Demo gegen Sperrzeiten: Heidelberger Studenten tragen das Nachtleben zu Grabe
CDU-Fraktion schlägt Kompromiss nach friedlichem Protest am Donnerstagabend gegen strengere Sperrzeiten in der Altstadt vor

Rund 200 Menschen protestierten am Heumarkt gegen eine Sperrzeitverlängerung. Foto: Philipp Rothe
Von Holger Buchwald
Heidelberg. Auf einmal wurde es still in der Unteren Straße. Mit einer Schweigeminute trauerten am Donnerstagabend rund 200 Demonstranten symbolisch um das Heidelberger Nachtleben. Die Organisatoren vom Studierendenrat der Universität (Stura) hatten LED-Lichter verteilt, die die Protestierenden in die Höhe reckten, nachdem als Oberbürgermeister Eckart Würzner, Bürgermeister Wolfgang Erichson und Gemeinderat verkleidete Studenten einen Sarg am Brunnen auf dem Heumarkt niedergelegt hatten.
Hintergrund
Faktencheck: Sperrzeitenregelung
hob. Immer wieder wird behauptet, dass die Gerichte den Heidelbergern längere Sperrzeiten diktieren werden, wenn der Gemeinderat hinter dem Vorschlag der Stadtverwaltung zurückbleibt.
Tatsächlich klagen derzeit
Faktencheck: Sperrzeitenregelung
hob. Immer wieder wird behauptet, dass die Gerichte den Heidelbergern längere Sperrzeiten diktieren werden, wenn der Gemeinderat hinter dem Vorschlag der Stadtverwaltung zurückbleibt.
Tatsächlich klagen derzeit drei Altstadtbewohner gegen die Stadt Heidelberg. Sie werden ideell und finanziell von Nachbarn unterstützt. Sie haben einen Normenkontrollantrag beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) gestellt. Dabei geht es aber nicht um konkrete Uhrzeiten, bis wann die Kneipen in der Altstadt künftig öffnen dürfen. Vielmehr wenden sich Adelheid und Nikolai Wessendorf sowie Walter Ditscheid gegen einen Beschluss des Gemeinderates vom Dezember 2014. Damals haben die Stadträte die bis dato gültige Sperrzeitregelung aufgehoben. Seitdem gelten auch für Heidelbergs Ausgehviertel die landesweit üblichen Kneipenöffnungszeiten: bis 3 Uhr unter der Woche und bis 5 Uhr am Wochenende. "Sollte der Gemeinderat wieder eine Sperrzeitsatzung beschließen, wäre die Normenkontrollklage gegenstandslos", bestätigt VGH-Sprecher Matthias Hettich.
Konkret heißt das, die Stadträte könnten am kommenden Dienstag auch liberalere Kneipenöffnungszeiten beschließen. Wenn die Anwohner damit nicht zufrieden wären, müssten sie erneut dagegen klagen. Der Verhandlungstermin am VGH steht laut Hettich noch nicht fest.
"Uns geht es nicht ums Prinzip. Wir wollen nicht das herausholen, was wir könnten", sagte Nikolai Wessendorf auf Anfrage der RNZ. Mit den aktuellen Lärmmessungen könnte man gerichtlich zwar sicherlich noch viel strengere Sperrzeiten durchsetzen, "wir wollen aber eine Regelung, die einen vernünftigen Interessenausgleich vorsieht". Wenn es der Stadt gelänge, mit einer Aufstockung des Kommunalen Ordnungsdienstes und anderen Maßnahmen die Nachtruhe der Anwohner durchzusetzen, würde man diesem Beschluss eine Chance geben. Allerdings müssten die Kneipenöffnungszeiten laut Wessendorf trotzdem verkürzt werden. Gegen einen "abstrusen Beschluss" würde er sicherlich wieder klagen. "Abstrus" wäre eine Satzung, so Wessendorf, wenn sie wieder Ausnahmen für die Diskotheken in der Altstadt vorsehe und diese länger als die Kneipen öffnen dürften.
Mit der Demo will die Initiative "Lebendige Altstadt für alle" das Ruder in der Diskussion um Kneipenöffnungszeiten im letzten Augenblick herumreißen. Bereits am Dienstag soll der Gemeinderat nach dem Willen der Verwaltung über strengere Sperrzeiten abstimmen. Doch die Heidelberger Studenten möchten weiterhin werktags bis 3 Uhr und am Wochenende bis 5 Uhr feiern dürfen.
Die Initiative wird nicht nur vom Stura unterstützt, auch das Studierendenparlament der Pädagogischen Hochschule stellte sich in seiner Sitzung am Mittwoch mit großer Mehrheit hinter die Forderungen. Der Jugendgemeinderat, die Grüne Jugend und Vertreter anderer politischer Parteien unterstützen die Kampagne.
Alexander Knabe, Kulturreferent des Stura, forderte, dass die Stimme der 40.000 Studenten in Heidelberg gehört werden müsse, innerhalb von wenigen Tagen habe man über eine Online-Petition bereits 4000 Unterschriften für die Beibehaltung der bisherigen Sperrzeiten gesammelt.
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Für Stimmung sorgte SPD-Stadtrat Mathias Michalski - nur er und Andreas Grasser stellen sich in seiner Fraktion gegen strengere Sperrzeiten. "Macht mal ein bisschen Lärm, solange es noch erlaubt ist", rief er der Menge zu. Es sei nur eine Minderheit, die sich nachts in der Altstadt daneben benehme.
Eine "kollektive Bestrafung" aller, die dort gesittet feiern wollen, lehne er ab. Die Kneipenkultur müsse unbedingt erhalten werden, sonst verliere die Altstadt ihren letzten Rest an Attraktivität: "Es gibt kein großes Kino mehr, der Karlstorbahnhof zieht weg, und bei der Frage der Einkaufsqualität kann man zumindest geteilter Meinung sein."
Sicherlich gebe es einige Altstadtbesucher, die sich daneben benähmen. Das seien aber die Rucksacksäufer, die bereits in der S-Bahn mit selbst mitgebrachtem Alkohol vorglühten. Michalski fordert mehr soziale Kontrolle durch längere Außenbewirtschaftung im Sommer und ein verbessertes Nachtbus-Konzept.
Unterdessen schlägt die CDU-Fraktion im Gemeinderat einen Kompromiss vor. Unter der Woche sollten die Kneipen und Bars nicht schon um 1 Uhr, sondern um 2 Uhr schließen. Am Wochenende halten die Christdemokraten eine Sperrzeit um 3 Uhr für vertretbar.
Ausnahmen für Diskotheken, wie sie bis 2014 galten, soll es nicht mehr geben. Um auch den Altstadtwirten gerecht zu werden und die "Lebens- und Aufenthaltsqualität im Stadtteil" zu steigern, schlägt die CDU zudem vor, die Außenbewirtschaftung in den warmen Monaten von April bis September unter der Woche bis 24 Uhr und am Wochenende bis 1 Uhr zu verlängern.
Altstadtwirt Daniel Wilson (ZKB, Jinx, Mel’s) meinte gestern am Rande der Kundgebung, das sei ein Vorschlag, mit dem wohl die meisten leben könnten.
Am Dienstag fällt die Entscheidung im Gemeinderat
hob. Es ist die letzte Sitzung des Gemeinderates vor der Winterpause. Und bevor sich die Stadträte am Dienstag, 20. Dezember, ab 15 Uhr im Großen Rathaussaal mit dem Doppelhaushalt für 2017/18 beschäftigen, werden sie über die Kneipenöffnungszeiten in der Altstadt abstimmen.
Die Verwaltung schlägt vor, dass die Wirte von Montag bis Freitag ihre Gäste nur noch bis 1 Uhr, in der Nacht auf Samstag und Sonntag bis 3 Uhr bewirten dürfen. Ausnahmen für Diskotheken soll es nicht mehr geben. Die Satzung soll nur im Kernbereich der Altstadt - vom Neckar bis zur Plöck und vom Kurpfälzischen Museum bis zum Karlsplatz - gelten. Hier herrscht die höchste Kneipendichte, und hier wurden nach aktuellen Messungen die Lärmrichtwerte deutlich überschritten.



