Hintergrund

"Frieden brauchen wir" - eine Geschichte von Lenka Löhmann (Januar 2019)

11.01.2019 UPDATE: 10.01.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 37 Sekunden

Lenkas Geschichte

Von Lenka Löhmann

Frieden brauchen wir

Es gab einmal eine Insel, die unbewohnt war. Natürlich lebten dort viele Pflanzen und Tiere, aber keine Menschen. An einem besonders heißen Tag wurde ein Mädchen, das sich krampfhaft an ein Brett klammerte, an den Strand der Insel geschwemmt. Das Mädchen krabbelte erschöpft noch ein paar Meter vom Wasser weg, dann blieb sie bewusstlos im Sand liegen. Als sie wieder aufwachte, fühlte sie sich sehr erschöpft, aber sie stand trotzdem auf und schaute über das Meer.

Keine Feinde zu sehen. Aber was war aus ihrem Bruder geworden? Sie überlegte, dass es sinnvoller wäre sich zu verstecken, als hier am Strand herumzustehen. Das Mädchen lief in den Wald. Sie fand bald einen Baum mit vielen Astgabeln, breiten Ästen und einem dichten Blätterdach. Dort oben war sie erst mal sicher. Das Mädchen kletterte hoch, setzte sich in eine Astgabel und lehnte sich an den Baumstamm. Als es Nacht wurde, schlief sie nicht, sie musste aufpassen. Die Feinde könnten jeden Augenblick kommen. Die ganze Nacht blieb sie wach und hielt Wache, doch am Morgen nickte sie dann doch ein. Sie träumte, dass eine Gestalt am Strand stand und sagte: "Komm mich holen, bitte!"

Ein leises Geräusch neben ihr ließ sie aufschrecken. Es war zum Glück nur ein Vogel, doch das Mädchen wusste, was sie tun sollte. Sie verließ den Wald, immer geduckt und achtsam. Als sie an den Strand kam, entdeckte sie ihn gleich. "Ishaan!", rief sie und rannte zu ihm hin. Das Mädchen umklammerte die eiskalten Hände des Jungen, der im Sand lag. "Milana", flüsterte er leise.

Milana dachte daran, wie sie sich verloren hatten, wie sie verfolgt wurden, wie ihre Familie getötet wurde. Und das nur, weil sie Christen waren. Milana wusste, dass sie nicht am Strand bleiben durften. Sie sah ein Schiff näher kommen, es war noch weit weg, es kam jedoch schnell. Sie packte ihren Bruder und schleifte ihn hinter sich in den Wald. Ishaan merkte die Gefahr, nahm all seine Kräfte zusammen und stand auf. Die beiden rannten zum Baum und kletterten hoch. Sie waren ganz still und bewegten sich nicht. Plötzlich ertönte ein lauter Knall. Die beiden Kinder zuckten zusammen.

"Sie müssen hier irgendwo sein!" Männer tauchten unter dem Baum auf und schossen wild um sich, in der Hoffnung, die Kinder zu treffen und zu töten. Sie schossen nach oben, nach unten, nach links und nach rechts. Sie schossen auch in die Baumkronen und Milana bekam eine Kugel ins Bein. Die Wunde blutete in Strömen. Tränen liefen ihr über die Wangen und ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Die Männer hatten zum Glück nichts bemerkt, zu sehr waren sie mit dem Schießen beschäftigt. "Wir haben jetzt die ganze Insel abgesucht, hier sind sie nicht!", rief ein Mann. "Bestimmt sind sie ertrunken."

"Dann müssen wir ja nichts mehr machen", antwortete der Anführer. Die Männer gingen und Ishaan atmete erleichtert auf. Aber nur kurz. Milana ging es gar nicht gut.

Ishaan war sehr schlau, deswegen verstand er sehr schnell, dass er keine Hilfe holen konnte. Die Insel war unbewohnt und mit Schwimmen erreicht er das Festland nie. Er kletterte zu seiner Schwester hinunter und hielt ihre Hand. Er hatte in der letzten Zeit viele Menschen sterben gesehen: die Mutter, den Vater und den Opa. Und das alles nur, weil sie Christen waren und in dem Land, wo sie gelebt hatten, keine Christen geduldet wurden.

Kann nicht endlich Friede sein?

Auf einmal wusste Ishaan, was zu tun war. Er nahm seine Kette ab, die als Anhänger eine weiße Friedenstaube hatte und legte sie seiner Schwester um. "Die Kette ist von Mutter. Gehe in Frieden. Milana, ich hab dich lieb!" Milana lächelte, als sie einschlief, und spürte den Frieden, weil ihr Bruder bei ihr war. Ishaan hielt die ganze Zeit ihre Hand und war bei ihr.

Was aus Ishaan geworden ist? Eine Flüchtlingsorganisation hat ihn gerettet und nach Deutschland gebracht. Jetzt lebt er in einer Pflegefamilie, wo er sich sehr wohl fühlt. Und ganz oft geht er auf den Friedhof und legt Blumen auf Milanas Grab.

Helft, mehr Frieden in unsere Welt zu bringen!