Frauen sollten selbst entscheiden, was sie anziehen wollen, fordert Maryam Hübsch. F: privat
Von Kathrin Hoth
Heidelberg. Die bekennende Muslima Khola Maryam Hübsch (36) ist Publizistin und Journalistin deutsch-indischer Herkunft. In Heidelberg war sie kürzlich bei der Konferenz "Europa und Islam – Wer wandelt wen?" im DAI zu Gast.
Für Sie kann der Islam einiges zu einem emanzipierten Frauenbild beitragen. Wie passen beide Begriffe zusammen?
Unter Emanzipation verstehen wir Geschlechtergerechtigkeit. Und Gerechtigkeit ist eines der zentralen Anliegen des Koran. Gerechtigkeit war auch im Frühislam im 7. Jahrhundert schon ein großes Thema, in einer streng patriarchalen Gesellschaft wurden durch den Koran erste Frauenrechte eingeführt. Das war für die damalige Zeit sehr fortschrittlich.
In Sure 4 heißt es, Männer stehen über den Frauen, sie dürfen widerspenstige Frauen ermahnen und schlagen. Was hat das mit Emanzipation zu tun?
Man muss natürlich den gesamten Koran im Blick haben, der Mann und Frau grundsätzlich als vor Gott gleich ansieht. Sure 4 muss im Kontext verstanden werden. Damals wie heute war häusliche Gewalt ein weit verbreitetes Phänomen. Der Vers stellt Mediationsverfahren voran und beschreibt damit Methoden, die letztlich Gewalt verhindern. Die Praxis des Propheten Muhammad gilt zudem als Maßstab für die Exegese und sein Handeln als vorbildlich – er hat nie eine Frau geschlagen. Es gibt also durchaus eine feministische Exegese, die besagt, es geht in dem Vers nicht um Züchtigung und darum wer über wem steht, sondern darum, dass der Mann Verantwortung zu tragen hat.
Die Realität sieht aber doch so aus, dass sich die Menschen in vielen muslimischen Ländern wie dem Iran an der wörtlichen Auslegung des Koran orientieren. Und auch bei in Deutschland lebenden Muslimen kommen Zwangsehen und Ehrenmorde vor.
Man muss hier verschiedene Ebenen unterscheiden. Zum einen gibt es eine strukturelle Diskriminierung in Teilen der islamischen Welt, für die aber eine islamische Begründung nur als Vorwand verwendet wird. Ich spreche von autokratischen, totalitären Regimen, in denen grundsätzlich Minderheiten diskriminiert werden. Zum anderen werden als Begründungen etwa für Ehrenmorde in Deutschland Traditionen herangezogen, die man gar nicht aus dem Islam ableiten kann. Es gibt hier eine Vermischung von patriarchalen Traditionen und dem Islam.
Man muss allerdings dazu sagen, dass Sie der Ahmadiyya angehören, einer sehr liberalen Strömung des Islam, die von anderen Richtungen im Islam teilweise gar nicht anerkannt wird.
Die Ahmadiyya versteht sich als Reformbewegung innerhalb des Islams. Aber man kann unsere Auslegungen nicht als exklusive Exegese der Ahmadiyya abtun, da wir uns auf die Quellen des Islam berufen. Gerade was das Frauenbild angeht, gibt es auch außerhalb der Ahmadiyya viele Stimmen, die für eine andere, geschlechtergerechte Exegese des Koran einstehen. Natürlich gibt es aber eine männliche Orthodoxie, die eine frauenfeindliche Auslegung verbreitet. Man macht es sich jedoch zu leicht, wenn man die aufgeklärte Frau in Europa auf der einen Seite und die unterdrückte Frau in der islamischen Welt gegenüberstellt. Die Realität ist komplexer.
Woher kommt die gedankliche Einteilung in rückständige muslimische und weltoffene westliche Frauen?
Zum einen ist das eine psychologische Entlastungsfunktion für westliche Frauen. Man kann sich überlegen fühlen und dadurch aufwerten. Das ist aber gefährlich, weil es dazu führt, dass sich Frauen hier mit angeblich rückständigen, muslimischen Frauen vergleichen, statt zu schauen, was die Missstände in der eigenen Gesellschaft sind. Zum anderen trägt zu der Einteilung auch bei, dass es eben ein Teil der Realität ist, dass Frauen in manchen muslimischen Ländern unterdrückt werden und das eben hauptsächlich das ist, was man hier vom Islam mitbekommt.
Sie selbst tragen Schleier und haben sich bewusst dafür entschieden, weil es für Sie etwas mit Freiheit zu tun hat. Wie meinen Sie das?
Zunächst einmal ist der Schleier etwa, was meine Beziehung zu Gott stärkt. Und dann hat er mich ein Stück weit auch frei gemacht von den Normen der Gesellschaft. Es ist in uns allen angelegt, dass wir gerade als Frauen nach gesellschaftlicher Anerkennung streben. Religion, unabhängig davon welche, kann frei machen von dem Urteil anderer Menschen. Außerdem verschafft mir der Schleier auch ein bisschen Distanz zum anderen Geschlecht, die man sich als muslimische Frau ja wünscht. Denn es geht ja im Islam auch um Treue und Liebe in der Partnerschaft.
Aber sich aus Schutz vor Blicken der Männern zu verschleiern ist doch keine Freiheit.
Wenn es das einzige Motiv wäre, sicher nicht. Aber es geht ja in erster Linie darum, sich selbst durch den Schleier ständig an die Liebe zu Gott zu erinnern.
Fallen Sie damit nicht allen muslimischen Frauen in den Rücken, die gezwungen werden, einen Schleier zu tragen?
Es stimmt, dass einige Frauen dazu gezwungen werden, Schleier zu tragen, obwohl der Zwang nicht aus dem Koran abzuleiten ist und für das Nicht-Tragen auch keine weltliche Strafe formuliert ist. Allerdings wäre es auch eine Form der Unterdrückung, wenn alle Frauen plötzlich gezwungen würden, das Kopftuch abzulegen. Statt für oder gegen den Schleier zu kämpfen, sollten wir uns dafür einsetzen, dass Frauen selbstbestimmt entscheiden können, was sie anziehen möchten.