Amuse-Gueules machen das Menü perfekt (plus Rezept)
Nüsse, Mini-Teigtaschen oder ein kleines Kunstwerk aus der Küche: Amuse-Gueules sind handliche Appetitmacher. Als nette Geste des Hauses haben sie zu Beginn eines Essens gleich mehrere Aufgaben.

Von Christiane Meister-Mathieu
Wirsberg/Köln. (dpa-tmn) Ein Abend im Zwei-Sterne-Restaurant "Aura" im fränkischen Wirsberg. Noch vor der ersten Vorspeise platziert der Service ein geschwungenes Stück einer Weinrebe vor jedem Gast. Das Holz bleibt bis auf eine begradigte Seite in seiner natürlichen Form. Darauf drapiert sind drei Miniatur-Gerichte, die sich in Farbe, Konsistenz und Geschmack unterscheiden.
"In unserem Menü sind das die "fränkischen Wurzeln"" sagt Tobias Bätz, der mit Alexander Herrmann das Küchenchef-Duo im Restaurant bildet. "Geläufiger ist aber wohl das Wort Amuse-Gueule." In Deutschland nennt man diese Kleinigkeiten vor einem Menü oft "Gruß aus der Küche".
Vornehmer Begriff
Wörtlich übersetzt bedeutet Amuse-Gueule so viel wie Maulfreude, was einigen in der gehobenen Gastronomie nicht fein genug war. Daher hat sich auch Amuse-Bouche – Mundfreude – etabliert. Weltläufiger wäre noch der Begriff Fingerfood. Tobias Bätz stört sich an diesen sprachlichen Feinheiten aber nicht: "In Bayern kann man auch einfach Happen sagen."
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In einer Gastronomie wie dem "Aura" sind diese kleinen Speisen fester Bestandteil eines Menüs. Und sie übernehmen gleich mehrere Funktionen. "Für den Gast ist es eine Brücke, im Restaurant anzukommen", sagt Bätz. "Zu Beginn passiert ja so viel, es gibt viele Eindrücke. Die ersten Amuse-Gueules wirken dann wie ein Feuerwerk." Und schon ist die Aufmerksamkeit aufs Kulinarische gelenkt.
Die Küche präsentiert sich kreativ
Der Küchenchef sieht Amuse-Gueules aber auch als Möglichkeit, sich zu präsentieren: "Meistens ist dieser Part auch besonders kreativ. Und wir wollen schon hier unsere Philosophie zum ersten Mal zeigen." Im "Aura" sind das Produkte fast ausschließlich aus der Region Franken, verbunden mit Aromen und Küchentechniken der ganzen Welt.
"Beim ersten Dreiklang haben wir immer etwas Passendes für die Jahreszeit", sagt Bätz. "Als Zweites kommt etwas, bei dem wir heimische Lebensmittel einsetzen, aber durch die Zubereitung Kompositionen kreieren, die in Franken niemand vermutet hätte." Außerdem gibt es ein Amuse-Gueule, das eine Hommage an heimische Gerichte ist. Etwa die vermeintliche Blutwurst, die im "Aura" ganz vegetarisch aus Rote-Bete-Saft bereitet wird, geschmacklich aber nah am Namensgeber ist.
Vegetarische Grüße aus der Küche sind in Wirsberg ein bewusstes Konzept. Sie zeigen, wie raffiniert Gerichte ohne Fisch und Fleisch sein können. "Wir verarbeiten außerdem keine Nüsse", sagt Bätz. "So nehmen wir auch die meisten Gäste mit, die uns vorab keine Hinweise zu Allergien oder Ernährungsweise gegeben haben."
Gäste willkommen heißen
Die Tradition, Amuse-Gueules zu reichen, beschränkt sich aber nicht allein auf die Spitzengastronomie, erklärt der Kölner Gastrosoph und Kochbuchautor Nikolai Wojtko. "Es geht ja um die Idee, jemanden willkommen zu heißen." Das gilt fürs Restaurant genauso wie zu Hause oder sogar für ein Picknick.
Die Speisen müssen auch nicht besonders aufwendig sein. Denn: Die Enzyklopädie "Larousse Gastronomique" definiert Amuse-Gueules als mundgerechte Häppchen zum Aperitif – darunter als Beispiel auch einfache Snacks wie gesalzene Nüsse oder Blätterteigstangen.
Es muss nicht kompliziert sein
"Hier sind uns die Südländer und auch die Franzosen sicher voraus", sagt Tobias Bätz, der selbst vier Jahre in Spanien gelebt hat. Kleinigkeiten wie etwas Käse oder ein paar Oliven gehören hier zum Aperitif vor dem Essen dazu. "So entsteht schon ganz viel Kommunikation am Tisch."
Das ist auch für Nikolai Wojtko ein wichtiger Aspekt. "Gerade, wenn sich die Gäste noch nicht gut kennen und es vielleicht noch an gemeinsamen Gesprächsthemen fehlt, laden Amuse-Gueules zum kulinarischen Smalltalk ein", sagt er.
Amuse-Gueules geben die Richtung vor
Zudem sei ein Amuse-Gueule auch immer die Visitenkarte, die zeige, wohin die Reise bei einem Essen gehe, so Wojtko. Beginne der Abend mit Chips, Nüssen und Oliven, liege der Fokus vielleicht mehr bei der Produktqualität als beim anspruchsvollen Kochen. Bei einem saisonalen Essen können auch im Fingerfood typische Lebensmittel oder Gewürze einer Jahreszeit aufgegriffen werden.
"Oder es gibt im Amuse-Gueule schon Zutaten, die später auch im Menü auftauchen und so eine Verbindung schaffen", schlägt Wojtko vor. Aus Oliven lässt sich beispielsweise schnell eine Creme fürs Brot herstellen, mit Gemüse aus dem Hauptgang lassen sich Mini-Pizzen belegen oder kleine Quiches füllen.
Genauso können auch Feiertage aufgegriffen werden: Indem fürs Weihnachtsmenü beispielsweise vorab Brot in Sternenform ausgestochen und danach geröstet und belegt wird. Etwa mit Frischkäse und Lachs, mit Roastbeef und Remoulade oder einfach mit einer Rote-Bete-Creme.
Mit Liebe und ohne Stress vorbereiten
"Manchmal entdecke ich beim Einkaufen auch ein tolles Produkt, das ich im Menü nicht mehr einbauen kann – dann kann ich es auch einfach fürs Fingerfood verarbeiten", sagt Tobias Bätz. Ein Amuse zu Hause sei auch eine gute Gelegenheit, mal etwas Neues auszuprobieren. "Insgesamt muss es aber natürlich zum Gastgeber passen und soll niemanden stressen", sagt er.
Für einen entspannten Start rät der Küchenchef deshalb für zu Hause, Amuse-Gueules so zu wählen, dass sie sich gut vorbereiten lassen. Letzten Endes für ihn das Wichtigste: alles mit Liebe angehen – ob zu Hause oder in der Profiküche.
"Huhn versus Stör": Amuse-Gueule wie im Sternerestaurant
"Huhn versus Stör" wird bei ihnen inzwischen als Amuse-Gueule gereicht und ist sicherlich auch etwas Besonderes für die Gäste daheim. Dies ist eine vereinfachte Variante, die aber immer noch einige Planung sowie einen Dampfgarer braucht. Werden am Ende alle Komponenten zusammengefügt, darf man sich dafür auf ein besonderes kulinarisches Erlebnis freuen.
Zutaten und Zubereitung der einzelnen Komponenten (für 4-5 Personen)
Eigelbcreme:
4 Eigelb (M)
Das Eigelb in ein verschließbares Gefäß (z. B. Schraubglas) füllen, im Dampfgarer bei 64 Grad 2,5 Stunden dämpfen, danach im geschlossenen Gefäß in Eiswasser abschrecken. In einer kleinen Schüssel mit einem Schneebesen cremig rühren.
Fermentiertes Eigelb:
400 g Asche von Holzkohle
500 g Kala Namak Salz (alternativ Speisesalz)
250 g Zucker
3 Eigelb (M)
Die Asche sieben und mit Salz und Zucker mischen. Einen Teil davon etwa 1,5 cm hoch in ein flaches Gefäß füllen und kleine Mulden hineindrücken. Die Eigelbe ohne Hagelschnur hineingleiten lassen und die restliche Aschemischung darüber sieben. Das Gefäß mit einem Deckel verschließen und die Eigelbe kühl und trocken 10–14 Tage lagern. Sobald die gewünschte Konsistenz erreicht ist, die Eigelbe kurz abwaschen, trocken tupfen und einen Tag kühl trocknen lassen. Zum Servieren mit einer Reibe fein raspeln.
Gegartes Eiweiß
7 Eiweiß (M)
Das Eiweiß in ein verschließbares Gefäß (z. B. Schraubglas) füllen, im Dampfgarer bei 92 Grad 10 min dämpfen und anschließend im Gefäß in Eiswasser abschrecken.
Leche de Tigre
Schritt 1: Basis
15 g Schalotten
25 g Staudensellerie
50 g Fischsauce
50 g Gemüsebrühe
125 g gegartes Eiweiß
3 g Kala Namak Salz (alternativ Speisesalz)
40 g Zitronensaft
Abrieb einer halben Zitrone
125 g Crème fraîche
Alle Zutaten bis auf die Crème fraîche 2-3 min im Küchenmixer fein mixen und durch ein feines Sieb passieren. Anschließend Crème fraîche mit einem Pürierstab untermixen.
Schritt 2: Creme
100 g Tigre-Basis
100 g gegartes Eiweiß
4 g Kala Namak Salz (alternativ Speisesalz)
15 g Zitronensaft
50 g Gemüsebrühe
50 g Crème fraîche
Alle Zutaten im Küchenmixer bei voller Leistung mixen und nach und nach 100 g Sonnenblumenöl emulgieren. Kurz vor dem Servieren die Leche de Tigre auf 50 Grad temperieren und abschließend 1-2 min bei voller Leistung des Mixers cremig aufmixen.
Haselnuss-Miso-Creme
50 g Haselnuss-Miso (alternativ helle Misopaste)
60 g Wasser
5 g helle Sojasauce
75 g Haselnusspaste
Alle Zutaten miteinander mischen, im Küchenmixer zu einer feinen Creme aufmixen, abschmecken und in Spritzbeutel füllen.
So wird angerichtet
Sie brauchen: geröstete Haselnüsse, Kaviar (wenn kein Störkaviar erhältlich ist, kann das Gericht mit Forellen- oder Saiblingskaviar abgewandelt werden), Fleur de Sel.
Haselnuss-Miso-Creme mit dem Spritzbeutel flach in tiefe Schälchen füllen, je drei halbierte geröstete Haselnüsse darauf setzen, mit einem großen Esslöffel Leche de Tigre überziehen, einen großen Tupfen Eigelbcreme aufspritzen, mit einer Prise Fleur de Sel bestreuen und fermentiertes Eigelb darüber reiben. Beim Servieren mit einer Nocke Kaviar finalisieren.
- Matthaes (Hrsg.), Alexander Herrmann, Tobias Bätz, "AURA & ANIMA. Grenzenlose Heimat: Uralte Techniken ebnen den Weg in die Zukunft der Spitzenküche", 512 Seiten, 89,90 Euro, ISBN 978-3-98541-071-2.