Atomstreit mit dem Iran: Europäer ziehen die Notbremse
Steht das Abkommen zur Verhinderung einer iranischen Atombombe endgültig vor dem Aus? Ein Schritt, den Deutschland jetzt mit europäischen Partnern geht, deutet darauf hin. Ein Ausweg bleibt aber noch.

New York (dpa) - Der Atomstreit mit dem Iran eskaliert. Deutschland, Frankreich und Großbritannien (E3) haben den Mechanismus zur Wiedereinführung von UN-Sanktionen gegen Teheran ausgelöst. Es handle sich um eine Art Notbremse angesichts des Verhaltens der Islamischen Republik, ihre atomare Infrastruktur auszubauen, sagte der deutsche Außenminister Johann Wadephul.
Die zahlreichen Verletzungen der Bestimmungen des Wiener Atomabkommens von 2015, das den Iran am Bau einer Atombombe hindern sollte, könne nicht mehr hingenommen werden, sagte der deutsche Chefdiplomat. Aber die Tür für Verhandlungen bleibe offen. "Die Diplomatie endet nicht hier. Sie kann und sie soll weitergehen." Der Iran hätte schon wegen der Auswirkungen auf seine Wirtschaft die seit langem ausgestreckte Hand der Europäer ergreifen sollen, sagte Wadephul.
Minister: Atomar bewaffneter Iran wäre brandgefährlich
Mit dem Schritt droht dem Iran die Reaktivierung von Strafmaßnahmen, die im vergangenen Jahrzehnt aufgehoben worden waren. Frankreich und Großbritannien haben außerdem eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats zum iranischen Atomprogramm beantragt. Das Treffen soll am Freitag stattfinden.
Kern des Atomstreits mit dem Iran ist die Sorge der internationalen Gemeinschaft vor dem Bau einer iranischen Atombombe. "Ein atomar bewaffneter Iran wäre brandgefährlich und würde eine bereits fragile Region weiter destabilisieren", sagte Wadephul. Den Verdacht, an einer Atombombe zu arbeiten, weist Teheran regelmäßig zurück.
Ungewissheit über iranische Reaktion
Der Iran reagierte auf die Auslösung des Mechanismus zur Wiedereinführung von UN-Sanktionen mit scharfer Kritik. Der Schritt sei "haltlos und unrechtmäßig", sagte Irans Außenminister Abbas Araghtschi. Er rief die E3 zu einer Korrektur auf.
Es gelte, einen verantwortungsvollen und realistischen Ansatz zu verfolgen, sagte Teherans Chefdiplomat in einem Telefonat mit seinen europäischen Amtskollegen sowie der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas, wie die Nachrichtenagentur Irna berichtete. Andernfalls werde die Islamische Republik angemessen auf diese "ungerechtfertigte Handlung" reagieren, so Araghtschi demnach weiter.
Als mögliche Gegenmaßnahmen Teherans gelten die Einstellung der Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) sowie der Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag.
Europäer mit Geduld am Ende
Der Schritt zeigt: Die drei europäischen Staaten sind - auch mit Blick auf eine Ablauf-Frist Mitte Oktober - mit ihrer Geduld am Ende. Der Iran habe seine Verstöße gegen das Atomabkommen von 2015 bis zuletzt fortgesetzt und fast waffenfähiges Uran hergestellt, monierten Diplomaten mehrfach. Teheran hatte den einseitigen Ausstieg der USA aus dem Abkommen im Jahr 2018 zum Anlass genommen, sich selbst nicht mehr an die Vereinbarungen zu halten.
30-Tage-Frist läuft
Konkret sieht der sogenannte Snapback-Mechanismus vor, dass der UN-Sicherheitsrat binnen 30 Tagen über die Fortsetzung der bisherigen Sanktionsaufhebung entscheiden muss. Eine solche Resolution steht vonseiten Russlands im Raum, das mit dem Iran militärisch und wirtschaftlich eng kooperiert.
Wird keine Resolution vorgelegt oder wird sie abgelehnt, dann greifen die früheren UN-Sanktionen aus den Jahren 2006 bis 2010 wieder - ohne weitere Abstimmung im Sicherheitsrat. Eine Ablehnung der Resolution könnte ohne Probleme durch Großbritannien und Frankreich erfolgen, da sie im Sicherheitsrat als ständige Mitglieder ein Veto-Recht haben.
Sollten die bisher auf Eis gelegten Sanktionen wieder aktiviert werden, sind die Folgen noch schwer abschätzbar. Es ist davon auszugehen, dass die Islamische Republik ihrerseits konfrontativ reagiert. Das könnte bedeuten, dass die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) aus dem Land verwiesen werden. Weitere mögliche Eskalationsschritte wären ein Ausstieg aus dem internationalen Vertrag zur Nicht-Verbreitung von Nuklearwaffen oder sogar die Ankündigung, eine Atombombe zu bauen.
Iran ist schon jetzt stark angeschlagen
Die Sanktionen dürften dem Iran weiter zusetzen. Der Staat mit etwa 90 Millionen Einwohnern ist schon heute durch die US-Sanktionen ökonomisch stark angeschlagen. Mit den reaktivierten UN-Maßnahmen, die auf die Wirtschaft und die Militärgüter zielen, geriete Teheran weiter unter Druck. Zumal ist das Vorgehen ein Signal an Unternehmen weltweit, dass eine Zusammenarbeit mit dem Iran äußerst heikel werden kann. Insofern dürften sich noch mehr Firmen überlegen, überhaupt mit dem Iran Geschäfte zu machen.
Bereits jetzt ist der Iran mit harten Sanktionen belegt, die vor allem auf den Energiesektor des öl- und gasreichen Landes zielen. Zudem ist das Land weitgehend vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen.
Angriffe auf Atomanlagen als Signal der Entschlossenheit
Hinzu kommt, dass Israel und die USA zuletzt mit Militärschlägen zeigten, wie entschlossen sie sind, den Iran am Bau einer Atombombe zu hindern.
Israel hatte im Juni zwölf Tage lang Krieg gegen den Iran geführt und gemeinsam mit den USA die Atomanlagen Fordo, Natans und Nukleareinrichtungen in Isfahan bombardiert. Neben militärischen Zielen tötete Israel dabei auch mindestens zehn Atomforscher, um das Nuklearprogramm zu sabotieren.
Laut einem Bericht der IAEA verfügte der Iran vor Beginn des israelischen Kriegs gegen das Land über mehr als 400 Kilogramm Uran mit einem Reinheitsgrad von 60 Prozent. Für den Bau von Atomwaffen ist ein Reinheitsgrad von über 90 Prozent erforderlich. IAEA-Chef Rafael Grossi hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Iran der einzige Staat ohne Atomwaffen sei, der solches fast waffenfähiges Material herstelle.
USA verlangen sogar ein Einstellen der Uran-Anreicherung
Vor dem Krieg hatten die USA, die den Schritt der Europäer ausdrücklich begrüßten, fast zwei Monate lang mit Teheran über das iranische Nuklearprogramm verhandelt – ohne Durchbruch. Eine sechste Gesprächsrunde kam nicht mehr zustande, nachdem Israel zwei Tage vor dem Termin den Krieg begonnen hatte. Die Verhandlungen waren an einer zentralen Streitfrage ins Stocken geraten: Die USA forderten, dass der Iran seine Uran-Anreicherung einstellt – eine Forderung, die Teheran strikt ablehnte.
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