Heidelbergs Altstadtkneipen sollen wieder früher schließen

Altstadtkneipen sollen ab Januar werktags bis 1 Uhr, am Wochenende bis 3 Uhr öffnen - Bürgermeister Erichson sieht keinen Ermessensspielraum

04.11.2016 UPDATE: 05.11.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 29 Sekunden

Auch die Partys in der Kultkneipe Destille in der Unteren Straße könnten bald früher beendet sein, wenn es nach der Stadt geht. Foto: Rothe

Von Holger Buchwald

Die Messungen sind eindeutig: Der nächtliche Lärm in der Altstadt ist gesundheitsschädlich und erreicht Werte, die nicht einmal in einem Industriegebiet zulässig wären. Um die Anwohner zu schützen, will die Stadtverwaltung deshalb wieder eine Sperrzeitverordnung durchsetzen. Die Kneipen in der Kernaltstadt sollen ab 1. Januar werktags bereits um 1 Uhr und am Wochenende um 3 Uhr schließen. Bislang ist für die Nachtschwärmer in den Nächten auf Samstag und Sonntag erst um 5 Uhr morgens Schluss.

Am Freitag wurden die Stadträte über die neuen Pläne informiert. "Wir sehen keinen Ermessensspielraum", macht Bürgermeister Wolfgang Erichson den Ernst der Lage klar. Das Lärmgutachten des Büros Genest und Partner lasse dem Gemeinderat keine Wahl. Die Stadträte könnten demnach zwar eine restriktivere Sperrzeitverordnung erlassen als von der Verwaltung vorgeschlagen. Längere Kneipenöffnungszeiten seien aber rechtlich nicht zulässig.

Hintergrund

> Die Sperrzeitverordnung für die Heidelberger Altstadt soll nur für den Kernbereich mit der höchsten Kneipendichte gelten. Der Geltungsbereich wird im Norden durch den Neckar, im Westen durch die Bauamtsgasse, die Hauptstraße und die Friedrichstraße, im

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> Die Sperrzeitverordnung für die Heidelberger Altstadt soll nur für den Kernbereich mit der höchsten Kneipendichte gelten. Der Geltungsbereich wird im Norden durch den Neckar, im Westen durch die Bauamtsgasse, die Hauptstraße und die Friedrichstraße, im Süden durch die Plöck, die Seminarstraße, die Kettengasse, die Zwingerstraße, den Burgweg und die Karlstraße und im Osten durch die Kisselgasse, Hauptstraße und Jakobsgasse begrenzt. Unter der Woche beginnt die Sperrzeit um 1 Uhr, in der Nacht zum Samstag und Sonntag um 3 Uhr morgens.

> Für das restliche Heidelberg soll nach wie vor die Landesregelung gelten. Dort müssen die Kneipen unter der Woche erst um 3 Uhr, am Wochenende um 5 Uhr schließen.

> Bis 31. Dezember 2014 galt für die östliche Altstadt bereits eine Sperrzeitverordnung. Die Gaststätten durften von Montag bis Freitag bis 2 Uhr öffnen, am Wochenende bis 3 Uhr. Für Diskotheken - das Cave 54, die Tangente und den Club 1900 - galt eine Ausnahmeregelung. Dort durfte am Wochenende bis 5 Uhr gefeiert werden. hob

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"Sollte der Gemeinderat das trotzdem beschließen, würde der Oberbürgermeister die Entscheidung kassieren", prophezeit Erichson. Dann müsste das Regierungspräsidium Karlsruhe ein Machtwort sprechen. Dass nicht nur diese Behörde, sondern auch die Verwaltungsgerichte das Recht der Anwohner auf Nachtruhe höher gewichten als das Interesse der Wirte auf Profit, ist offenkundig, seitdem das Restaurant Herrenmühle seinen Biergarten täglich bereits um 22 Uhr schließen muss. Anwohner hatten gegen die längeren Öffnungszeiten geklagt. Auch aktuell gibt es ein Gerichtsverfahren. Die Normenkontrollklage der Altstädter Wolfgang Ditscheid, Adelheid und Nikolai Wessendorf beim Verwaltungsgerichtshof liegt auf Eis. Sollte der Gemeinderat nicht frühere Kneipenschließzeiten durchsetzen, würde das Verfahren fortgesetzt - mit den besseren Aussichten für die Kläger.

Bis Ende 2014 galt schon einmal eine Sperrzeitregelung für die Altstadt. Der Gemeinderat schaffte sie aber ab und hoffte, dass sich die Besucherströme dadurch entzerren und der Lärm reduziert wird. Dass diese Rechnung nicht aufging, hatten der Kommunale Ordnungsdienst und die Polizei schon nach dem ersten Sommer bemerkt: Längere Öffnungszeiten bedeuteten mehr Alkoholkonsum und dadurch mehr Krach und Gewalttaten, und zwar an den Wochenenden bis 5 Uhr morgens, warnten sie in ihren Erfahrungsberichten. Die Stadträte wollten trotzdem die Probezeit für die Regelung "3 und 5 Uhr" noch einmal verlängern.

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Die Verwaltung gab daraufhin bei Genest und Partner ein Lärmgutachten in Auftrag, es ist das zweite nach 2014. Dieses Mal blieb es nicht bei einer reinen Berechnung, an fünf Punkten in der Altstadt wurde vom 13. Mai bis 3. Juli rund um die Uhr der Schallpegel gemessen: in der Unteren Straße auf Höhe des Fischmarkts, an der Ecke Hauptstraße/Floringasse, in der Kettengasse, in der Dreikönigstraße und in der Hauptstraße auf Höhe des Kurpfälzischen Museums.

Obwohl es zu dieser Jahreszeit ungewöhnlich nass und kühl war, wurden am Wochenende zwischen 0 und 3 Uhr in der Unteren Straße im Mittel Werte von 78 Dezibel erreicht, bis 5 Uhr morgens sank der Schallpegel nicht unter 70. Noch deutlicher sind die Zahlen für die Lärmspitzen: Im Durchschnitt werden bei diesen Maximalpegeln Ausschläge bis 89 Dezibel verzeichnet. "Auf der Arbeit ist bei dieser Lautstärke ein Hörschutz vorgeschrieben", macht Kai Bertulies vom Umweltamt klar. Doch damit nicht genug. Einzelmessungen bis 97 oder 98 Dezibel seien im Altstädter Kneipenviertel keine Seltenheit - das entspricht einer Handkreissäge in einem Meter Entfernung. "Die Werte sind enorm", sagt auch Jürgen Kuch, Leiter der Abteilung Gewerberecht bei der Stadt. Nach 22 Uhr liegt der Richtwert für Kerngebiete, zu denen auch die Altstadt gehört, bei 45 Dezibel. Das wird schon durch eine normale Unterhaltung erreicht. Rein physikalisch verdoppelt sich der Schalldruckpegel bei einer Erhöhung um drei Dezibel.

Die jetzt vorgeschlagene Sperrzeitregelung hätte vor Gericht Bestand, davon ist Erichson überzeugt. Neu ist, dass auch die Discos künftig samstags und sonntags um 3 Uhr schließen sollen - damit nicht nach Kneipenschließung alle Feierwütigen lautstark in die Clubs pilgern. Erichson: "Mit dieser Regelung wollen wir allen Interessengruppen so weit wie möglich entgegenkommen." Was die Betroffenen dazu sagen werden, wird sich bereits am nächsten Freitag zeigen - am Freitag, 11. November, tagt der "Runde Tisch Altstadt" zum Thema.

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