Heidelberg

Theaterfestival "Adelante" ist Begegnung mit anderen Kulturen

Am Stadttheater trifft sich wieder die iberoamerikanische Theaterwelt. Die RNZ sprach mit Intendant Holger Schultze über das Mammut-Festival.

31.01.2024 UPDATE: 31.01.2024 06:00 Uhr 3 Minuten, 15 Sekunden
Szene aus dem Stück „Der Mond im Amazonas“, in dem es um die indigene Bevölkerung Kolumbiens geht. Insgesamt sind beim „¡Adelante!“-Festival zehn Länder vertreten. Foto: Mapa Teatro
Interview
Interview
Holger Schultze
Intendant des Theaters und Orchesters Heidelberg

Von Julia Schulte

Heidelberg. Zum dritten Mal findet in diesem Jahr das iberoamerikanische Theaterfestival "¡Adelante!" am Heidelberger Theater statt. Intendant Holger Schultze verrät im RNZ-Interview, auf welche Stücke er sich besonders freut und wie sich das lateinamerikanische vom deutschen Theater unterscheidet.

Herr Schultze, Theaterfestivals gibt es viele, allein in Heidelberg sind es mehrere im Jahr. Aber Adelante ist etwas ganz Besonderes, sagen Sie?

Definitiv: Adelante ist das einzige Theaterfestival in Deutschland, das in so großer Breite die Theaterkultur von Iberoamerika abbildet. Durch das Festival ist Heidelberg in dieser Region zu einer festen Größe geworden. Und ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass Adelante hinsichtlich der Bedeutung für die iberoamerikanische Theaterwelt direkt nach dem internationalen Theaterfestival von Buenos Aires und dem "Santiago a Mil" in Chile kommt.

Und wieso ausgerechnet Iberoamerika, und nicht eine andere Weltregion?

Die Idee entstand 2015, als Mexiko Gastland beim "Stückemarkt" war. Da kam uns zum ersten Mal der Gedanke, dass es schön wäre, ein ganzes Festival zu dieser Region zu organisieren. Ich bin dann mit Lene Grösch, die zusammen mit mir die künstlerische Leitung für Adelante hat, nach Südamerika geflogen und wir haben einige der Länder bereist.

Sie sind extra nach Südamerika gereist?

Das machen wir vor jedem Adelante-Festival, alles andere wäre nicht seriös.

Was genau machen Sie dann dort?

Wir kannten anfangs die dortige Theaterkultur überhaupt nicht, die Goethe-Institute in den jeweiligen Ländern waren unsere Ansprechpartner und haben uns Kontakte vermittelt. Wir besuchen dort auch Festivals, so bekommt man ein Gespür für die Theaterwelt der Region.

Und wie ist die so?

Sehr spannend. Vor allem ist das Theater politischer als in Deutschland. Der Kolonialismus etwa ist immer noch ein sehr großes Thema in den Ländern Lateinamerikas, was sich auch im Theater widerspiegelt. Und wir haben bei den Reisen auch gelernt, wie gefährlich die Länder sind.

Wie das?

Einmal mussten wir zum Beispiel in Caracas notlanden. Es hieß dann, der Flughafen sei einer der gefährlichsten der Welt – glücklicherweise konnten wir im Flugzeug bleiben. Und es gibt auf dem Kontinent auch viele Umwälzungen, 2020 in Chile etwa haben wir die sozialen Unruhen dort mitbekommen. Wir reden bei Lateinamerika wirklich von einem vergessenen Kontinent.

Wie genau wirkt sich das auf das Theater dort aus?

Das Theater ist mehr an den gesellschaftlichen Themen dran. Nehmen wir das Stück aus Bolivien, "Déjà-vu. Auch das Herz erinnert sich": Die Darstellerinnen kämpfen damit in ihrem Land für Frauenrechte. Das Stück ist der Wahnsinn, die Frauen leben auf dem Land und ziehen durch die Dörfer und bringen mit ihrem Spiel den Leuten etwa bei, dass man Frauen nicht schlagen darf. Wir sprechen hier also von didaktischem Theater.

Und die Frauen erzählen, dass in den Dörfern tatsächlich Regeln geändert werden. Das zeigt, wie viel Theater bewirken kann. Es ist generell irre, wie die Leute in den Ländern mit dem Theater für politische und gesellschaftliche Themen kämpfen. Bei uns steht ja mehr die theaterästhetische Diskussion im Vordergrund.

Für die Künstler ist es wahrscheinlich auch eine große Sache, ihre Stücke in Deutschland zu zeigen?

Auf jeden Fall. Die Darsteller treffen hier auf eine andere Welt. Für sie ist es eine Riesenerfahrung, vor einem deutschen Publikum zu spielen. Und das Tolle an Adelante ist ja auch, dass Künstler und Publikum so leicht in Kontakt kommen, etwa nach den Stücken oder bei den Partys. Die meisten Gruppen bleiben ja auch die ganze Woche in der Stadt. Ein Besuch des Festivals ist also zugleich eine Begegnung mit anderen Kulturen – und gerade in einer Zeit, in der das Thema Migration wieder so in den Fokus rückt, ist es wichtig, anderen Kulturen und Gesellschaftsformen zu begegnen.

Zehn Tage Festival, zehn vertretene Länder, 220 Künstler: Für das Theater ist die Organisation des Festivals wahrscheinlich ein Kraftakt?

Das ist es, keine Frage. Was die Mitarbeiter hier leisten, ist sensationell. Zwei Monate nach Adelante findet der "Stückemarkt" statt, nochmal zwei Monate später die Schlossfestspiele. Das Heidelberger Theater ist das Haus in Deutschland mit den meisten Festivals. Da bin ich sehr stolz drauf. Aber ein Festival bedeutet auch immer Ausnahmezustand. Für Adelante müssen zum Beispiel viele Bühnenbilder nachgebaut werden, weil die Originale teils zu groß sind, um sie zu verschiffen.

Ganz billig ist das alles auch nicht, oder?

Nein, das alles ist natürlich teuer, wir brauchen Sponsoren und sind dankbar für die Unterstützung der Sparkassen, der Volksbank Kurpfalz und des Goethe-Instituts.

Welche sind denn Ihre Favoriten-Stücke beim diesjährigen Adelante?

"Der Mond im Amazonas" vom "Mapa"-Theater aus Kolumbien finde ich sehr interessant, es geht um Randgruppen und die indigene Bevölkerung. Und das erwähnte bolivianische Stück zählt auch zu meinen Favoriten, weil ich die Geschichte dahinter einfach so toll finde, etwa dass die Proben später losgehen, weil die Ziegen erst noch gemolken werden müssen.

Und es braucht natürlich ein Skandal-Stück, dieses Jahr ist das "Die Geschichte des Auges. Ein Porno-Noir-Märchen" aus Brasilien, das wir in der Hebelhalle zeigen. Mal sehen, wie das Publikum hier auf das Stück reagiert. Ich glaube, in Brasilien gehen die Leute lockerer mit diesen Themen um.

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