Sound der Woche

Nico Santos kehrt zurück auf die Insel

Für sein neues Album nähert sich Nico Santos den eigenen Wurzeln. Außerdem reingehört haben wir auch bei Tristan Brusch, David Gilmour, SSIO und Tame Impala.

22.10.2025 UPDATE: 26.10.2025 04:00 Uhr 3 Minuten, 19 Sekunden
Foto: Timo Wagner

Von Thomas Bremser

Er gehört seit Jahren zu den erfolgreichsten Sängern des Landes. Jetzt begibt sich Nico Santos mit seinem schlicht betitelten Album "Santos" auf neues Terrain: Deutsch statt Englisch, R&B und Rap statt Radio-Pop. Ganz fremd sind die Album-Klänge für den 32-Jährigen aber nicht.

Nico Wellenbrink, so sein bürgerlicher Name, wird im Januar 1993 in Bremen geboren. Seine Eltern ziehen nach Mallorca, als er neun Monate ist. Mit deutscher Musik kommt er deshalb zunächst nur über Rolf Zuckowski und später über MTV und VIVA in Kontakt. Hier entdeckt er Sido und Bushido für sich.

Nun sind die Balearen aber nicht unbedingt ein Karriere-Sprungbrett. Vergeblich schreibt Nico im Internet deutsche Rap-Produzenten an. Entdeckt wird er erst, als er nach der Schulzeit in Robinson-Clubs den Animateur und Sänger gibt. Inzwischen erwachsen, zieht Santos nach Köln, wo der Vollblutmusiker Lieder für Helene Fischer und Bushido schreibt. Er produziert Soundtracks und singt Chöre ein, die andere glänzen lassen. 2018 will Santos es dann solo wissen – mit englischsprachigen Popsongs wie "Rooftop" und "Safe". Doch die Leidenschaft für Deutschrap bleibt. Santos singt für Shindy, Prinz Pi oder Sido Refrains ein, im Laufe der Zeit schreibt er auch immer mehr eigene Songs auf Deutsch.

Das persönlichste Lied auf seinem neuen Album, das er nun unter dem Künstlernamen Santos veröffentlicht, ist "Pinienbäume" – mit Erinnerungen an das Aufwachsen auf der spanischen Ferieninsel. "Und du denkst, es schneit, wenn die Mandeln blühen / Bring’ den Hierbas raus, weil ich bald zurück bin ..."

Das Musikvideo dreht der Songwriter auf der Finca, auf der er aufgewachsen ist und an seiner alten Schule. "Ich habe das Gefühl, man hört eher hin, wenn man etwas Privates auf Deutsch sagt", findet Santos. Er habe selten so viele Reaktionen von Freunden und Familie auf einen Song bekommen. Musikalisch verbindet der Track spanische Gitarren, Reggaeton-Einflüsse und R&B.

Den Großteil der zwölf Songs bilden aber Duette. Santos singt mal rau, mal mit hoher Stimme, andere übernehmen die Rap-Parts. Mit vielen Künstlern hat er noch nie zusammengearbeitet, etwa Jazeek, Dadaan oder Shirin David, mit der er aktuell bei "The Voice of Germany" zu sehen ist. Mit Sido ("Geschlossene Augen", "Leere Hände") oder SDP ("99 Problems") tauchen aber auch alte Bekannte auf.

Die deutsche Albumpremiere verbindet nun zwei Welten, die auf dem Musikmarkt beide ihre Berechtigung haben. Im Radio dominiert englischer Pop, auf den Streaming-Portalen dagegen deutschsprachiger Rap und R&B. Nico Santos bewegt sich lässig durch beide Universen.



Info: "Santos" ist aktuell erhältlich. Im November 2026 spielt Nico Santos Konzerte in Stuttgart und Frankfurt.








The Last Dinner Party und mehr. Hier geht es zum Sound der letzten Woche.


Sound der Woche

Tristan Brusch

Am Anfang

Chanson/Pop Ja, es sind erneut Liebeslieder, die Tristan Brusch uns zu Füßen legt: "Es gibt auf dieser Erde genau zwei Dinge zu lernen: Lieben und geliebt zu werden", singt er. Was der 37-Jährige darunter versteht, das lotet er seit 2021 auf unvergleichliche Weise aus. Damals, mit "Am Rest", fand Brusch zu diesen düster-romantischen Alltagsbetrachtungen, die seinen Stil seitdem prägen. Mit "Am Wahn" (2023) folgte der bitter-herbe zweite Akt. "Am Anfang" schließt die Trilogie nun ab. Und vielleicht, nur vielleicht, sind diese 12 Songs einen Hauch milder, ein wenig weniger desillusioniert, einen Tick zärtlicher als in früheren Jahren. Damit ist das Finalalbum zwar nicht das stärkste der drei – doch gemeinsam sind sie von überwältigender Wucht. (sös) ●●●

Für Fans von: Drangsal

Bester Song: Vierzehn


David Gilmour

The Luck And Strange Concerts

Progrock Er ist einer der wenigen Gitarristen, die man auch mit geschlossenen Augen direkt erkennen würde. Und so geht bei "5 A.M." ein kollektives "Hach" durch die Menge, als David Gilmour die H-Saite seiner Strat zum ersten Mal liebevoll nach oben zieht. "The Luck And Strange Concerts" vereint 23 Mitschnitte aus dem Zirkus Maximus, der Royal Albert Hall und anderen stilvollen Sälen. Anspieltipp: "Between Two Points", mit dem berührenden Auftritt von Davids Tochter Emily. (dasch) ●●

Für Fans von: Pink Floyd

Bester Song: Between Two Pointse


SSIO

Alles oder nichts

Deutschrap Studis und Gangster können sich wieder auf der Mitte des Pausenhofs treffen: SSIO ist zurück! Zu ballernden Westcoast-Beats lässt der gebürtige Bonner Ssiawosch Sadat die Reimketten rattern. Vor allem ist sein "Alles oder nichts" aber eine 54-minütige Nachhilfe in Selbstironie. Bei Zeilen wie "Ich bin SSIO, Vorbild von Kendrick Lamar / Und sorg’ für mehr Skandal als die WM in Katar", muss man instinktiv grinsen. Mit der Zeit nutzt sich das Dauer-Geflexe aber doch ab. (dasch) 

Für Fans von: Celo & Abdi

Bester Song: Tam Psychopath


Tame Impala

Deadbeat

Dancepop Der Ausflug auf den Dancefloor will Tame Impala nicht so recht gelingen. Kevin Parker wurde in den 10er-Jahren als Halbgott sphärischen Indie-Rocks bekannt, mit dem neuen Album versucht er sich jetzt an der Weiterentwicklung seines schon immer von Synthesizern und Disco beeinflussten Stils. Die Vision, einen Soundtrack für traurig-durchtanzte Nächte auf der Tanzfläche abzubilden, hört man "Deadbeat" auf jeden Fall an – nur bleiben die zwölf Songs kraft-, saft- und mutlos. Als würde Tame Impala mit angezogener Handbremse agieren, schlafwandelt der Australier durch Discosubgenres, während er über die eigene Traurigkeit und Entfremdung von der Welt singt. (han) 

Für Fans von: MGMT

Bester Song: No Reply