RNZ: Volksnah statt großspurig!

Bei 1899 Hoffenheim zieht man selbstkritisch Bilanz und startet eine groß angelegte Charme-Offensive      

31.08.2011 UPDATE: 31.08.2011 05:37 Uhr 2 Minuten, 50 Sekunden
Hoffenheim Letzter im Bonitäts-Ranking

Bei 1899 Hoffenheim zieht man selbstkritisch Bilanz und startet eine groß angelegte Charme-Offensive 

 

Die "Schall-Affäre" beim Spiel gegen Borussia Dortmund hat vor Augen geführt, wie die TSG 1899 Hoffenheim mancherorts wahrgenommen wird. Als autoritäres System, das seine Kritiker mit Hochtechnologie zum Schweigen bringen will. Das ist Unsinn und man tut den Kraichgauern Unrecht. Seit ein ein paar Monaten hat sich das Klima geändert. Dietmar Hopp persönlich macht sich stark für eine groß angelegte Charme-Offensive. "Ich lege großen Wert darauf, dass sich im Umfeld unseres Klubs alle wohl fühlen", sagt der Mäzen, "wir wollen nicht verklemmt, sondern offen und sympathisch auftreten."

 

Dafür stehen vor allem die neuen Geschäftsführer Frank Briel und Ernst Tanner. "Wir sind ein Dorfverein mit einem Alleinstellungsmerkmal, das wir uns zu Nutzen machen wollen", sagt Tanner. Der Manager wirkt glaubwürdig, auch weil er aus einer Gemeinde stammt, Teisendorf im Berchtesgadener Land, die kaum größer als Hoffenheim ist. Seine Eltern hatten einen landwirtschaftlichen Betrieb.

"Familiär, hilsbereit und ehrlich", so will Briel den Fußball-Bundesligisten darstellen. Der ehemalige SAP-Mitarbeiter, ein freundlicher und unaufgeregter Mann, räumt ein, dass in den Jahren des schnellen Aufstiegs Fehler gemacht wurden. Auch Tanner ist selbstkritisch: "Eine gewisse Arroganz kann man nicht abstreiten. Die Schall-Affäre hat einmal mehr vor Augen geführt, wie ’beliebt’ Hoffenheim ist."

Dazu trugen auch die hohen Zäune bei, mit denen sich der Bundesligist im Zuzenhausener Trainingslager abschottete. Absurd angesichts von zwei bis drei Dutzend Kiebitzen, die den Weg in die Horrenberger Straße fanden. Nicht nur Fans, auch kleinere Sponsoren beklagten sich, dass sie wie Bittsteller behandelt wurden. Viele alte Sympathisanten waren unglücklich, dass sich die Protagonisten immer mehr entfernten. Präsident Peter Hofmann räumt ein, dass manches schief gelaufen ist: "Wir sind rasch gewachsen. Die Herbstmeisterschaft im ersten Bundesliga-Jahr hat uns alle überrumpelt.

Ein Teil der Zäune um die Trainingsplätze wurde abgebaut, die geblieben sind, sollen nicht die Profis von den wenigen wohlmeinenden Fans trennen, sie dienen als Schutz. Tanner: "Ich habe selbst beobachtet, wie ein Wildschwein den Berg herunter gerannt kam und mit Karacho gegen den Zaun donnerte."

Auch die Absperrungen um die Gebäude seien nicht errichtet worden, um sich abzugrenzen, versichert Briel. "Man darf nicht vergessen, dass uns feindliche Fangruppen im Visier hatten", bittet der Geschäftsführer um Verständnis.

Wer Tanner und Briel bei Fantreffen beobachtet, hat den Eindruck, dass sie es ernst meinen mit Volksnähe und Bodenständigkeit. Auch im Medienbereich soll sich einiges ändern. "Wir haben das Gefühl, dass wir schlechter dargestellt werden, als wir es verdienen", meint Briel, "wir wollen die Schuld nicht bei anderen suchen, sondern wir haben uns selbstkritisch hinterfragt, ob nicht wir was falsch machen." Künftig soll die Medienabteilung mehr Dienstleister und weniger Aufpasser sein. Mehr Animateur als Kontrolleur. Einem seit Jahren bekannten Fotografen, der Trainer Holger Stanislawski am ersten Arbeitstag unterm 1899-Emblem ablichten wollte, wurde – nur eines von vielen Beispielen – der Zutritt verwehrt, Journalisten wurde barsch beschieden: "Wir sind nicht dazu da, um Geschichten zu liefern." Man stelle sich vor, ein Pressechef eines Unternehmens wäre nicht hilfreich, wenn es um positive Berichte über das Freizeitangebot oder den Betriebs-Kindergarten geht.

"Proaktiv" (zu deutsch voraushandelnd) heißt das Zauberwort, mit dem Alexander Waldi den neuen Kurs beschreibt. Auch der SAP-Mann aus Mauer tut als weiterer Mitarbeiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit Hoffenheim gut, weil er – wie Dirk Rittmüller und Mike Diehl, um zwei weitere Beispiele zu nennen – erfrischend normal ist.

Die Medienabteilung wurde inzwischen von Geschäftsführer Jochen A. Rotthaus in den Zuständigkeitsbereich von Tannerübertragen.AuchbeiRotthaus, der sich im Kinofilm über 1899 Hoffenheim ("Das Leben ist kein Heimspiel") durch großspuriges Auftreten keine Freunde machte und in den ersten Jahren gegenüber Mitarbeitern schon mal lautstark wurde, hat ein Umdenken eingesetzt.

Offene Türen rennt man – im wahrsten Wortsinn – bei Hofmann ein. Der Elektromeister hatte schon immer ein offenes Ohr für die Wünsche und Bedürfnisse der Ur-Hoffenheimer. "Jeder kann zu mir ins Büro kommen", sagt er. Der Präsident hat ein großes Herz. Behinderte versorgt er mit Fan-Artikeln, für Obdachlose hält er ausrangierte Winterjacken bereit.

Eine kleine Kultur-Revolution findet derzeit im Kraichgau statt. Denn der Bundesligist ist längst kein Selbstläufer mehr. Dass gegen Bremen 400 Karten nicht verkauft wurden, kann man auf die Ferienzeit zurückführen oder auch als Warnsignal ansehen. "Es ist normal, dass die Anfangs-Begeisterung, als wir die Arena zweimal hätten füllen können, etwas abgeebbt ist", meint Briel, "wir wollen mit attraktiven Fußball begeistern – aber auch mit herzlichen Auftreten die Menschen für uns gewinnen."

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