haarproben belegten zwar regelmäßige, aber lediglich leichte Drogeneinnahmen.

Ein Gelegenheitskonsument, der in schwierigen Situationen mit Hilfe der Substanzen besser drauf sein wollte, so Pleines. Wäre Marco O. dauerberauscht gewesen, hätte er die Morde niemals monatelang so ausgeklügelt planen und schließlich ausführen können. Eine sich an die Haft anschließende Sicherungsverwahrung im Maßregelvollzug empfiehlt der Psychiater bei beiden Angeklagten nicht, es gebe kein Rückfallrisiko.

Pleines attestiert Ina O. eine depressive Persönlichkeitsstruktur. Statt "innerpsychologische Konflikte" aufzuarbeiten, habe sie sich in Schule und Beruf bis zur Selbstaufgabe angepasst – bis ihre Beine gefühlt gelähmt waren. Eine psychosomatische Erscheinung ohne organische Erklärung. Ihr erster Mann war Alkoholiker, und auch die zweite Ehe sei zuletzt von Kränkungen und Erniedrigungen geprägt gewesen, sagte sie dem Gutachter. Dagegen sprechen laut Pleines die "lustvollen Chats" des Paars.

"Ich habe die beiden zu Hause oft streitend erlebt", sagt ein Freund von Marco O. Als ihm dieser 2022 erzählte, dass das Paar, vor allem Ina, unbedingt noch ein Kind wolle, riet der Zeuge davon ab und zu einer Trennung. "Beende diese Beziehung." Doch der Wunsch blieb. Nachdem Ina O. eine Fehlgeburt erlitten hatte, schrieb ihm der Freund aus der Heidelberger Uniklinik eine befremdliche WhatsApp-Nachricht: Er habe dort die Lage gecheckt, ob eine Entführung möglich sei.

"Keine Leute und Kameras, nur eine Pflegerin und eine Ärztin; und die an der Pforte 120 Kilo schwer. Notausgang nicht weit. Babys liegen 20 Meter von mir entfernt." Der Mann hielt die Mitteilung für "Dummgebabbel".

Eine Kinderärztin sagt aus, wie die sich als Mutter der kleinen "Elina" – also Mia – ausgebende Ina O. vorbei kam und behauptete, das Kind sei in der Wohnung bei einer Sturzgeburt zur Welt gekommen. Verdacht habe sie nicht geschöpft: "Die Frau wirkte absolut souverän, sehr klar, und hatte auf alles eine passende Antwort." Dann meldete sich das Standesamt in Sandhausen.

Der stutzig gewordenen Mitarbeiterin hatte Ina O. gesagt, das Kind sei mit Unterstützung ihres Mannes geholt worden, gegenüber der Medizinerin nannte sie einen Sohn als Helfer. Die Kinderärztin rief bei der Angeklagten an und erklärte ihr, sie brauche eine Geburtsbescheinigung ihrer Gynäkologin. Und die besorgte sich Ina O. dann auch.

Bei der Frauenärztin der ermordeten 27-Jährigen. Das Gesicht durch ein Tuch verdeckt, erschien sie in der Praxis und ließ sich das Dokument ausstellen – für Mia. Täuschend echt verfälschte sie die Bescheinigung und erhielt vom Standesamt eine Geburtsurkunde. Für "Elina". Sie sei "völlig baff" gewesen, als ihr die Polizei das manipulierte Schriftstück später unter die Nase hielt, sagt die Frauenärztin.

Update: Montag, 27. Januar 2025, 21.01 Uhr


Smartphone entlarvt Mordabsichten des Sandhäuser Ehepaars

Von Alexander Albrecht

Mannheim/Hockenheim. Kaum haben Ina und Marco O. Mutter und Großmutter eines Säuglings umgebracht, drängen sich praktische Fragen auf. Zwei Richter der Ersten Großen Strafkammer verlesen am Montag den WhatsApp-Verlauf zwischen dem angeklagten Ehepaar. Er schreibt: "Wir bekommen das Baby auch ohne groß." Sie antwortet: "Wie meinst Du das?" Er: "Ohne Brust". Darauf sie: "Ich will es noch einmal erleben – aber es hat nicht geklappt." Ihr "Mäuschen", die kleine "Elina" heißt tatsächlich Mia und hat ihre engsten Angehörigen, zwei geflüchtete Frauen aus der Ukraine, verloren. Weil Marco und Ina O. noch ein Mädchen wollten. Unbedingt.

Beide schweigen vor Gericht und haben über ihre Anwälte Geständnisse verlesen lassen. Ganz leise haben sie dem Vorsitzenden Richter Andreas Rackwitz beim Prozessauftakt ihre Personalien bestätigt. Sehr laut schimpft Marco O. in derbem Kurpfälzer Idiom im Vorfeld des Verbrechens, als er in Badelatschen durch seine ziemlich unaufgeräumte Wohnung läuft und sich selbst dabei filmt. Der heute 43-Jährige wütet gegen seine Frau, die nur im Hintergrund zu hören ist. "Für Disch geh’ isch in de Knascht", ruft er sinngemäß und faselt etwas von Kidnapping. Die Kammer spielt diesen und zwei weitere verstörende Handyclips ab. In einem vergewissert sich Marco O. im Keller, ob das mutmaßliche Tatwerkzeug vollständig ist. "Alles hawwe mer do ..." Eine weitere Aufnahme startet mit einem Jauchzen des Angeklagten, ehe er eine Linie Koks zieht und mit einem Esslöffel vermutlich das starke Schmerzmedikament Tilidin einnimmt.

Unklar ist, ob Marco O. das letzte Filmchen "einfach so" gedreht hat oder womöglich für den Fall einer Festnahme mildernde Umstände wegen Drogenkonsums dokumentieren wollte. Das Smartphone des Mannes ist für die Ermittler jedenfalls eine ergiebige Quelle. So berichtet ein Sachbearbeiter der Sonderkommission "Rampe" – benannt nach dem Fundort der zuerst gefundenen Leiche am Rhein bei Hockenheim –, von zahlreichen Screenshots. Frisch geborene Mädchen, die eine Klinik im schweizerischen Solothurn in einer "Babygalerie" auf ihrer Internetseite veröffentlichte, teilweise mit der Anschrift der Eltern.

Marco und Ina O. recherchierten vor Ort, wie Fotos von Klingelleisten belegen. Die "Wahl" fiel schließlich auf eine hochschwangere, 27-jährige Frau aus der Ukraine, die sich mit ihrer Mutter ein Zimmer in der Wieslocher Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete teilte. Mit der Jüngeren befreundete Mitbewohnerinnen aus ihrem Heimatland hörten zwar hin und wieder den Namen "Ina". Viel mehr erfuhren sie über die Sandhäuserin nicht. Als dann Ina O. einmal zu Besuch kam, habe sie den Kragen ihres Pullis so weit nach oben gezogen, dass ihr Gesicht fast nicht mehr zu sehen war, sagt eine Zeugin. Und kann die Angeklagte im Gerichtssaal nicht identifizieren. Stutzig gemacht habe sie allerdings, dass Ina und Marco O. einmal mit der 27-Jährigen und Mia einen Banktermin wahrnahmen und das Kind als ihres ausgaben. So habe es ihr die – mit dem inzwischen elf Monate alten Mädchen – in der Ukraine lebende Tante erzählt.

"Komisch" empfand die Getötete den Zwischenstopp nach einem Ausflug mit Mutter, Kind und den Angeklagten im Wald bei Straßburg. Vor dem Trip schreibt Marco O. im Chat, Ina müsse dafür sorgen, dass die 27-Jährige im Auto bleibe und die Kleine stille, "während die Alte ein paar Meter mit uns läuft". Und dann?, fragt die Gattin. "Erledigen und anzünden." Für die andere müsse man sich noch was einfallen lassen. Ermordet wurden die Opfer zwei Wochen später. 

Update: Montag, 20. Januar 2025, 19.48 Uhr


An seinem Geburtstag erschlug er eine Frau und später ihre Tochter

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Während Staatsanwältin Katja König beim Verlesen der Anklage Einblicke in die menschlichen Abgründe eines unfassbaren Verbrechens gewährt, hört das Ehepaar aus Sandhausen regungslos zu. Die beiden sollen zwei geflüchtete Ukrainerinnen heimtückisch ermordet haben, um sich den lange gehegten Wunsch nach einer gemeinsamen Tochter zu erfüllen. Mit heruntergezogenem Mundwinkel, versteinerter Miene und verschränkten Armen lässt der Angeklagte, ein bulliger Mann von 43 Jahren, die Vorwürfe über sich ergehen. Seine zwei Jahre ältere Frau starrt mit wachen Augen zu König.

Gemessen am Spannungsbogen eines TV-Krimis ist die Luft bei der juristischen Aufarbeitung des Falls anschließend schnell raus. Wohl auch wegen der erdrückenden Beweislage legt das Paar beim Prozessauftakt am Dienstag vor dem Mannheimer Landgericht Geständnisse ab, die sie von ihren Verteidigern verlesen lassen. Er räumt ein, am Abend des 6. März 2024 – seinem Geburtstag – erst die 51-Jährige an einem Anglersee bei Bad Schönborn und wenige Stunden später auch deren Tochter (27) am Hockenheimer Rheinufer mit einem Gummihammer erschlagen zu haben.

Das Werkzeug warf er nach eigenen Angaben von der Salierbrücke bei Speyer in den Fluss. "Ich gestehe die Tat vollständig", lässt der Mann wissen. Seine Frau und er hätten sich sehnlichst eine gemeinsame Tochter gewünscht. Doch dieser Traum platzte. Die Angeklagte, eine selbstständige Fußpflegerin, ließ sich nach der Geburt ihres Sohnes 2016 – dazu kommen zwei weitere Söhne aus erster Ehe – sterilisieren, hatte diesen Eingriff aber im September 2020 per erneuter Operation "rückgängig" machen lassen. Es folgten einige Fehlgeburten, die letzte im Februar 2023. Auch die Hoffnung auf eine Adoption zerschlug sich. Von da an reifte der Entschluss der Angeklagten, ein Kind zu entführen und als ihres auszugeben. Die in Kasachstan geborene 45-Jährige nahm über eine Telegram-Gruppe Kontakt zum jüngeren Opfer auf. Die hochschwangere Frau hatte dort nach Übersetzungshilfe bei Arztbesuchen gefragt.

Sie soll in ihrer Heimat verheiratet gewesen sein, wird beim Prozess bekannt. Nach der Flucht wurde sie in der Slowakei von einem Unbekannten schwanger, seit Ende September 2023 lebte sie in einer Gemeinschaftsunterkunft in einem früheren Wieslocher Hotel. Mitte November reiste ihre Mutter nach und teilte sich mit der Tochter ein Zimmer. In dieser Zeit soll die Angeklagte in ihrem privaten Umfeld zahlreiche Legenden verbreitet haben. Wahlweise behauptete sie, schwanger zu sein oder dass eine Adoption kurz bevorstehe. Die Realität sah anders aus: Als die Ukrainerin am 3. Februar 2024 im Speyerer Krankenhaus die kleine Mia zur Welt brachte, weilte die Sandhäuserin an ihrer Seite. Schon im Vorfeld der Geburt hatte sie selbst Babyausstattung gekauft.

Zwei Wochen nach der Entbindung sollte die frischgebackene Mutter sterben. Die Angeklagten fuhren mit ihr und Mia nach Straßburg, auf der Rückfahrt sollen sie angehalten und eine Autopanne vorgespielt haben. Schließlich sahen sie von dem Mord ab, weil sie damit rechnen mussten, von der 51-jährigen Mutter überführt zu werden. Am 27. Februar stellte das Standesamt in Sandhausen eine Geburtsurkunde für "Elina" aus – nachdem die Angeklagte die von einer Frauenärztin für Mia geschriebene Bescheinigung gefälscht und der Behörde vorgelegt hatte. Vor dem Doppelmord ließ sich die 45-Jährige wegen "Angststörungen" das Beruhigungsmittel Tavor verschreiben. Der Angeklagte gibt an, man habe dieses in zwei Saftflaschen geträufelt und die Geschädigten nach einem Restaurantbesuch anlässlich seines Wiegenfests am 6. März in Bruchsal bei einem Spaziergang am Schloss der Barockstadt daraus trinken lassen.

Die 51-Jährige klagte im Auto über Unwohlsein, dadurch gelang es den Sandhäusern, sie von ihrer Tochter und Mia zu trennen. Sie setzten die beiden in Wiesloch ab und behaupteten, die ältere Ukrainerin ins Krankenhaus zu bringen. Tatsächlich endete die Fahrt an dem Anglersee. Dank einer weiteren Lüge – die Mutter befinde sich auf der Intensivstation – lockten die Angeklagten in der Nacht die 27-Jährige aus der Gemeinschaftsunterkunft. Nach dem zweiten Mord sollen sie die Leiche mit Benzin übergossen und angezündet haben, um die erste Tat zu verschleiern. Wenige Stunden vor ihrem Tod kommunizierte die Geschädigte in Wiesloch per WhatsApp mit einem Mann, der die Beziehung der beiden als "Freundschaft plus" bezeichnet. "Sie hat immer wieder geschrieben, dass sie sehr müde sei", so der Zeuge. Nach drei Tagen "Sendepause" und der Nachricht einer besorgten Freundin der Frau aus der Ukraine ging er zur Polizei.

Der Psychiatrische Sachverständige erklärt, der Angeklagte habe ihm im Gefängnis anvertraut, er könne sich gut an den Blick seiner Frau erinnern, als sie Mia bei sich gehabt hätten. Sie sei glücklich gewesen, und das habe auch ihn glücklich gemacht. Das Kind hätte es zu "1000 Prozent" gut bei ihnen gehabt. Gegenüber dem Experten gab der Koch und Metzger an, seit Jahren drogenabhängig zu sein. In seiner Einlassung beteuert er, vor den Taten ein Gramm Kokain und zwei Gramm Amphetamine eingenommen zu haben. Das könnte auch eine Ausrede sein, damit das Gericht von der besonderen Schwere der Schuld absieht. In diesem Fall bliebe er länger als 15 Jahre im Knast. "Ich habe dem Kind alles genommen, ich erwarte meine gerechte Strafe", verliest sein Anwalt. Die Frau würde gerne die Zeit zurückdrehen.

Update: Dienstag, 7. Januar 2025, 22.05 Uhr


Begingen sie Doppelmord, weil sie um jeden Preis ein Mädchen wollten?

Von Alexander Albrecht

Mannheim/Hockenheim. Unter strengen Sicherheitsauflagen verhandelt das Mannheimer Landgericht ab diesem Dienstag, 7. Januar, einen der aufsehenerregendsten Kriminalfälle der vergangenen Jahre. Angeklagt ist ein Ehepaar aus Sandhausen, dem die Staatsanwaltschaft den heimtückischen Doppelmord an zwei Ukrainerinnen und die Entführung des erst fünf Wochen alten Babys Mia vorwirft. Zum Prozessauftakt gestanden die beiden Angeklagten in von ihren Anwälten verlesenen Erklärungen die Taten. 

Was die Ermittler rekonstruiert haben, ist verstörend und zeichnet das Bild eines Verbrechens nach, das mutmaßlich nicht skrupelloser hätte geplant und ausgeführt werden können. Und doch gilt trotz umfangreichen Beweismaterials auch in diesem Prozess bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung.

> Die Angeklagten: Die 46-Jährige hat aus einer früheren Beziehung zwei Söhne und mit ihrem mitangeklagten Mann (44) einen weiteren Sohn. Wonach sie sich aber offenbar immer sehnte, ist ein Mädchen. Ein unerfüllter Traum. Der 44-Jährige hat aus einer anderen Partnerschaft eine Tochter, die bei ihrer Mutter lebt. Beide Angeklagten schweigen zu den Vorwürfen.

> Die Opfer: Eine 27-Jährige war nach ihrer Flucht aus der Ukraine in der Slowakei schwanger geworden und lebte zuletzt mit ihrer Tochter Mia und ihrer Mutter (51) – die etwas später in Deutschland eingereist war – in einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Wiesloch.

> Die Vorgeschichte: Wie die RNZ aus Ermittlerkreisen erfahren hat, sollen die Angeklagten rund ein Jahr vor dem Doppelmord auf die Idee gekommen sein, einen weiblichen Säugling zu entführen und als ihr eigenes Kind auszugeben. Dazu sollen die beiden mehrfach zu Krankenhäusern in der Schweiz und nach Tschechien gefahren sein, um vor Ort zu "recherchieren". Die Hoffnung auf eine eigene Schwangerschaft oder eine Adoption soll sich zuvor zerschlagen haben.

> Die Kontaktaufnahme: Die Russisch sprechende Angeklagte soll Anfang letztes Jahr Mitglied einer Telegram-Gruppe geworden sein. Ebenfalls beigetreten war eines der späteren Opfer, die hochschwangere 27-Jährige. Die kaum Deutsch sprechende Ukrainerin suchte nach Unterstützung beim Übersetzen, wenn sie mit Ärzten sprach oder bei Behörden vorstellig wurde. So lernten sich die zwei Frauen kennen.

Noch vor Mias Geburt am 3. Februar 2024 soll die Angeklagte Babyausstattung gekauft und das Mädchen kurz nach der Entbindung unter einem anderen Namen beim Standesamt Sandhausen angemeldet haben. Wie diese Zeitung von Ermittlern weiter erfuhr, hatte eine Frauenärztin eine gefälschte Geburtsurkunde ausgestellt; ein Verfahren gegen die Medizinerin wegen Urkundenfälschung stellte die Staatsanwaltschaft ein.

> Der Doppelmord: Die Angeklagten sollen am Abend des 6. März gemeinsam mit den Ukrainerinnen in Bruchsal essen gegangen sein. Dabei mischten jene nach den Erkenntnissen der Ermittler Mutter und Tochter in hoher Dosis zwei sedierende Medikamente ins Essen oder die Getränke.

Auf der Rückfahrt soll die 51-Jährige über Bluthochdruck geklagt haben. Unter dem Vorwand, sie ins Krankenhaus bringen zu wollen, sollen die Angeklagten deren Tochter und das Baby an der Geflüchtetenunterkunft abgesetzt haben. Statt aber die ältere Ukrainerin in eine Klinik zu bringen, soll das Paar mit ihr an einen Anglersee bei Bad Schönborn gefahren sein, wo der Angeklagte die unter starken Bewusstseinsstörungen leidende 51-Jährige mit einem unbekannten Gegenstand erschlug.

Auf ähnliche Weise soll auch deren Tochter getötet worden sein. Die Eheleute sollen sie und den Säugling in der Nacht nach dem ersten Mord abgeholt haben, angeblich um die Mutter beziehungsweise Oma in der Klinik besuchen zu wollen, die einen Herzinfarkt erlitten habe. Stattdessen ging die Fahrt zur "Nato-Rampe" am Rheinufer bei Hockenheim.

Nach den heftigen Schlägen sollen die Angeklagten die 27-Jährige angezündet haben – währen das Baby im Auto saß. Am 7. März entdeckte ein Passant die Tote. Sechs Tage später nahm die Polizei das Paar fest, bei dem die Ermittler das Baby unversehrt entdeckten. Schließlich fanden Polizeitaucher am 19. März die Leiche der Großmutter in dem See.

> Sicherungsverwahrung: Eine der spannendsten Fragen wird sein, ob das Gericht – sofern es die Angeklagten zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt – die Sicherungsverwahrung anordnet. Dann könnte das Paar aus Sandhausen nicht vorzeitig aus der Haft entlassen werden.

Eine Sicherungsverwahrung setzt immer zwingend voraus, dass der Verurteilte einen Hang zu erheblichen Straftaten hat und zum Zeitpunkt seiner Verurteilung eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.

> Das Baby: Im Frühsommer 2024 übernahm die Tante – die heute 21 Jahre alte Schwester der Getöteten – die Vormundschaft für das Mädchen. Ende Juni kehrte sie mit dem Baby in die Ukraine zurück. Dort hat sie die Adoption der kleinen Mia beantragt.

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