Sperrzeiten in Heidelberg: Für die Tangente geht es ums "nackte Überleben"
Mit strengen Sperrzeiten ohne Ausnahmegenehmigung müsste das Traditionslokal schließen - Wegen eines Brandes ein Jahr geschlossen

Georgios Messas in seiner "Tangente": Er fürchtet, dass strenge Sperrzeiten ihn ruinieren könnten. Foto: Rothe
Von Holger Buchwald
Wenn die Heidelberger Stadträte am Dienstag über die Sperrzeiten in der Kernaltstadt entscheiden, muss ihnen bewusst sein, dass sie damit auch wirtschaftliche Existenzen bedrohen könnten. Eine davon ist die von Georgios Messas. Seit 2009 betreibt er den Club "Tangente" an der Ecke Kettengasse/Zwingerstraße. Sollte die Stadtverwaltung sich mit ihrem Vorschlag durchsetzen, dass alle Gaststätten ohne Ausnahmen im Geltungsbereich der Sperrzeitsatzung werktags um 1 Uhr und am Wochenende um 3 Uhr schließen müssen, könne er dichtmachen, fürchtet Messas: "Es geht ums nackte Überleben."
Die Situation von Messas ist eine besondere. Während für die anderen Kneipen in der Kernaltstadt bis 2014 spezielle Öffnungszeiten galten und die Wirte ihre Gäste in der Nacht zum Samstag und Sonntag nur bis 3 Uhr und unter der Woche sogar nur bis 2 Uhr bedienen durften, haben die drei Diskotheken Tangente, Cave 54 und Club 1900 seit Jahrzehnten eine Sondergenehmigung. Dort konnte seit jeher am Wochenende bis 5 Uhr getanzt und gefeiert werden. Unter dieser Voraussetzung hat Messas zusammen mit seinen damaligen Partnern auch die "Tangente" übernommen. Und wenn eine neue Regelung genau dies verhindern soll, ist das in den Augen des Clubbetreibers, als ob man einem Straßencafé die Außenbewirtschaftung untersagen würde. Dann seien die drei Traditionslokale, deren Geschichte bis in die 1950er Jahre zurückreicht, am Ende.
Bei Messas kommt eine ohnehin schwierige finanzielle Lage hinzu. Inzwischen ist er nämlich alleiniger Pächter, vor anderthalb Jahren habe er rund 100.000 Euro in die Tangente investiert. Doch damit nicht genug: Im Juli 2014 löste ein defekter Kühlschrank einen Brand aus. Das Tanzlokal konnte für elf Monate nicht mehr genutzt werden. Messas Pachtvertrag läuft noch weitere acht Jahre.
All das will Messas alles eigentlich gar nicht erzählen. Er ist schüchtern und steht nur sehr ungern im Rampenlicht. Doch angesichts der morgigen Gemeinderatssitzung drängt die Zeit. Besonders ärgert sich der Wirt darüber, dass sich niemand im Vorfeld mit ihm auseinandergesetzt habe:. "Hätte man mir gesagt, dass wir zu laut sind, hätte ich etwas ändern können." Doch direkt von der Tangente gingen schon lange keine Störungen mehr aus. Er solle jetzt den Preis dafür bezahlen, dass andere Wirte in der Altstadt mit Billigangeboten die Nachtschwärmer abfüllten und überhaupt erst lautes Klientel anzögen. Genau solche Angebote wie Shots für einen Euro werde es bei ihm aber auch in Zukunft nicht geben: "Ich werde ganz sicher kein hemmungsloses Feiern ermöglichen."
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Messas macht seinen Laden abends erst um 23 Uhr auf, montags und dienstags hat er ganz zu. Kommen die neuen Sperrzeiten, bräuchte er unter der Woche erst gar nicht mehr öffnen, glaubt er. Und auch am Wochenende würden wohl viele Gäste wegbleiben. Denn wer geht schon um 1 Uhr in einen Club, der zwei Stunden später wieder schließt?
Der Tangente-Pächter hofft nun, dass ihm die Stadt doch wieder eine Ausnahmegenehmigung erteilt. Und er ist auch kompromissbereit: Um zu verhindern, dass jede Nacht Kleingruppen durch die Kettengasse ziehen, die zu später Stunde in seinen Club Einlass begehren und dabei die Anwohner stören, würde er künftig ab 2 Uhr nachts Eintritt verlangen und das auch in allen sozialen Netzwerken kundtun. Denn dann würden viele Gäste früher in die Tangente kommen. Einen vorstellbaren Rechtsstreit gegen die Stadt sieht Messas skeptisch. Wegen des möglichen Bestandsschutzes rechnet ihm sein Anwalt zwar gute Chancen aus, aber: "Ich will ungern gegen meine Stadt klagen."
Info: Der Gemeinderat tagt am morgigen Dienstag ab 15 Uhr im Großen Rathaussaal, Marktplatz 10.



