Gute Werbung durch die Wurst-Debatte
Bundesweit gibt es bereits sechsmal "Die vegane Fleischerei". Bald eröffnet die erste Filiale im Südwesten.

Von Martin Oversohl
Stuttgart. Wann ist eine Wurst eigentlich eine Wurst? Der europaweite Streit um Begriffe wie Bratwurst und Schnitzel, Sauerbraten und Salami macht auch vor der neuen Filiale der "Veganen Fleischerei" in Stuttgart nicht Halt.
Bevor am nächsten Samstag Wurst und Leberkäse über die erste baden-württembergische Theke des Dresdner Unternehmens gereicht wird, muss sich Filialleiter Andreas Holz mit den Feinheiten der europäischen Rechtslage auseinandersetzen. Denn in einer stark kritisierten Entscheidung hat sich das Europaparlament in der vergangenen Woche für ein Verbot von Bezeichnungen wie "Tofu-Wurst" oder "Veggie-Burger" ausgesprochen. Nur Tierisches soll Burger oder Wurst heißen dürfen. Der Grund: Es bestehe "ein echtes Verwechslungsrisiko".
Darf man einen Sauerbraten auf Seitanbasis nun überhaupt so nennen? Müsste ein veganes Schnitzel als "Weizenplatte" angeboten werden? Und wie könnte das Gulasch aus Sojaschnetzel und Gemüse heißen? Was ist eigentlich mit einem Firmennamen wie "Fleischerei"? Unklar ist auch, ob es künftig ausreicht, Produkten Namen zu geben wie "Keine Leberwurst" oder "Keine Salami", so wie es "Die Vegane Fleischerei" tut.
Die endgültige Regelung steht aus. Die EU-Staaten müssten sich noch einigen, betont Nils Steiger, der die Franchisekette gemeinsam mit Freunden gegründet hat und bislang sechs Filialen in Dresden und München, Berlin, Augsburg, Hamburg und Köln unterhält. Und um Markennamen sei es in Straßburg eh nicht gegangen. Bis zu einer Umsetzung bleibt das Namens-Chaos laut Steiger vor allem kostenlose Werbung für die neue Filiale in Stuttgart.
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Dort sieht es wenige Tage vor der Eröffnung trotz der Kartons und Handwerker schon aus wie in einer klassischen Fleischerei. Kacheln, Kühltheke, Regale, nur schicker, cleaner und selbstverständlich ohne Fleischgeruch soll es werden. Nostalgie pur – und sehr gewollt. "Wir wollen die Geschmackserlebnisse von früher wieder aufleben lassen – nur eben ohne Rinder, Schweine und Hühner", sagt Steiger.
Es gehe vor allem darum, Emotionen zu wecken. "Wenn ich an Sauerbraten denke, kommen Erinnerungen an meine Oma hoch, wie sie ihn zu Weihnachten serviert hat", sagt Steiger. Deshalb erinnerten die Produkte bewusst an traditionelle Fleischwaren. Stimme dann auch der Geschmack, kämen die Kunden wieder. Sein Ziel sei es vor allem, "dass weniger Menschen Fleisch essen und stattdessen vegane Produkte konsumieren".
"Menschen sind Gewohnheitstiere", sagt Stuttgarts Filialleiter Holz. "Wir bieten Produkte an, die den Sprung für frühere Fleischesser zu pflanzlichen Produkten ermöglichen, ohne dass sie auf ihre Gewohnheiten verzichten müssen." Die Namen der Titel der veganen Produkte seien so gewählt, damit Kunden einen Eindruck vom Geschmack hätten. "Wenn das vegane Schnitzel plötzlich Weizenplatte heißen würde, hätte man keine Idee, wie es schmecken soll."
In seiner Stuttgarter Filiale sollen rund 140 alternative Fleischprodukte zur Auswahl stehen, hergestellt größtenteils in Dresden, manche sogar mit Fleischwolf und Rührmaschine – die Produktion folgt der klassischen Wursttechnologie. Käse und Fisch werden zugekauft.
Bis der Konsum von Fleischersatz im Mainstream angekommen ist, ist es aber noch ein weiter Weg. Laut Statistischem Bundesamt liegt der jährliche Pro-Kopf-Konsum von Produkten wie Veggie-Burgern oder Tofu-Würsten bei gerade einmal 1,5 Kilogramm. In Deutschland ernähren sich etwa 1,5 bis 1,6 Millionen Menschen vegan, das sind 1,5 bis 2 Prozent der Bevölkerung. Der Konsum von "echtem" Fleisch dagegen ist 35-mal so hoch: durchschnittlich 53,2 Kilo pro Kopf.
Dennoch betrachten die klassischen Metzger die Dresdner mit Argwohn. Natürlich schließt auch der Landesinnungsverband Fleischerhandwerk in Baden-Württemberg aus, dass Menschen ein veganes Schnitzel kaufen und ein Stück Fleisch erwarten. Dennoch sind die Produkte der "Veganen Fleischerei" aus Sicht von Landesinnungsmeister Joachim Lederer "absolute Kundentäuschung". Die Anbieter veganer Produkte mit traditionellen "Fleischnamen" seien wie Trittbrettfahrer, die den guten Ruf der Wurst übernähmen.
