Prohibition

Warum das Alkoholverbot in den USA nie funktionierte

Der 26. Juni ist der "Internationale Tag gegen Drogenmissbrauch". Wie schwer es sein kann, Drogen zu verbannen, zeigen die Erfahrungen mit der Prohibition in den USA vor 100 Jahren.

24.06.2021 UPDATE: 26.06.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 45 Sekunden
Illegal hergestellter Alkohol wird in New York in der Kanalisation vernichtet. Foto: US Library of Congress

Von Christian Satorius

New York City. Die Initiatoren hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Wenn man den Alkohol einfach verbietet, so die Idee, könnte es künftig auch keine Alkoholiker mehr geben. Die Produktivität würde zu-, Kriminalität und Korruption hingegen abnehmen. Ja, sogar die Kosten für Gefängnisse wollte man auf diese Weise reduzieren. Und nicht zuletzt sollte das Ganze die öffentliche Moral stärken.

Doch es sollte völlig anders kommen, denn natürlich war das eine Milchmädchenrechnung. Am 16. Januar 1920 trat der 18. Zusatzartikel zur US-Verfassung in Kraft. Herstellung, Transport und Verkauf von Alkohol über 0,5 Prozent wurde verboten. Und die daran geknüpften Hoffnungen waren derart groß, dass sie eigentlich nur enttäuscht werden konnten. "The Noble Experiment" (Das edle Experiment), wie die Prohibition in den USA auch genannt wurde, scheiterte desaströs.

Ja, mehr noch: Als das landesweite Alkoholverbot 1933 wieder abgeschafft wurde, war alles noch viel schlimmer als zuvor. "Es war in jeder Hinsicht ein Fehlschlag", bilanziert Mark Thornton, Professor für Ökonomie an der Auburn-Uni in Alabama. "Obwohl der Alkoholkonsum zu Beginn der Prohibition sank, stieg er danach wieder an." Die Amerikaner wollten sich ihren Alkohol nicht verbieten lassen und wurden kreativ. Da das heimliche Trinken von vielen als Kavaliersdelikt angesehen wurde, ging als erstes die Moral über Bord, die doch eigentlich von der Prohibition hatte profitieren sollen. Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain meinte: "Die Prohibition treibt die Trunkenheit hinter geschlossene Türen; sie kuriert sie nicht." Und der New Yorker Ökonom Clark Warburton lieferte 1932 konkrete Zahlen: Demnach nahm der Alkoholkonsum zunächst tatsächlich ab und erreichte 1921 einen historischen Tiefstand. Allerdings wurde schon 1922 wieder viermal so viel Alkohol getrunken wie im Jahr zuvor; in den Folgejahren nahm der Konsum sogar noch weiter zu.

Al Capone (r), Gangster aus der Chicagoer Unterwelt, und der ehemalige Stadtrat A.J. Prignanoan. Capone verdiente üppig mit Schmuggel und geheimen Kneipen. ⋌Foto: dpa-Archiv

Das hatte Gründe. Zum einen gab es einige Schlupflöcher. Für religiöse und medizinisch-therapeutische Zwecke durfte Alkohol weiterhin hergestellt und verkauft werden. Und so entdeckte manch einer seine religiöse Ader oder bemerkte seltsame Zipperlein. Zum anderen wurde Alkohol nun gerne schwarz gebrannt. Da dies oft im Schutze der Nacht geschah, wurde dies im Volksmund auch "Moonshining" genannt.

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Vor allem aber nahm der Alkoholschmuggel bisher ungeahnte Ausmaße an, vornehmlich aus Kanada und der Karibik. Getrunken wurde die heiße Ware in sogenannten Flüsterkneipen (engl.: speakeasys), die sich oft in einem versteckten Hinterzimmer befanden; Zutritt häufig nur auf Empfehlung oder mit passendem Codewort. Ein Eldorado für Kriminelle, die sich immer häufiger zu organisieren begannen und das illegale Geschäft perfektionierten.

Viele der heute legendären Nachtclubs wie das Chumbley’s in New York City entstanden. Kam es hier zu einer Razzia, wurden die Gäste mit dem Ausruf "86!" gewarnt und konnten über die Ausgangstür der Bedford Street 86 entkommen, während die Polizei durch den Pamela-Court-Eingang stürmte. Auch der legendäre Cotton Club in Harlem, der von der Unterweltgröße Owney Madden geführt wurde, entstand zu dieser Zeit. Im Green Mill trafen sich die Gangster des Chicago Outfit rund um Al Capone.

Das Geschäft mit dem geschmuggelten Alkohol florierte auch deshalb so gut, weil Behörden und Polizei oft wegsahen. Als George L. Cassiday 1930 verhaftet wurde, erzählte er der Washington Post, er habe im Laufe seiner Schmugglerkarriere vier von fünf Kongressabgeordneten mit Alkohol versorgt. Pikanterweise nannte er auch Namen, was zu großer Unruhe nicht nur bei den genannten Politikern, sondern auch in der Öffentlichkeit führte und die Diskussion um Doppelmoral und Korruption weiter befeuerte.

Die Gangster trugen derweil ihre Kämpfe um Marktanteile immer dreister in aller Öffentlichkeit aus, etwa beim sogenannten Valentinstag-Massaker am 14. Februar 1929. Sogar Kriegswaffen, wie die vollautomatische Thompson-Maschinenpistole, die bis zu 800 Schuss im Kaliber .45 pro Minute abfeuern konnte, kamen zum Einsatz. Bisher wurden die Gangster und Alkoholschmuggler von der Bevölkerung geradezu wie Helden verehrt. Mit derartigen Aktionen verspielten sie sich allerdings zunehmend den Rückhalt. Im Oktober 1931 wurde Chicagos Obergangster Al Capone wegen Steuerhinterziehung zu elf Jahren Haft auf Alcatraz verdonnert und auch anderen Gaunern erging es nicht viel besser. Einige Ermittler, wie Eliot Ness, der als der Mann bekannt wurde, der Al Capone zu Fall gebracht hatte, oder auch die beiden Prohibitionsbeamten Isidor Einstein und Moe W. Smith, die zusammen rund 5000 Verhaftungen vorgenommen hatten, wurden später ebenfalls zu Berühmtheiten.

Unterm Strich aber ging die Prohibition spätestens in den 1930er Jahren endgültig ihrem Ende entgegen. "Die Korruption wurde zügellos", weiß Mark Thornton. "Die Kriminalität nahm zu und organisierte sich, die Gefängnisse waren zum Bersten voll, die Gerichtsbarkeit kam nicht mehr hinterher, die Kosten explodierten." Zugleich brachen die Staatseinnahmen durch das Fehlen der Alkoholbesteuerung ein. Als die USA im Oktober 1929 vom Börsencrash erschüttert wurden, der die Weltwirtschaftskrise nach sich zog, fehlte das Geld bereits an allen Ecken und Kanten.

Nun hieß es: Die Aufhebung des Verbots würde legale Arbeitsplätze in der Herstellung, dem Vertrieb und dem Verkauf von Alkohol schaffen, die Produktivität und die Steuereinnahmen ließen sich so steigern. Franklin D. Roosevelt versprach das Ende des Verbots im Präsidentschaftswahlkampf und löste dies schließlich auch ein. Doch als der 21. Zusatzartikel die landesweite Prohibition am 5. Dezember 1933 beendete, war das noch nicht das Ende aller Verbote. Städte und Landkreise konnten nämlich auch weiterhin Alkoholverkauf und -konsum untersagen, wenn sie denn wollten. In der Tat existieren bis heute noch einige sogenannte Dry Citys und Dry Countys (engl.: trockene Städte und Landkreise).

Das Erbe des landesweiten Alkoholverbots ist aktuell noch an vielen anderen Stellen präsent. Die Erfindung des Cocktails gehört dazu, denn oftmals ließ sich der gepanschte Alkohol der Prohibitionszeit, etwa der berühmt-berüchtigte Badewannen-Gin, erst trinken, wenn süße oder fruchtige Zutaten hinzu gemixt wurden. Aber auch das organisierte Verbrechen zählt dazu, denn das verschwand ja nicht einfach so von einem auf den anderen Tag. Ganz im Gegenteil konnten die Kriminellen ihre Erfahrungen aus der Prohibitionszeit und die aufgebauten Netze, natürlich aber auch die vielen Millionen Dollar gut als Startkapital nutzen, um sich auf andere Geschäftsfelder zu verlegen, wie etwa den Handel mit harten Drogen. Auch das gehört zum Erbe der Prohibition. Unterm Strich war das Ganze schlicht: eine Schnapsidee.