Blick über die Dächer der Altstadt: Nicht nur in diesem Stadtteil ist das Wohnen teuer. Der Mieterverein sammelt jetzt Unterschriften für einen Einwohnerantrag, in dem konkrete Maßnahmen gegen hohe Mieten stehen. Foto: Hörnle
Von Sebastian Riemer
Heidelberg. Schon lange kämpft der Mieterverein Heidelberg für eine "Wohnwende". Gemeint ist eine neue städtische Wohnungspolitik. Die grundsätzliche Forderung: In Heidelberg sollen noch viel mehr Miet- und Eigentumswohnungen entstehen, die auch für mittlere, geringe und geringste Einkommen bezahlbar sind. Der Leiter des Mietervereins, Christoph Nestor, sagt es so: "Wir fordern: Weiteres Wachstum Heidelbergs nur mit sozial gerechtem Wohnungsbau."
Dabei ist der Mieterverein nun über das Instrument des Einwohnerantrags gestolpert. Das steht zwar in den Kommunalverfassungen der meisten Bundesländer, wird aber selten genutzt. Und das, obwohl nur eine relativ geringe Anzahl Unterschriften gebraucht wird, um Stadtverwaltung und Gemeinderat zu zwingen, sich mit dem Inhalt des Antrags zu beschäftigen – in Heidelberg braucht es 2000 Unterzeichner.
Wie soll die Wohnungspolitik laut Einwohnerantrag verändert werden? "Der Gemeinderat beschließt ...", heißt es am Anfang – und dann folgt eine ganze Reihe von Forderungen. Wichtigster Punkt: Bei allen Bebauungsplänen mit Wohngebieten sollen "vorrangig gemeinwohlorientierte Bauträger zum Zuge kommen" – also kommunale Wohnungsbaugesellschaften wie die GGH sowie Baugenossenschaften und Wohnprojekte. Heißt im Klartext: Wer mit Wohnungen Geld verdienen will, soll sich künftig grundsätzlich hinten anstellen müssen.
Dabei nennt der Einwohnerantrag ein in Heidelberg bereits existierendes Projekt als Grundlage für alle künftigen Planungen: Die Quote, die für den Wohnungsbau in Mark-Twain-Village (MTV) in der Südstadt beschlossen und umgesetzt wurde, soll zum Mindeststandard für alle Projekte werden. In MTV entsteht zu 70 Prozent geförderter Wohnraum, nur 30 Prozent gehen auf den freien Markt. 40 Prozent der Wohnungen kosten eine Kaltmiete von höchstens acht Euro pro Quadratmeter, 30 Prozent der Wohnungen sind bezahlbare Eigentumswohnungen.
Welche Rolle soll die GGH spielen? Die städtische Wohnungsbaugesellschaft GGH soll laut Einwohnerantrag ihren Wohnungsbestand in den nächsten sechs Jahren "um mindestens 4000 geförderte Wohnungen erhöhen" – und dafür von der Stadt entsprechend finanziell ausgestattet werden.
Was ist mit den Wohnungen in Patrick-Henry-Village (PHV)? Der Einwohnerantrag fordert hier, über die bisherigen Planungen hinauszugehen – und mehr Wohnraum zu schaffen: So sollen mindestens "75 Prozent der bebaubaren Flächen" für "Wohnungsbau in kleinteiligen Eigentumsstrukturen" vorgesehen werden. Zudem soll die Noch-Eigentümerin von PHV, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) aufgefordert werden, die Fläche gratis abzugeben.
Gilt der Einwohnerantrag nur für Heidelberg oder auch für die Region? Unterschreiben können nur Heidelberger. Im Erfolgsfall behandelt der hiesige Gemeinderat die Forderungen. Doch im Antrag steht auch, dass die Stadt gemeinsam mit interessierten Umlandgemeinden ein regionales Wohnbauforum einrichten sowie sich für einen regionalen Wohnbaufonds Rhein-Neckar einsetzen soll. In letzteren sollen dann Bund, Land, Kommunen – und auf freiwilliger Basis auch Firmen oder Privatleute – einzahlen.
Wie viele der 2000 benötigten Unterschriften wurden bereits gesammelt? Eine genaue Zahl nennt Mietervereinsleiter Christoph Nestor nicht – er sagt nur: "Die Zahl der Unterschriften nähert sich dem Quorum." Wegen der Corona-Krise könne momentan nicht öffentlich gesammelt werden. "Aber man kann die Unterschriftenlisten der Reihe nach in alle Briefkästen der Nachbarn im Mietshaus stecken, mit der Bitte um Unterschrift und Rückgabe", so Nestor. Die volle Liste gehe dann per Post an den Mieterverein (Poststraße 46, 69115 Heidelberg).
Wie geht es weiter, wenn 2000 Unterschriften erreicht werden? Der Einwohnerantrag kommt dann in den Gemeinderat. Die Stadtverwaltung würde eine Vorlage erstellen, in der sie zu den Forderungen Stellung nimmt. Über diese Vorlage würden dann die Fraktionen beraten. Am Ende stünde dann ein Beschluss: Der Gemeinderat könnte dem Einwohnerantrag zustimmen, ihn ablehnen oder aber den Antrag verändern und ergänzen – und dann zustimmen.
Wie realistisch ist es, dass die Forderungen umgesetzt werden? Schwer zu sagen. Einige der Forderungen im Einwohnerantrag kommen im Handlungsprogramm Wohnen von 2017 vor, das noch konkretisiert werden soll. Bislang ist es schwammig formuliert und bietet viele unverbindliche Absichtserklärungen. Nestor kritisiert das schon lange: "Das ist nur ein Stück Papier, keine Wohnbauoffensive. Der Einwohnerantrag geht viel weiter, er würde die städtische Wohnungspolitik endlich so aufstellen, dass wir eine weitere soziale Spaltung verhindern!" Nestor ist zuversichtlich, was die Erfolgschancen angeht: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Gemeinderat den Einwohnerantrag ablehnt. Schließlich entspricht er den Grundsatzbeschlüssen der meisten Parteien – etwa der Grünen auf Landesebene."
Info: Unterschriftenlisten zum Einwohnerantrag gibt es beim Mieterverein (Telefon 06221 / 20473 oder E-Mail an beratung@mieterverein-heidelberg.de) oder www.wohnwende-heidelberg.de.