"In Neckargemünd wurde unser Boot in Brand geschossen"

RNZ-Serie: Georg Heffner, der heute in Bad Rappenau lebt, erinnert sich an seine abenteuerliche Flucht aus der Kurpfalz

27.06.2013 UPDATE: 27.06.2013 23:00 Uhr 2 Minuten, 19 Sekunden


Rhein-Neckar. (nip/zg) In der heutigen Folge der RNZ-Serie "Meine Stadt 1945" erinnert sich Georg Heffner, Jahrgang 1930, der heute in Bad Rappenau lebt, an seine Flucht aus der Kurpfalz.

Ende März erhielten wir einen Aufruf von der Ortsgruppenleitung, dass wir vor den Amerikanern flüchten sollten. Sie wären schon bis Ludwigshafen vorgerückt. Uns stand abends ein Neckarkahn an der Schleuse zur Verfügung, der uns ins Neckartal bis nach Gundelsheim bringen sollte. Etwa 80 Frauen mit Kindern und ältere Leute über 65 Jahren mit Handgepäck stiegen ein.

Wir konnten wegen der Jagdbomber (Jabos) nur bei Dunkelheit fahren, weil die Gefahr zu groß war, beschossen zu werden. In Neckargemünd aber geschah es. Der Kapitän wollte morgens anlegen, als uns plötzlich zwei Flieger angriffen. Wir flüchteten in den nahen Wald und verstreuten uns.

Ich sah noch, dass der Kahn zu brennen anfing und dachte an die Strohballen im Laderaum. Doch das Feuer wurde schnell gelöscht und wir konnten abends weiter. Wir kamen nach Rot am See, stiegen in Busse um und bezogen schließlich in verschiedenen Dörfern Quartier. Wer noch arbeitsfähig war, wurde Landwirten zugewiesen.

Auf einem Bauernhof in Lendsiedel an der Jagst konnte ich mich nützlich machen - unsere Mutter half im Haushalt. Im Frühjahr gab es viel zu tun in Stall und Feld. Eines Tages wurden wir auch dort von Tieffliegern attackiert. Schnell legten wir uns in eine Ackerfurche und deckten uns mit Erde zu. Der Jabo kam zwar noch einmal zurück, drehte dann aber ab.

Inzwischen hatten die Amerikaner in Speyer und Worms den Rhein überschritten - Ende April kam die Front auch nach Lendsiedel. Die NS-Leitung mobilisierte alles und jeden. Ich war 14 Jahre alt und bekam den Befehl, am nächsten Morgen zur Waffenausgabe zu kommen und mich zum Abtransport mit dem Zug bereitzuhalten.

Zu meinem Glück hatte die Bäuerin einen guten Draht zum NS-Gruppenleiter. Sie gab an, sie brauche mich für die Arbeit auf dem Hof. Am nächsten Morgen hatte ich verschlafen, was mir das Leben rettete. Dieser Zug - mit vorwiegend Kindern und alten Männern - wurde beschossen und völlig zerstört. Es gab viele Tote und Schwerverletzte.

Später wurde ich nach Schwäbisch Hall "versetzt", wo wir einen kleinen Flugplatz verteidigen sollten. Dort nahmen uns die Amerikaner unter Feuer, doch ich konnte zurück nach Lendsiedel fliehen.

An einem Nachmittag im April 1945 sollte ich den deutschen Soldaten helfen, ein schweres Maschinengewehr auf dem Eichentisch in der guten Stube meines Landwirts zu montieren. Es war ein Eckhaus an einer Kreuzung, an der man die Straße gut einsehen konnte. Schon von Weitem hörte man die dröhnenden Panzerfahrzeuge. Auf einmal kam von der Einsatzleitung der Befehl, sich abzusetzen.

Ich verschwand schnellstens in den Keller zu meiner Familie und den Nachbarn. Als mit einem fürchterlichen Knall die Kellertür eingeschlagen wurde, stand vor uns ein großer und dunkelhäutiger Amerikaner mit einem Sturmgewehr. Er machte ein paar Schritte auf meinen Bruder Arthur zu, grinste und sagte: "You Chewing Gum?" Wir wussten sofort, dass alles gut ausgehen würde. Er gab ihm Schokolade und eine Handvoll Kaugummis. Dann ging er wieder.

Anfang Mai trafen wir eine Gruppe Radfahrer aus Ludwigshafen. Sie teilten uns mit, dass der Krieg für Mannheim vorbei sei. Ich organisierte schnell einen uralten Kinderwagen mit hohen Rädern, dann machten wir uns auf den Heimweg. Unterwegs schloss sich uns eine ältere Dame an, die nach Feudenheim wollte. Sieben Tage waren wir unterwegs.

Zuhause war unsere Wohnung von Truppen besetzt. Sie hatten ein ganzes Stadtviertel mit Stacheldraht umzäunt, und niemand durfte es betreten. Wir bekamen eine Ersatzwohnung in der Wilhelmstraße 85 zugewiesen.

Meine begonnene Lehre in der Asoma-Druckerei konnte ich bei "Jung & Sack" fortsetzen. 1948 schloss ich diese mit einer guten Gesellenprüfung ab.

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