Mannheim

Stadt feiert 100 Jahre "Die Neue Sachlichkeit"

Glanz einer Epoche: In Mannheim feiern mehr als 35 Kulturinstitutionen ein Jahrhundertjubiläum.

20.09.2024 UPDATE: 20.09.2024 04:00 Uhr 2 Minuten, 27 Sekunden
Jeanne Mammens „Modell im Atelier“ (1918-1920). Foto: Cy Pfuhl

Von Susann Behnke-Pfuhl

Mannheim. Man freut sich riesig in Mannheim. In der Quadratestadt wird ein Jubiläum gefeiert. Ein kultureller Aufbruch. Ein Lebensgefühl. Glanz und Elend der Goldenen Zwanziger beschworen.

Und gerade auch jetzt Parallelen gezogen zu der Zeit der Weimarer Republik, als eine noch junge Demokratie ins Wanken geriet. Mit der Ausstellung "Die Neue Sachlichkeit" prägte Gustav F. Hartlaub 1925 einen Begriff in der Kunstgeschichte, der nach dem Ersten Weltkrieg den Expressionismus ablöste und mit sachlichen, klaren Linien einen schnörkellosen Blick auf die Wirklichkeit wagte. Dabei weitete sich dieser Begriff über die Malerei hinaus auf rationale Tendenzen in Architektur, Literatur und Film aus und bezeichnete auch eine ganze Epoche.

Auf der Pressekonferenz zum Auftakt des Jubiläums "100 Jahre Neue Sachlichkeit" sprach Kulturbürgermeister Thorsten Riehle und stellte das 35 Institutionen umfassende Partnernetzwerk "Die 1920er-Jahre in Mannheim" vor, das Kulturstätten wie das Nationaltheater, die Kunsthalle, das Capitol, das Cinema Quadrat oder die Alte Feuerwache umfasst. Kunst und Kultur könnten zur Demokratisierung beitragen, sagte Riehle.

Wilfried Rosendahl, Direktor der Reiss-Engelhorn-Museen, erklärte, dass man mit ihrem Thema, der Fotografie – mit der Galerie Zephyr und dem Forum Internationale Photographie – bei diesem großen Kultur-Event dabei sein wolle. Das ungeschönte, neue Sachlich-Sehen in der Fotografie ist nach der Kunst, die in der Kunsthalle zu sehen ist, ein ganz wichtiger Punkt für diese Zeit.

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Der Direktor der Mannheimer Kunsthalle, Johan Holten, mahnte – aufbauend auf dem Historiker Christopher Clark und seinem Buch über den Ersten Weltkrieg – nicht zu glauben, dass es reicht, einfach aus der Geschichte zu lernen und dann gewappnet für die Gegenwart zu sein. Mit einer Ausstellung, in der menschliches Leid zu sehen ist, könne man jedoch verstehen, wie gefährlich es ist, Warnsignale nicht zu beachten.

Die stellvertretende Direktorin der Kunsthalle, Inge Herold, informierte über die große Jubiläumsschau im November. Eine Rekonstruktion der ursprünglichen Schau von 1925 war nicht geplant, da zu viele Werke nicht ausleihbar oder verschwunden sind. Im Vordergrund des Konzepts stand die Würdigung der kuratorischen Leistung Hartlaubs, aber auch die kritische Revision dessen, was dieser ausgeschlossen hatte.

Keine einzige Frau war in der Ausstellung vertreten, nun werde dies korrigiert. Auch verzichtete Hartlaub auf einen Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus. Das Phänomen der Neuen Sachlichkeit sei jedoch nicht auf Deutschland beschränkt. So werden beispielhaft Werke etwa von Edward Hopper, Georgia O’Keefe oder Pablo Picasso zu sehen sein.

Über die aktuelle Ausstellung "Sachlich Neu" mit Fotografien von August Sander, Albert Renger-Patzsch und Robert Häusser sprach Claude W. Sui. In einer Zeit der Ernüchterung besann man sich konträr zum gefühlvollen Expressionismus auf bestimmte Werte, den Gegenstand und das Gegenständliche. Die Fotografie sei ein gutes Medium, um das Reale in einer sehr objektivierenden Art wiederzugeben. (Eine Besprechung der Ausstellung folgt).

Auch die Ausstellung "hart & direkt" als Vorbote der großen Jubiläumsschau ist bereits in der Kunsthalle zu sehen. Auch wenn Hartlaub den Begriff der Neuen Sachlichkeit auf die Malerei bezog und auf Zeichnungen und Grafiken nur am Rande, sind einige der besten Arbeiten der Künstler dieser Zeit in diesen Medien entstanden, sagte Kurator Gunnar Saecker auf dem Presserundgang.

Die exquisite Schau wartet mit großen Namen und schönen Blättern auf, die die umfangreiche Sammlung der Kunsthalle dokumentieren und auch die verschiedenen Tendenzen innerhalb des Stils zeigen: den sogenannten rechten, klassizistischen Flügel und den linken, veristischen. Arbeiten von Otto Dix, George Grosz mit seinen berühmten Caféhausszenen und Max Beckmann entfalten ihre ganze Pracht.

Daneben hängen Bilder von Künstlern, von denen nicht mal die Lebensdaten bekannt sind. Zwei Neuerwerbungen stechen hervor. Ein gezeichnetes Selbstporträt von Paula Lauenstein und eines von der Dix-Schülerin Erika Streit. Der letzte Raum gibt einen Ausblick auf nationalsozialistische Propagandaarbeiten, etwa Alfred Kitzig, der im Stil der Neuen Sachlichkeit arbeitete.

Info: "hart & direkt. Zeichnung und Grafik der Neuen Sachlichkeit" in der Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, bis 12. Januar 2025. Geöffnet dienstags, donnerstags bis sonntags von 10 von 18 Uhr, mittwochs 10 von 20 Uhr, 1. Mittwoch im Monat 10 bis 22 Uhr.

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