Heidelberger Gemeinderat stimmt überraschend für liberale Sperrzeiten

In der Nacht zum Freitag dürfen die Kneipen jetzt sogar bis 4 Uhr geöffnet haben - Würzner will den Beschluss rechtlich prüfen lassen

20.12.2016 UPDATE: 21.12.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 21 Sekunden

Die Heidelberger Altstadtkneipe "Destille" Archivfoto: Rothe

Von Holger Buchwald

Jubel bei den Studenten, betretene Gesichter bei den Vertretern der Bürgerinitiative "Leben in der Altstadt" (Linda). Nach einer emotionalen Debatte hat der Gemeinderat am Dienstag mit 25 zu 18 Stimmen und zwei Enthaltungen neue, aber sehr liberale Sperrzeiten für die Kernaltstadt beschlossen. Demnach dürfen die Kneipen in den Nächten auf Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag nur noch bis 2 Uhr öffnen, in den Nächten auf Freitag, Samstag und Sonntag dagegen bis 4 Uhr.

Große Teile der CDU, die "Heidelberger", die Linke/Piraten, die AfD und die beiden SPD-Stadträte Andreas Grasser und Mathias Michalski hatten für diesen FDP-Antrag gestimmt. Simone Schenk und Raimund Beisel (Freie Wähler) stimmten nicht für den Antrag der FDP, wonach die Kneipen auch schon in der Nacht auf Freitag bis 4 Uhr und damit eine Stunde länger als bisher öffnen dürfen. Sie enthielten sich. Anja Markmann (AfD) hatte gegen den FDP-Antrag gestimmt. Bislang galt auch in der Kernaltstadt, zwischen Bauamtsgasse und Karlsplatz, Neckar und Plöck, die Landesregelung, wonach die Gaststätten werktags bis 3 Uhr und am Wochenende bis 5 Uhr die Nachtschwärmer bewirten können. Das heißt: In der Nacht zum Freitag sind die Kneipen sogar künftig eine Stunde länger offen als bisher. OB Eckart Würzner ging am Dienstag davon aus, dass der Beschluss rechtskonform sei, er werde ihn aber überprüfen lassen. Sollte die Regelung für die Nacht auf Freitag keinen Bestand haben, müsse man diesen Punkt noch einmal abstimmen lassen.

"Die haben nichts dazu gelernt", ärgerte sich Linda-Sprecherin Doris Hemler, als sie direkt nach der Abstimmung den Großen Rathaussaal verließ. Die Stadtverwaltung hatte den Gemeinderäten nämlich viel strengere Sperrzeiten - 1 Uhr unter der Woche und 3 Uhr am Wochenende - vorgeschlagen. Begründet wurde dies mit aktuellen Messungen, wonach die Lärmrichtwerte in der Kernaltstadt exorbitant überschritten werden und die Gesundheit der Anwohner gefährdet ist. Bürgermeister Wolfgang Erichson prophezeit, dass nun einzelne Bürger vor dem Verwaltungsgerichtshof viel kürzere Kneipenöffnungszeiten erzwingen werden. "Mit diesem Lärmgutachten könnte man wahrscheinlich sogar Sperrzeiten von 0 und 1 Uhr durchsetzen", fürchtet er. Mit dem von der Stadtverwaltung vorgeschlagenen Kompromiss hätte man sich vielleicht auch von Bürgerseite noch zufriedengegeben.

Von solchen Argumenten wollten die Verfechter möglichst liberaler Sperrzeiten nichts hören. "Man kann keine lebendige Altstadt fordern und dann um 1 Uhr nachts die Bürgersteige hochklappen", sagte Sahra Mirow, die gerne bei der Landesregelung geblieben wäre. Und in den Augen von Karl Breer (FDP) seien es doch wirklich "nur ein paar Idioten, die nachts herumgrölen". Eine "Kollektivstrafe" für die, die sich benehmen können, lehne er ab. Für Larissa Winter-Horn ("Heidelberger") kommt jede Form von Sperrzeiten einer "Kapitulation" gleich: "In anderen Städten funktioniert es doch auch ohne. Es gibt wesentlich effektivere Maßnahmen, um den Lärm zu reduzieren." Optimierungsbedarf sieht sie bei der Präsenz von Kommunalem Ordnungsdienst und Polizei. Und Einzelstadtrat Waseem Butt meinte lapidar: "Die Altstadt darf kein Sonderseniorengebiet werden." Bei der Freiheit dürfe man keine Kompromisse machen.

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Verwundert reagierten andere Stadträte auf solche Äußerungen. "Schlafentzug ist eine Folter", schlug sich Hilde Stolz (Bunte Linke) auf die Seite der Anwohner. Auch Matthias Kutsch (CDU) hatte strengere Sperrzeiten als die FDP beantragt - 2 Uhr unter der Woche und 3 Uhr am Wochenende. Doch da der Vorschlag der Liberalen zuerst abgestimmt wurde, votierte auch er dafür.

Vor der Sitzung hatte Alexander Knabe, Kulturreferent des Studierendenrates der Universität, mehr als 4300 Unterschriften an Würzner für die Beibehaltung der Landessperrzeiten übergeben. Innerhalb von wenigen Tagen hatten die Initiative "Lebendige Altstadt für alle" eine Kampagne für möglichst lange Kneipenöffnungszeiten losgetreten. Nach der Sitzung unterbreitete Knabe den Vertretern von Linda ein Gesprächsangebot: Die Studenten wollten mit einer Informationskampagne ihren Beitrag leisten, damit es in der Altstadt ruhiger wird.

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