Für die Altstadt-Wirte geht es um die Existenz
Geht die Stadt juristisch gegen Gerichtsurteil vor? Bürgermeister Erichson sieht keinen Ermessensspielraum mehr.

Heidelberger Partymeile "Untere Straße" bei Nacht. Foto: Philipp Rothe
Von Anica Edinger
Heidelberg. Für Ordnungsbürgermeister Wolfgang Erichson ist die Sache klar: In Sachen Sperrzeiten gibt es keinen Ermessensspielraum mehr. Die Stadtverwaltung wird dem Gemeinderat vorschlagen, eine deutlich restriktivere Regelung einzuführen als bisher: nämlich 1 Uhr werktags und 3 Uhr am Wochenende. Das teilte Erichson mit, nachdem der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH) die Sperrzeitverordnung für die Kernaltstadt Ende März für rechtswidrig erklärt hatte.
Unter der Woche bis 2 Uhr, donnerstags und am Wochenende bis 4 Uhr - diese Regelung, die der Gemeinderat Ende 2016 beschlossen hatte, ist laut VGH zu liberal. Die Interessen der Gastronomen würden über jene der Anwohner gestellt. Die Stadträte müssen daher eine neue Regelung treffen - das war für die Sitzung am 17. Mai geplant.
Doch tatsächlich könnte sich der Gemeinderat noch mehr Zeit verschaffen. Das wurde am Montagabend am Rande einer FDP-Veranstaltung zur Frage "Wie retten wir Heidelbergs Nachtleben?" deutlich. Zwar hat das Gericht die Revision zum Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen. "Zugelassen ist aber eine sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde", wie Michael Eckert, FDP-Stadtrat und Jurist, erklärte. Nach RNZ-Informationen entscheidet der Haupt- und Finanzausschuss schon am 2. Mai, ob die Stadt vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig diese Beschwerde einlegen soll - hinter verschlossenen Türen.
Hintergrund
Wer welche Sperrzeiten will:
> Unter der Woche 1 Uhr, am Wochenende 3 Uhr: Das will die Fraktion "GAL/HD pflegen und erhalten" (vier Stimmen) sowie die je zwei Stadträte der Freien Wähler und der Bunten Linken.
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Wer welche Sperrzeiten will:
> Unter der Woche 1 Uhr, am Wochenende 3 Uhr: Das will die Fraktion "GAL/HD pflegen und erhalten" (vier Stimmen) sowie die je zwei Stadträte der Freien Wähler und der Bunten Linken.
> Unter der Woche 2 Uhr, am Wochenende 3 Uhr: Das kann sich die CDU - und damit zehn Stadträte - vorstellen. Außerdem will die Fraktion beantragen, die Außenbewirtschaftung für die warme Jahreszeit von 23 Uhr auf mindestens Mitternacht zu verlängern. "Mehr Provence statt Provinz", nennt CDU-Stadtrat Alexander Föhr das.
> Unter der Woche 3 Uhr, am Wochenende 5 Uhr: Den vier Stadträten der "Heidelberger" fällt "eine Äußerung noch schwer" da ihnen das maßgebliche Urteil des VGH noch nicht vorliegt. Solange gehe man davon aus, dass - wie in den vergleichbaren Städten Freiburg Tübingen - die Landesregelung (3/5) praktiziert werden sollte.
> Gegen deutlich strengere Sperrzeiten wird sich die FDP, die Fraktion Linke/Piraten, Einzelstadtrat Waseem Butt und auch Matthias Niebel (AfD) positionieren. "Das geht nicht in einer Studentenstadt wie Heidelberg", sagt Karl Breer (FDP). Für eine lebendige Stadt müsse ein Kompromiss her, finden auch Linke/Piraten. Und Butt fordert "Kreativität", damit Heidelberg für junge Leute attraktiv bleibe. Niebel kann sich die Landesregelung, als Kompromiss aber auch 1 Uhr werktags und 4 Uhr am Wochenende vorstellen.
> Noch nicht eindeutig positionieren sich Grüne und SPD. Die Grünen (10 Stimmen) sind sich immerhin einig, "dass ein Interessenausgleich nicht alleine mithilfe einer neuen Sperrzeitenregelung herbeigeführt werden kann". Auch die acht SPD-Stadträte sind offenbar uneins. Verwaltungsvorschlag und Landesregelung seien Grundlage des Abwägungsprozesses. ani
Eckart findet: Die Stadt sollte von diesem Recht Gebrauch machen. Einige Passagen im Urteil seien widersprüchlich. So habe der VGH längere Öffnungszeiten automatisch mit mehr Lärm zu später Stunde gleichgesetzt. Als Grundlage für die Entscheidung wurden Lärmmessungen aus dem Jahr 2016 herangezogen, die belegten: Die Richtwerte der "Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm" (TA Lärm) werden in der Altstadt deutlich überschritten. Im VGH-Urteil heißt es dazu, dass "nach Sperrzeitbeginn um 3 Uhr die Intensität der Geräuschimmissionen nur geringfügig abnimmt und selbst in den ganz frühen Morgenstunden die Idealwerte der TA-Lärm auch nicht annähernd erreicht werden." Eckert schlussfolgert daraus etwas ganz anderes als der VGH: "Die Überschreitung der zugelassenen Werte ist eben unabhängig von der Frage, wann die Gaststätten schließen. Dies müsste dann weiter zu der Erkenntnis führen, dass frühere oder spätere Sperrzeiten die Lärmwerte nicht nennenswert beeinflussen."
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Die vielen Altstadt-Wirte, die zu der FDP-Veranstaltung kamen, bekundeten einmal mehr ihre Bereitschaft, mit allen Beteiligten zusammenzuarbeiten. "Das machen wir schon seit Jahren", sagte Hans-Dieter Stendel von der Destille. Im Mai wird seine Kneipe 48 Jahre alt - und Stendel ist von Anfang an dabei. "Durch meine ganze Laufbahn zieht sich die Diskussion um Lärm und Sperrzeiten." Stimmten die Stadträte für Erichsons Vorschlag, prophezeit Stendel: "Dann geht es ans Existenzielle." Ihn ärgert: "Wir sind immer zum Dialog bereit, halten uns an alle Auflagen - und dann wird uns doch wieder eins reingedrückt."
Stendel will jetzt dafür kämpfen, dass wenigstens für alle Wirte der Stadt die gleichen Regeln gelten. Er findet: "Die Landesregelung ist die beste Lösung für ganz Heidelberg." Demnach dürften die Kneipen unter der Woche bis 3 Uhr, am Wochenende bis 5 Uhr öffnen - so wie es auch außerhalb der Kernaltstadt in ganz Heidelberg ist. Daniel Wilson, der die Kneipen Mel’s, Jinx und ZKB betreibt, sieht das anders: "Das wäre das falsche Signal." Schließlich hätten die Kläger noch ein anderes Instrument zur Hand: die Normenerlassklage. "Dann entscheidet das Gericht über die Sperrzeiten - und im Zweifel wird es noch restriktiver." Wilson plädiert daher für 2 Uhr werktags und 3 Uhr am Wochenende - und zwar für alle, ohne Sonderregelungen.
Werner Lorenz und Rico Riedmüller, die 2017 das alteingesessene Cave 54 in der Krämergasse übernommen haben, wunderten sich unterdessen über die ganze Diskussion: "Wir haben alle Anwohner anfangs zum Gespräch eingeladen - und seither haben wir ein freundschaftliches Verhältnis", erklärte Riedmüller. Probleme mit Lärm? Gebe es beim Cave nicht.