Plus Obrigheim

Das KWO polarisiert auch 20 Jahre nach dem Aus (plus Video)

Stolz, Ärger, Erleichterung: Am 11. Mai 2005 wurde das Kernkraftwerk Obrigheim endgültig abgeschaltet. Die RNZ hat noch einmal nachgefragt.

11.05.2025 UPDATE: 11.05.2025 04:00 Uhr 3 Minuten, 25 Sekunden
Das Kernkraftwerk Obrigheim. Foto: Schattauer

Von Heiko Schattauer

Obrigheim. Vor 20 Jahren wurde der Aus-Schalter gedrückt, das Kernkraftwerk Obrigheim ging nach mehr als 37 Jahren im Leistungsbetrieb endgültig vom Netz. Ein einschneidendes Ereignis, nicht nur, weil das KWO das erste Kraftwerk war, das in Folge des sogenannten Atomkonsenses abgeschaltet wurde. Schon zu Betriebszeiten hatte es um den Atommeiler – für die Region über Jahrzehnte auch ein stabiler Wirtschafts- und Standortfaktor – immer wieder Diskussionen gegeben.

20 Jahre nach der Abschaltung haben wir auf beiden Seiten – also bei Befürwortern und Kritikern der Kernenergie – unter anderem nachgefragt, wie sie die geschichtsträchtigen Ereignisse seinerzeit erlebt haben. Geantwortet auf die RNZ-Fragen haben Karlfried Theilig (kl. Foto), langjähriger KWO-Pressesprecher, sowie Simone Heitz (kl. Foto) und Christine Böhm, die beide in verantwortlicher Position bei den Grünen der Kernkraft überaus kritisch gegenüberstanden und -stehen.

Ganz indiskret eingestiegen: Wo waren Sie am 11. Mai 2005 um 7.58 Uhr?

Karlfried Theilig: In der übervollen KWO-Kantine. Übertragen auf eine Großleinwand, konnten und mussten dort die Beschäftigten das endgültige Abschalten ihres Kraftwerks miterleben. Nicht nur für die Anwesenden war das kein guter Morgen.

Christine Böhm: Ich war bei der Arbeit und sehr erleichtert, dass eine Quelle des für zahllose Nachfolgegenerationen belastenden Atommülls abgeschaltet wurde. Der Blick ging in die Zukunft mit den erneuerbaren Energien. Umschalten war die Devise, nicht nur abschalten.

In drei Sätzen: Was verbinden Sie persönlich mit jenem 11. Mai 2005, mit der Abschaltung des Kernkraftwerks Obrigheim?

Theilig: Stolz und Ärger. Stolz auf die bis dahin jederzeit sicher und verlässlich produzierten mehr als 90 Milliarden Kilowattstunden (!). Und Ärger, dass diese Erfolgsgeschichte aus rein politischen Gründen nicht fortgesetzt werden durfte.

Simone Heitz: Endlich abgeschaltet, endlich die Gefahr eines Gau gebannt. Der Zeitplan war uns vorher bekannt. Schon im November 2004 gab es einen Termin mit Michael Wenk (KWO), bei dem er den Plan von der Abschaltung bis hin zur grünen Wiese erläuterte. Im Mai 2005 sollte der Leistungsbetrieb enden, bis 2020 wollte man zurückbauen, ab 2021 sollte "grüne Wiese" sein. Die haben wir bis heute nicht. Die Kuppel steht weiterhin.

Der Stilllegung gingen mehr als dreieinhalb Jahrzehnte des Betriebs voraus. Von KWO-Verantwortlichen wie Kernkraftgegnern intensiv begleitet. Ist Ihnen ein Ereignis aus diesen Jahren in besonderer Erinnerung geblieben?

Theilig: Eines? Da sind viele noch präsent. Lautstarke Anfeindungen sind genauso wenig verblasst wie die vielfältige Unterstützung, für die ich heute noch dankbar bin. Politisch ganz großes Kino war, als Umweltminister Harald B. Schäfer 1996 verkünden musste: "KWO ist sicher und genehmigt!" Aus dem Munde des bekennenden Atomkraftgegners war das ein besonderes Gütesiegel.

Heitz: Ein bleibendes Schlagwort ist die "Strahlenversprödung des Reaktordruckbehälters". Mit Dummyelementen sollte die dann verlangsamt werden. Auch "Auslegungsdefizite" zählt dazu, weil so klar wurde, für welche Ereignisse das KWO eben nicht ausgelegt ist. In Asbach wurden mal gelbe Atomfässer gefunden, das ging damals quer durch die Medien, es gibt etliche Ereignisse, die hängen geblieben sind.

Die Abschaltung ist nun genau 20 Jahre her, etwas Abstand also durchaus gegeben. Wie bewerten Sie heute die Entwicklungen rund um das Betriebsende des KWO?

Theilig: Lange vor Trumps Strafzoll-Rundumschlag hat schon der Ukraine-Krieg viele Blütenträume platzen lassen. In Zeiten dauerhafter Wirtschaftsflaute mit abnorm hohen Strompreisen und ambitionierten Klimazielen könnte Deutschland eine verlässlich CO2-freie Stromversorgung gut gebrauchen. Dass der mit dem KWO begonnene Ausstieg aus der Kernenergie ein schwerer politischer Fehler war, wird immer deutlicher.

Heitz: Ich bin immer noch froh, dass das KWO abgeschaltet wurde. Der Industriestandort Asbacher Höhe (Techno), damals mit EU-Mitteln gefördert, war als Ersatz für den Arbeitgeber KWO ein Flop, da hätte man sicher vieles besser machen können. Auch die grüne Wiese in Obrigheim ist nicht wieder hergestellt. Aber der Neckar-Odenwald-Kreis hat sich wirtschaftlich gut entwickelt, auch ohne das Risiko eines Atomkraftwerks.

Inzwischen war/ist ein Wiedereinstieg in die Atomkraft wieder ein Thema, u.a. auch im Bundestagswahlkampf. Wie stehen Sie zu derlei Überlegungen?

Theilig: Längst nicht alles, was die Vernunft gebietet und die Mehrheit will, ist politisch durchsetzbar. Meines Erachtens wird es also auch bei Schwarz-Rot, wie es zuletzt unter Rot-Grün vor allem in langen, nassen und tristen Wintermonaten immer war: Für eine verlässliche Stromversorgung sorgen Kernkraftwerke. Und solange diese "hinter unserem Gartenzaun" produzieren, sind sie allen willkommen.

Böhm: Wer heute ernsthaft über den Wiedereinstieg in die Atomkraft diskutiert und diese Art der Energiegewinnung als umweltfreundlich bezeichnet, klammert sehr kurzsichtig alle Umweltschäden bei Uranabbau, Transport etc. sowie die noch immer ungeklärte Frage der Endlagerung aus. Verantwortung definiert sich anders.

Während der Rückbau auf den letzten Metern ist, stellt sich weiterhin die Frage: Was kommt nach dem KWO? Welche Nachnutzung der Liegenschaften bzw. des Geländes wären Ihrer Meinung nach vorstellbar und stimmig? Also wie könnte es an Ort und Stelle – sagen wir mal – 30 Jahre nach der Abschaltung aussehen?

Theilig: Nachdem wir uns optisch mit Riesenschritten von der Kulturlandschaft gewohnter Prägung verabschieden, wäre denkbar, was derzeit bundesweit auf dem Vormarsch ist: Ein paar große Windräder und drumherum ein riesiges Solarfeld. Und zwischendrin grasende Kühe und knoddelnde Schafe. Sofern sie nicht in Binau oder Obrigheim wohnen, würde das meinen früheren Gegnern sicher prima gefallen.

Böhm: Durch die vorhandene Erschließung des Geländes bietet sich weiter die Nachnutzung zur Energiegewinnung an, z.B. mit einer Freiflächen-PV-Anlage. Dezentrale Energiegewinnung ist das Gebot der Stunde und die Chance für den NOK, nicht zuletzt auch angesichts der aktuellen unkalkulierbaren außenpolitischen Lage.

> Weitere Berichterstattung zum KWO-Rückbau findet sich unter "Metropolregion", ein Video unter rnz.de/videos.

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