Keine Massenschlägereien mehr, aber immer noch Konflikte
Polizei registrierte letztes Jahr 469 Straftaten in Patrick Henry Village - Aktueller Fall am Amtsgericht

Durch ihre Präsenz kommen die Polizisten mit Flüchtlingen in Kontakt und können Konflikte zwischen Bewohnern oft im Keim ersticken. Foto: Alex
Von Holger Buchwald
Es ist ruhiger geworden um die Flüchtlingsunterkunft in Patrick Henry Village (PHV) zwischen Kirchheim und Eppelheim. Die Großeinsätze, bei denen die Polizei mit Dutzenden von Streifenwagen ausrücken musste, um den Streit zwischen verschiedenen Gruppen zu schlichten, gehören seit der Einrichtung der zentralen Registrierungsstelle und einer eigenen Polizeiwache der Vergangenheit an. Das heißt aber nicht, dass die Beamten in der ehemaligen US-Siedlung nichts mehr zu tun hätten.
Im Gegenteil: Letztes Jahr verzeichnete die Polizei auf dem Gelände von PHV 469 Straftaten, darunter 155 Körperverletzungen und 145 Diebstähle. 2015 waren es insgesamt 343 Delikte, bei denen jeweils sowohl die Täter als auch die Opfer Flüchtlinge waren. Für das erste Halbjahr 2017 gibt es noch keine offiziellen Zahlen. "Sie liegen ähnlich wie 2016", so Polizeisprecher Norbert Schätzle. Wie solch ein Streit schon wegen Kleinigkeiten eskalieren kann, zeigte jetzt ein Fall am Heidelberger Amtsgericht.
Hintergrund
In Patrick Henry Village leben derzeit rund 1750 Menschen. Mehr als 200 der Flüchtlinge stammen aus Nigeria, knapp 200 aus Syrien, auf Platz drei und vier folgen Irak und Gambia - und immerhin noch 96 stammen aus der Türkei, so Uwe Herzel, Sprecher des
In Patrick Henry Village leben derzeit rund 1750 Menschen. Mehr als 200 der Flüchtlinge stammen aus Nigeria, knapp 200 aus Syrien, auf Platz drei und vier folgen Irak und Gambia - und immerhin noch 96 stammen aus der Türkei, so Uwe Herzel, Sprecher des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Die Menschen ohne Bleibeperspektive sind oft für längere Zeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen - meistens in Karlsruhe, aber auch einige in PHV. Aus der Perspektivlosigkeit resultieren auch Konflikte.
Die Polizeiwache in PHV ist von 7 bis 18 Uhr mit mindestens vier und maximal acht Beamten besetzt, danach zeigen bis Mitternacht Kräfte der Bereitschaftspolizei Präsenz. Mal sind sie in der ehemaligen US-Siedlung, mal in der Umgebung auf Streife. Die Beamten können viele Konflikte im Keim ersticken. hob.
Versuchter Totschlag lautete der Vorwurf der Staatsanwaltschaft gegen Saidi S., einen 31-jährigen Mann aus dem westafrikanischen Togo. Als er im März mit einem Landsmann im gemeinsamen Zimmer aneinandergeriet, war er bereits seit drei Monaten in PHV untergebracht. Die beiden stritten sich darüber, ob das Fenster geöffnet oder geschlossen werden sollte. Der eine riss es immer wieder auf, weil es im Raum nach Essen roch, der andere machte es wieder zu. So ging das eine Weile hin und her, bis sich Saidis Zimmernachbar mit einem Stuhl vor das Fenster setzte - und er von seinem Kontrahenten mit einem Messer angegriffen wurde.
Während der Verhandlung verstrickte sich Saidi S. in Widersprüche. Mal behauptete er, sein Gegner habe aus Versehen in das Messer gegriffen. Bei seiner Verhaftung hatte er noch gesagt, dass er in Notwehr gehandelt habe, der andere Togolese habe ihn mit einem Stuhl attackiert. Diesen Geschichten konnte das Schöffengericht keinen Glauben schenken. Die Vorsitzende Richterin Walburga Englert-Biedert konnte sich aber auch nicht wirklich vorstellen, dass der Angeklagte mit seinem langen Küchenmesser auf den Hals des Opfers gezielt hat und den anderen bewusst töten wollte. 2,6 Jahre Haft wegen gefährlicher Körperverletzung lautete am Ende das Urteil.
Auch interessant
Dass er mit drei anderen Menschen, die er nicht kennt, eine Stube teilen musste, und dass er als Togolese praktisch keine Chance auf Asyl hat, sei beides sicherlich als mildernder Umstand zu werten, so Englert-Biedert bei der Urteilsbegründung. Andererseits gehe von dem Angeklagten ein "hohes Gefährdungspotenzial" aus.
Saidi S. selbst war nach der Urteilsverkündung geknickt. "Ich kann nichts dazu sagen, außer dass ich mich dafür entschuldige", sagte er auf Französisch: "Es wird sich nicht wiederholen." Laut Verteidiger Hermann Seibert könnte der 31-Jährige nach Verbüßung der Hälfte seiner Haftstrafe nach Togo abgeschoben werden. Allerdings sei noch unklar, ob alle notwendigen Dokumente vorhanden seien. Alternativ droht dem Verurteilten laut "Dublin II"-Abkommen die Ausweisung nach Italien - denn das ist der erste europäische Staat, den er nach seiner Flucht betreten hat.