Bis zum nächsten Zoobesuch dauerte es 67 Jahre
1951 bewunderte Miriam Rowe zuletzt die Raubtiere - Mit ihrer Cousine machte sie vor Kurzem wieder eine Tour

Von Sabrina Montanari
Heidelberg. Man könnte meinen, sie hätten sich die letzten achtzig Jahre jeden Tag gesehen. Liselotte Maisch, Elfriede Maisch-Doss und Miriam Rowe stehen vor der Löwenanlage im Heidelberger Zoo und bewundern die Raubtiere, wie zuletzt im Frühjahr 1951. Dazwischen haben sie sich nur alle paar Jahre gesehen: Die beiden Schwestern Elfriede und Liselotte leben in Deutschland, Miriam Rowe dagegen in den Vereinigten Staaten.
Allerdings: "Wir hatten durchgehend ein intaktes Familienleben", erzählt Maisch-Doss, während sie mit ihrer älteren Schwester an der Hand durch den Tiergarten spaziert. Sie erzählt von ihren Vorfahren: "Ziegelhausen, das war ein Wäschereidorf. Wegen der Arbeitslosigkeit wanderte in den Zwanziger Jahren ein Teil unserer Familie aus."

1934 wurde Rowe in New Jersey geboren. Sie heiratete einen Amerikaner und wohnte ihr ganzes Leben auf der anderen Seite des Atlantiks. Heute spricht sie deswegen lieber Englisch. Wenn sie aber Deutsch spricht, dann mit einem besonders authentischen "Ziegelhäuserisch": "Jedes Mal, wenn sie kommt, bringt sie alte, aber für uns neue deutsche Wörter mit aus Amerika. Wörter, die ich das letzte Mal, wenn überhaupt, von unseren Großeltern gehört habe", schmunzelt Maisch-Doss. Rowe ist ihr veralteter Wortschatz dagegen etwas peinlich. Während ihre Cousine erzählt, schaut sie deswegen zu den Löwen und nimmt mit ihrem Smartphone deren Brüllen auf. Sie will viele Eindrücke festhalten, um ihren amerikanischen Großenkeln davon zu berichten.
"Und Miri, wie fühlst du dich? Wie mit 18?", ruft Maisch-Doss mitten in der Aufnahme. "I wish" - ich wünschte, lautet die lakonische Antwort. Das letzte Mal besuchte Rowe die Löwen in Heidelberg als 18-Jährige, während sie von Februar bis Mai 1951 bei der Familie Maisch wohnte. "Meine Eltern schickten mich nach Deutschland, um meinen damaligen Freund zu vergessen. Das tat ich gleich." Die 84-Jährige erinnert sich: "Heute scheint irgendwie alles größer, viel ausgebauter. Es war damals auch nicht wichtig, die Tiere artgerecht zu halten. Es gab kaum Regeln."
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Mit ihrer Cousine Elfriede und deren Bruder Herbert hielten sie damals kleine Löwen im Arm und spielten mit winzigen Wildschweinen - das wäre heute unvorstellbar. Eingeladen zu dem Tag im Zoo hatte sie Heinrich Schmitt, ein Mieter der Familie. Schmitt war nämlich, wie Liselotte Maisch etwas nostalgisch erzählt, "mit Leib und Seele Tierpfleger; im Winter wie im Sommer fuhr er mit dem Rad vom Steinbach zu seinen Tieren". Schon damals fotografierte Rowe gerne.
Dafür hatte sie eine moderne Kamera aus Amerika mitgebracht. So entstand an dem Vormittag das abgedruckte Bild der Verwandten mit dem Tierpfleger im Zoo.
Während heute - fast 70 Jahre später - die drei an der Löwenanlage vorbeispazieren, fallen Rowe noch zwei Erinnerungen ein. Der kleine Löwe, den sie damals stolz halten durfte, habe, so erzählte es ihr der befreundete Tierpfleger ein paar Wochen später, einen Besucher gebissen.
Bei den Stachelschweinen, fällt ihr ein, wie lustig die drei es damals fanden, den Tieren zuzuschauen, die ihre Stacheln aufstellten, als sie ihnen Gemüse zuwarfen. Die Cousinen finden es aber richtig, dass so etwas heute nicht mehr geht und die Tiere artgerechte Gehege bekommen: "Miri, wenn du das nächste Mal kommst, ist sicher auch die neue Löwenanlage fertig", strahlt Maisch-Doss.
In der Nähe der neuen Anlage soll eine Fotowand entstehen, die dokumentiert, wie sich die Tierhaltung im Laufe der Jahrzehnte verändert hat. Um diese zu gestalten, sollten RNZ-Leser ihre alten Zoofotos einsenden. Diese Gelegenheit nutzte Elfriede Maisch, um wieder einen Zoo-Ausflug mit ihrer Cousine zu organisieren. Und Miriam Rowe war auch dieses Mal begeistert. Sie bekamen wieder ihr Löwenbild - dieses Mal allerdings mit Smartphone, und vor allem ohne die Gefahr, gebissen zu werden. "Other days, other ways", sagt die 84-Jährige lächelnd.